Lichtstrahlen
Forschende feilen an einer Bestrahlung von Medikamenten mit Licht, um diese möglichst punktgenau wirken zu lassen und unerwünschte Wirkungen zu reduzieren.
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Die Natur nutzt von jeher Sonnenlicht, um komplexe Moleküle aufzubauen. Seit der Entwicklung von Solarzellen kann Licht auch dem Menschen als Energiequelle dienen. Nun findet es in der chemischen Forschung immer mehr Anwendung. In den Augen von Bartholomäus Pieber, Assistenzprofessor am Institute of Science and Technology Austria (ISTA), ist das Potenzial von Licht als Energielieferant allerdings noch lange nicht ausgeschöpft. Und damit ist er nicht allein: Inzwischen existiert in der Chemie ein ganzer Forschungszweig, der sich ausschließlich mit Licht-Reaktionen beschäftigt.

Licht statt Wärme

Piebers Fokus liegt auf organischer Synthese – ein Teilgebiet der Chemie, das Methoden und Strategien zur Herstellung von chemischen Verbindungen untersucht. "Chemikalien sind wie kleine Bausteine, die sich unter kontrollierten Bedingungen zu komplexen Molekülen zusammenfügen. Ich vergleiche das gerne mit Lego-Bauen – allerdings auf molekularer Ebene", erzählt der Wissenschafter.

Das Spezialgebiet des Forschers: Die synthetische Photochemie, also das Entwickeln von lichtgesteuerten Reaktionen. Die grundlegende Idee der Photochemie ist nicht neu. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wollte der italienische Chemiker Giacomo Luigi Ciamician Sonnenlicht für seine Experimente nutzen. Aufgrund der unzureichenden technologischen Möglichkeiten blieb dieser Bereich der Chemie allerdings lange Zeit unerforscht.

Alle Farben des Spektrums

Ganz anders heute: "Dank moderner LED-Technologie ist es inzwischen möglich, Licht in jeder erdenklichen Wellenlänge und ohne großen Aufwand herzustellen", sagt Pieber. Doch welchen Zweck erfüllt Licht im Kontext von chemischen Reaktionen? Die Antwort ist simpel: Moleküle reagieren selten freiwillig. Denn: Der Aufbau neuer Verbindungen erfordert Energie.

Pieber erklärt: "Man spricht im Labor nicht ohne Grund vom Kochen. Traditionell laufen die meisten Reaktionen thermisch ab, das heißt, die benötigte Energie wird durch externe Wärmezufuhr bereitgestellt." Alternativ kann diese Rolle auch Licht übernehmen, was vor allem umwelttechnische Vorteile bringt: "Licht ist eine ideale Energiequelle und ein perfektes Reagenz. Es erzeugt keinen Abfall, ist billig und immer verfügbar."

Licht fungiert so als umweltschonende Starthilfe im Reaktionscocktail. Doch Licht ist nicht gleich Licht. Pieber, der seit Juni am Campus in Klosterneuburg forscht, interessiert sich bei seinen Experimenten ausschließlich für den sichtbaren Teil des elektromagnetischen Spektrums: "Im Gegensatz zu ultraviolettem Licht, das fast jedes Molekül anregt, interagiert sichtbares Licht nur mit einigen wenigen. Es arbeitet somit sehr spezifisch, was es für die Forschung besonders interessant macht."

Regenbogen-Chemie

Sichtbares Licht ist ein schmaler Bereich im elektromagnetischen Spektrum, den Menschen mit dem bloßen Auge wahrnehmen können. Dieser erstreckt sich in der Regel von etwa 400 bis 700 Nanometer. Das Spektrum kann in sieben Hauptfarben unterteilt werden: Violett, Indigoblau, Cyanblau, Grün, Gelb, Orange und Rot.

Jede dieser Farben hat eine andere Wellenlänge, sprich Energie. Während violettes Licht als besonders energiereich gilt, zeichnet sich rotes Licht durch sein niedriges Energielevel aus. Diese natürliche Energiedifferenz machen sich Photochemiker wie Pieber zunutze: "Je nachdem, welche Wellenlänge das Licht hat, können in einer Reaktionsmischung unterschiedliche Prozesse ablaufen."

Konkret heißt das: Forschende können Reaktionen gezielt beeinflussen, indem sie die Farbe des Umgebungslichts ändern, während die verwendeten Moleküle gleich bleiben. Dabei spielt unter anderem die Geschwindigkeit der Reaktion eine Rolle: "Energieärmeres Licht verlangsamt gewisse Abläufe in photochemischen Reaktionen, wodurch sie leichter zu kontrollieren sind. Das kann helfen, Verunreinigungen frühzeitig zu verhindern."

Umweltschonende Alternativen

Um Reaktionen mit sichtbarem Licht zu aktivieren, ist jedoch ein bestimmtes Hilfsmittel nötig: Photokatalysatoren helfen die gewünschte Reaktion auszulösen und wandeln Lichtenergie in chemische Energie um. Aktuell basieren die gängigsten Modelle auf teure Edelmetalle wie Ruthenium oder Iridium – Elemente, deren Abbau den Einsatz von Bergbautechniken und Ressourcen erfordert, die negative Auswirkungen auf die Umwelt haben.

Aus diesem Grund haben es sich Pieber und sein Team zum Ziel gesetzt, umweltschonendere Alternativen zu schaffen: "Wir arbeiten derzeit an der Entwicklung von wiederverwendbaren Katalysatoren, die ohne Edelmetalle auskommen. So können wir die Photochemie zukünftig nachhaltiger gestalten."

Doch damit nicht genug: Photochemische Ansätze könnten auch die Medizin revolutionieren. Was für die meisten nach Science-Fiction klingen mag, ist für den gebürtigen Steirer ein realistisches Zukunftsszenario: "Die Idee ist es, Medikamente zu entwickeln, die nach der Einnahme nicht sofort wirken, sondern erst durch gezielte Bestrahlung mit Licht aktiv werden", berichtet Pieber.

Künftige Anwendungen

Aktuell verfolgen internationale Forschende zwei Ansätze: Zum einen könnten Patientinnen und Patienten zukünftig einen unfertigen Wirkstoff einnehmen, der sich erst mittels Lichtaktivierung im Körper zu einem wirksamen Medikament zusammensetzt. Zum anderen könnte der fertige Wirkstoff in eine molekulare Hülle verpackt werden, die dann von Licht zerstört wird. So wird das Medikament gezielt an Ort und Stelle freigesetzt, was die Wahrscheinlichkeit für unerwünschte Nebenwirkungen entscheidend minimiert.

Pieber möchte mit seiner Forschung dafür die nötigen Grundlagen schaffen: "Lichtgesteuerte Reaktionen bergen ein enormes Potenzial in vielen Bereichen – von der nachhaltigeren Chemikalienherstellung bis zu medizinischen Anwendungen. Mein Team und ich wollen mit unserer Forschung zur Entfaltung beitragen." (Anna Tratter, 27.12.2023)