Endbericht, Corona
Vage Erinnerungen an das Corona-Quartett (v. li.): Kanzler Karl Nehammer (am Wort) präsentiert mit Wissenschaftsminister Martin Polaschek, dem Soziologen Alexander Bogner und Katharina Reich, Generaldirektorin für Öffentliche Gesundheit, den Corona-Endbericht.
APA/EVA MANHART

Terminlich hat die Politik Wort gehalten: Den mit Spannung erwarteten wissenschaftlichen Endbericht zur Corona-Aufarbeitung (inklusive "Versöhnungsprozess") hat die Regierung für Ende dieses Jahres versprochen. Am Donnerstagnachmittag, zehn Tage vor dem 31. 12., war es in Form einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt tatsächlich so weit: Karl Nehammer, Bildungsminister Martin Polaschek (beide ÖVP), Katharina Reich, Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit, und Studienleiter Alexander Bogner von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) präsentierten den Bericht und zogen Lehren daraus.

Video: Regierung schließt Aufarbeitung der Corona-Pandemie ab.
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Etwas ungewöhnlich an diesem Medientermin: Die Einladung dazu wurde gerade einmal gut zwei Stunden davor an die Redaktionen ausgeschickt. Ein Schelm, wer eine Absicht dahinter vermutet. Zumal der 175-seitige Abschlussbericht, der "Nach Corona. Reflexionen für künftige Krisen" betitelt ist und hier heruntergeladen werden kann, seit zwei Wochen fertig ist.

Endbericht
Der Endbericht des Teams um Alexander Bogner ist seit Donnerstag im Netz frei zugänglich.
ÖAW

Vielfach fehlendes Wissen

In seinem Eingangsstatement verwies Bundeskanzler Karl Nehammer einmal mehr auf die besonderen Herausforderungen der Pandemie, von der alle Teile der Gesellschaft betroffen gewesen seien. Dass bei der Bekämpfung des Virus seitens der Politik Fehler gemacht wurden, gestand Nehammer unumwunden ein, blieb dabei aber meist recht abstrakt: "Dort, wo gearbeitet wird, passieren Fehler." Nicht zu handeln und nichts zu tun wäre der größere Fehler gewesen.

Nehammer erinnerte zudem daran dass die Informationslage über das Virus insbesondere zu Beginn der Krise lückenhaft war, was auch politische Entscheidungen erschwerte. Dazu kam, dass sich diese Erkenntnisse auch wegen der immer neuen Varianten immer wieder veränderten: "Mit dem Wissen von heute würden wir vieles anders machen." Was genau, blieb dann allerdings über weite Strecken offen.

Schließlich hätten alle Maßnahmen der Regierung ein hehres Motiv gehabt: Menschenleben zu retten. Das würde Fehler nicht rechtfertigen, aber erklären. Etwas konkreter wurde der Bundeskanzler bei der politischen Selbstkritik nur, wenn es um die Krisenkommunikation ging: Heute würde man so manche Worte zur Rechtfertigung der Maßnahmen mit etwas mehr Bedacht wählen.

Fünf Themenschwerpunkte

Etwas konkreter bei der Fehleranalyse ist der Endbericht, den der Soziologe Alexander Bogner gemeinsam mit einem 20-köpfigen Team der ÖAW, der Uni Wien und des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI) in den letzten Monaten erstellte und dabei fünf Themenfelder bearbeitete: die Polarisierung in der Öffentlichkeit, die wissenschaftliche Politikberatung, die Impfpflicht, die Schulschließungen und die Wissenschaftsskepsis, die in den Corona-Demos zum Ausdruck kam.

Zudem gab es einen österreichweiten Dialogprozess. In dessen Rahmen wurde vom Bundeskanzleramt eine Reihe von eintägigen Veranstaltungen in allen Bundesländern durchgeführt. An diesen nahmen insgesamt 319 Personen Teil. Die Gesamtkosten wurden mit 934.000 Euro beziffert.

Impfpflicht und Schulschließungen

Die Impfpflicht sei der Auslöser für die massivste themenspezifische Polarisierung gewesen, erläuterte Bogner im Hintergrundgespräch. Der intransparente Entscheidungsprozess, der dazu führte, lasse sich mit drei Schlagworten auf den Punkt bringen: Mauscheln, Mauern und Moralisieren. Denn sie sei ohne große vorherige Diskussion verkündet worden. Argumentiert habe man sie mit Sachzwängen. Skeptische Personen seien zudem mit moralisierenden Argumenten konfrontiert worden.

Die Untersuchung brachte unter anderem zutage, dass das gemeinsame Auftreten von Wissenschaft und Politik oft kritisch gesehen worden sei. Dadurch sei bei manchen offenbar der Eindruck entstanden, dass die Politik von Experten "gesteuert" werde. Auch ist laut dem Sozialwissenschafter der Schluss möglich, dass in der Pandemie Facetten übersehen worden seien – also anfangs etwa der Umstand, dass es sich nicht nur um eine gesundheitliche, sondern um eine gesamtgesellschaftliche Krise handle.

Zwei Phasen der Krise

Bogner unterschied in seinen Analysen zwei Phasen der Pandemie: Bis zum Herbst 2020 sei Corona eine akute Krise gewesen, die pluralistische Gesellschaften gewissermaßen in Schicksalsgemeinschaften verwandelte mit großer Zustimmung zu den Maßnahmen und viel Solidarität. Doch als die Krise Ende 2020 chronisch wurde und die Solidarität abebbte, habe es die Politik verabsäumt, sich der neuen Lage anzupassen.

Während der akuten Phase sei die Krise vor allem als virologisches Problem wahrgenommen worden. Danach aber habe man es verpasst, etwa auch in der Zusammensetzung der Beratungsgremien den Blick zu öffnen und andere Perspektiven – also beispielsweise den der Schulen und der Kinder – besser zu berücksichtigen. Interessenkonflikte seinen nicht offen ausgetragen worden, was letztlich auch zur Polarisierung in der Gesellschaft beigetragen habe.

Lehren für die Zukunft

Nehammers Schlussfolgerungen aus dem Bericht für eine nächste mögliche Pandemie: Man müsse danach trachten, die gesellschaftliche Resilienz gegenüber Krisen zu erhöhen, und die Kommunikation müsse so transparent wie möglich geschehen. Die Gesundheitsberufe müssten attraktiver gemacht werden, damit in einer Belastungssituation genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen. Er wolle für die nächste Krise besser werden, und dafür gebe es jetzt eine Grundlage.

Auf die Frage, wie die offensichtliche Polarisierung der Gesellschaft auch noch nach der Pandemie verringert werden könnte, verwies Bogner auf die Gruppendiskussionen mit den mehr als 300 Personen aus allen "Corona-Lagern": Fast alle hätten die Bedeutung von unabhängigen Medien und unabhängiger Politik zur Vermeidung von Polarisierungen empfohlen. In jedem Fall helfe ein respektvoller und gut moderierter Dialog. "Bei den eintägigen Diskussionen haben rund 40 Prozent der Teilnehmenden ihre Meinung geändert." (Klaus Taschwer, 21.12.2023)