Sicherheitskräfte auf dem Balkon des Fakultätsgebäudes.
Sicherheitskräfte auf dem Balkon des Fakultätsgebäudes.
AFP/MICHAL CIZEK

Prag steht unter Schock. Im Zentrum der tschechischen Hauptstadt, beim Gebäude der Philosophischen Fakultät der Prager Karls-Universität, wurden am Donnerstagnachmittag mindestens 14 Menschen durch Schüsse getötet. 25 Personen wurden verletzt, davon zehn schwer bis lebensgefährlich. Die Polizei sucht nach einem Motiv für die Tat, die Staatsanwaltschaft leitete eine Untersuchung ein. Die tschechische Regierung hat den 23. Dezember zum Tag der nationalen Trauer erklärt.

Der mutmaßliche Schütze, ein 24-jähriger Student, ist nach Angaben des tschechischen Innenministers Vít Rakušan ebenfalls tot. Polizeichef Martin Vondrášek erklärte am Abend, es sei noch Gegenstand von Untersuchungen, ob der junge Mann schließlich Suizid begangen hat oder von der Polizei erschossen wurde. Klarheit soll eine Obduktion bringen.

Video: Nach Schusswaffenangriff mit 15 Toten: Prag ruft nationalen Trauertag aus.
AFP

Kein Hinweis auf Mittäter

Auf zwei der vordringlichsten Fragen schien es recht bald eine Antwort zu geben: Nachdem das Fakultätsgebäude evakuiert und gründlich durchsucht worden war, erklärte Innenminister Rakušan, dass es vor Ort keine Hinweise auf Komplizen gebe. Außerdem gebe es keine Indizien, die auf ein terroristisches Motiv schließen ließen.

Zur unmittelbaren Vorgeschichte und zum Tathergang selbst gab es vorerst jedoch noch viele offene Fragen. Laut Behördenangaben nämlich könnte die Tragödie bereits Stunden zuvor in der kleinen Gemeinde Hostouň, nur wenige Kilometer westlich von Prag, ihren Ausgang genommen haben. Um die Mittagszeit war dort der Vater des 24-Jährigen tot aufgefunden worden. Der junge Mann soll mit seinen Eltern in der Ortschaft gewohnt haben.

Die Polizei begann daraufhin fieberhaft nach ihm zu suchen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Sicherheitskräfte nämlich bereits erfahren, dass der Student nach Prag gefahren sei, "um sich das Leben zu nehmen". Woher diese Information stammte, blieb vorerst unklar.

Als Erstes suchten die Polizisten ihn in einer mehrere Straßen entfernten Außenstelle der Fakultät, in der am Nachmittag eine seiner Vorlesungen auf dem Programm stand. Das Gebäude wurde zur Sicherheit evakuiert. Wenig später aber gingen bereits die ersten Notrufe vom Jan-Palach-Platz ein, wo das Haupthaus der Fakultät steht.

Gesperrte Mánes-Brücke, im Hintergrund die Philosophische Fakultät.
Die Polizei riegelte die Umgebung des Fakultätsgebäudes ab und sperrte auch die Zufahrt über die Mánes-Brücke.
EPA/MARTIN DIVISEK

Ein Zeuge sagte dem öffentlich-rechtlichen tschechischen Rundfunk, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fakultät seien gegen 15.15 Uhr von einer Sekretärin aufgefordert worden, sich in ihren Büros einzuschließen, die Türen zu verbarrikadieren und das Licht auszuschalten. Viele Schüsse seien zu hören gewesen. Auch an die Studierenden seien Warnungen ergangen.

Das gesamte Gebäude wurde evakuiert, teilten die Behörden später mit und forderten die Bevölkerung auf, den Tatort zu meiden. Auf Fotos war zu sehen, wie Studierende das Gebäude mit erhobenen Armen verlassen. Das Prager Militärkrankenhaus gab an, einen Notfallplan aktiviert zu haben, um auf eine größere Zahl von Verletzten vorbereitet zu sein.

Über das Motiv herrscht bisher Unklarheit. Eine Hypothese der Ermittler lautet nach Aussage des Polizeipräsidenten Vondrášek, dass der 24-Jährige auch für einen Doppelmord vor einer Woche verantwortlich sein könnte. Ein Vater und dessen Tochter im frühen Säuglingsalter waren scheinbar grundlos in einem Waldstück am Prager Stadtrand erschossen worden. Der Fall hatte in Tschechien für Entsetzen gesorgt.

Der tschechische Präsident Petr Pavel sowie Premierminister Petr Fiala drückten den Familien der Opfer ihr Mitgefühl aus."Ich möchte meine große Traurigkeit und meine hilflose Wut über den unnötigen Verlust so vieler junger Menschen ausdrücken", teilte Pavel mit.

Schockiert zeigte sich auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen: "In diesen schmerzhaften Stunden sind unsere Gedanken mit den Menschen in der Tschechischen Republik, bei den Familien und Freunden der Opfer", schrieb er auf X (früher Twitter). Ähnlich äußerten sich Bundeskanzler Karl Nehammer, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und viele weitere Politikerinnen und Politiker aus zahlreichen Ländern. Das für Donnerstag angesetzte Spiel zwischen St. Pölten und Slavia Prag in der Champions League der Frauen wurde abgesagt.

Legaler Waffenbesitz

Der Jan-Palach-Platz, wo sich das Fakultätsgebäude befindet, liegt nur wenige Hundert Meter von der bekannten Karlsbrücke entfernt, die – wie auch die direkt zur Fakultät führende Mánes-Brücke – vorübergehend gesperrt wurde.

Schockiert zeigte sich auch der Prager Oberbürgermeister Bohuslav Svoboda: "Das Schlimmste ist, dass diese Dinge nicht zu verhindern sind", sagte er im tschechischen Fernsehen. Viele dächten, so etwas könne nur in den USA passieren, weil viele Menschen dort bewaffnet seien, so Svoboda. Laut Behördenangaben hat auch der mutmaßliche Täter von Prag mehrere Waffen legal besessen. Bei der Polizei sei er bisher ein unbeschriebenes Blatt gewesen. (Gerald Schubert, red, 21.12.2023)