Sudanesische Flüchtlinge warten vor einem Feldspital.
Sudanesische Flüchtlinge warten vor einem Feldspital.
AP

Mit der Einnahme der Hauptstadt der Gezira-Provinz, Wad Medani, durch die Miliztruppe Rapid Support Forces (RSF) ist der gewalttätige Konflikt im Sudan in eine neue Phase eingetreten. Der Fall der Provinzstadt bedeutet eine peinliche Niederlage der sudanesischen Streitkräfte unter Führung des Staatsoberhaupts General Abdelfattah al-Burhan, die schließlich zum Totalkollaps des Unruhestaates führen könnte. Die RSF-Miliz, die für ihre brutale Behandlung der Bevölkerung berüchtigt ist und über keine Erfahrung im Regieren oder Verwalten eines Gemeinwesens hat, beherrscht neben großen Teilen der Hauptstadt Khartum auch immer weitere Gebiete des Landes. Angesichts des möglichen Zusammenbruchs der Armee wird ein Sturz al-Burhans oder dessen Rücktritt nicht mehr ausgeschlossen.

In den vergangenen Monaten waren rund 500.000 Menschen aus Khartum in das knapp 140 Kilometer südöstlich der Hauptstadt gelegene Wad Medani geflohen, das als sichere Bastion der Armee galt. Trotzdem gelang es nun Spezialkräften der RSF-Miliz, die Provinzstadt innerhalb von vier Tagen einzunehmen. Die Regierungssoldaten sollen gemeinsam mit rund 300.000 Flüchtlingen in Richtung Süden und Südosten geflohen sein, ein Großteil offenbar zu Fuß. Die Frage, warum die Provinzhauptstadt dermaßen schnell in die Hände der Miliz fallen konnte, soll genauer untersucht werden, heißt es in Armeekreisen. Al-Burhan musste seinen Standort Ende August von Khartum in die Hafenstadt Port Sudan verlegen, nachdem er wochenlang in seinem Hauptquartier eingeschlossen gewesen war.

"Nutzlose" Armee

Alan Boswell, Sudan-Direktor bei der Internationalen Krisengruppe (ICG), erklärt die verblüffende militärische Schwäche der mit Panzern und Kampfjets ausgerüsteten Streitkräfte mit der blühenden Korruption innerhalb der Truppe sowie mit der Tatsache, dass sich die Armee bei früheren militärischen Auseinandersetzungen stets auf Proxy-Kämpfer, vor allem ethnische Milizen, verlassen konnte. "Die Armee musste niemals selbst einen Krieg wie diesen führen und hat sich jetzt als nutzlos erwiesen", so Boswell.

Hinzu kommt auch die Unterstützung aus dem Ausland. Die RSF-Miliz wurde sowohl von den Vereinigten Arabischen Emiraten wie von der russischen Söldnertruppe Wagner unter anderem mit Boden-Luft-Raketen ausgerüstet: ein Problem für die Streitkräfte, die den Krieg zuvor vor allem aus der Luft geführt hatten. General al-Burhan gilt zwar als enger Verbündeter des ägyptischen Staatspräsidenten Abdelfattah al-Sisi doch dessen Regierung sieht sich derzeit mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen konfrontiert und kann sich umfangreiche Waffenlieferungen nicht leisten.

Unter der Zivilbevölkerung im Sudan ist die RSF-Miliz noch gefürchteter als die Regierungssoldaten. Bis zum Zerwürfnis ihrer beiden Führer im April dieses Jahres waren beide noch gemeinsam gegen die Demokratisierungsforderungen der Sudanesinnen und Sudanesen eingetreten. In Khartum pflegen sich Milizionäre in den Privatwohnungen der Bevölkerung einzunisten, plündern Geschäfte und vergewaltigen Frauen. Die große Zahl der Flüchtlinge aus Wad Medani erklärt sich mit der Furcht der Bevölkerung, nach der Übernahme der Stadt durch die RSF zu Opfern von deren Übergriffen zu werden.

Millionen Vertriebene

Noch brutaler wütet die Miliz in ihrer Heimatregion, den Darfur-Provinzen. Dort kommt es derzeit wieder zu "ethnischen Säuberungen" im großen Stil. Wie schon vor zwei Jahrzehnten, als die arabischen Reitermilizen Janjawid zigtausende Darfurer afrikanischen Ursprungs vor allem vom Volk der Masalit meuchelten. Die Janjawid gingen schließlich in die von General Mohamed Hamdan Dagalo (alias Hemeti) gegründeten RSF über. Beobachtern zufolge sind den Umtrieben der Miliz schon wieder mehrere Tausend Masalit, besonders in der Provinz West-Darfur, zum Opfer gefallen. Gegenwärtig bereiten sich die RSF auf einen Angriff auf el-Fascher, die Hauptstadt der Provinz Nord-Darfur, vor, eine der letzten Bastionen der Regierungstruppen in der Region.

Die immer heftigeren Kämpfe führten auch zu einer dramatischen Verschlechterung der Versorgungslage. "Die Menschen sind durch acht Horrormonate gegangen", sagt Sofie Karlsson, Sprecherin des UN-Büros zur Koordination humanitärer Angelegenheiten im Sudan, "und jetzt wird alles nur noch schlimmer." UN-Angaben zufolge haben bereits 1,5 Millionen Sudanesinnen und Sudanesen das Land verlassen. 5,4 Millionen wurden innerhalb des Landes vertrieben, mehr als 30 Millionen sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen – fast zwei Drittel der Bevölkerung. Von der einen Milliarde US-Dollar, die die UN bei den Geberländern für das zu Ende gehende Jahr erbeten haben, ist gerade einmal ein Drittel eingegangen. (Johannes Dieterich, 21.12.2023)