Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) im Interview
Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) betont, dass postakute Infektionssyndrome wie das Chronische Fatigue-Syndrom ME/CFS keine psychosomatischen Erkrankungen sind.
APA/EVA MANHART

Gefühlt ist jede zweite Person derzeit Corona-positiv, so manches Weihnachtsfest hat dieses Jahr etwas anders ausgesehen als geplant. Trotzdem besteht aktuell keine Gefahr, dass die Krankenhäuser überfüllt werden könnten, wie das Sari-Dashboard zeigt. Dort werden alle Krankenhausaufnahmen aufgrund von schweren Atemwegsinfektionen aufgezeigt.

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) wiederholt deshalb, dass es – mit Stand heute – keine Corona-Maßnahmen oder -Verordnungen der Bundesregierung mehr geben wird. Er setzt stattdessen im Umgang mit Corona und den gesundheitlichen Folgen auf Forschung und Weiterentwicklung der Behandlungsmöglichkeiten. Dies betreffe sowohl die akute Erkrankung als auch Langzeitfolgen.

Video: Gesundheitsminister Rauch: Mehr Forschung zu Long Covid, keine Maßnahmen mehr.
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"Ich kann die Sehnsucht von allen verstehen, die die Nase voll haben von Covid", betonte der Minister im Interview. "Ich habe immer gesagt, die Pandemie wird verschwinden oder sich verändern oder weniger werden. Aber das Virus wird bleiben. Es wird einfach jede Saison da sein, so wie die Grippe auch." Und er betont, dass es in gewissen Situationen natürlich sinnvoll sei, Maske zu tragen.

ME/CFS nicht psychosomatisch

Einschränkungen von Freiheitsrechten seien jedoch nur gerechtfertigt, wenn eine Überlastung des Gesundheitssystems drohe. Man habe gute Instrumente, etwa das Abwassermonitoring und das Sari-Dashboard: "Wir wissen, was sich in den Spitälern abspielt." Österreich sei mit aktuell rund 1.200 Covid-19-Patientinnen und -Patienten in den Spitälern weit von einer Überlastung des Gesundheitssystems entfernt, auch jetzt, in der bisher mit Abstand größten Welle an Ansteckungen. Jeder Gesundheitseinrichtung bleibe es freilich selbst überlassen, im Rahmen der Hausordnung Maßnahmen wie beispielsweise eine Maskenpflicht zu erlassen. Das ist aktuell auch schon mancherorts der Fall.

Was potenzielle Langzeitfolgen einer Covid-Infektion betrifft, verweist der Minister auf die gesetzten Maßnahmen und erwartet weitere Forschungsergebnisse. Die vom Obersten Sanitätsrat empfohlenen Schritte werde man alle umsetzen, spricht Rauch etwa das geplante Referenzzentrum für postvirale Erkrankungen an, also Long/Post Covid oder das Chronische Fatigue-Syndrom ME/CFS. "In Bezug auf die Langzeitwirkung ist die Forschung offen. Die Zahlen der Long-Covid-Betroffenen schwanken zwischen fünf Prozent und 40 Prozent. Die fünf Prozent halte ich für zu niedrig, die 40 für zu hoch, aber das ist meine Meinung." Man müsse abwarten, wo die wissenschaftliche Evidenz dann landet.

"Faktum ist aber, dass man nicht einfach sagen kann, es existiert kein Long Covid. Oder ME/CFS sei nur eine psychosomatische Erkrankung", betont der Minister. "Da sind die Betroffenen zu Recht verärgert, fühlen sich nicht ernst genommen und alleingelassen. Das ernst zu nehmen und da die entsprechenden Schritte zu setzen, das tun wir", versichert Rauch.

Befürchtungen, dass der niedergelassene Bereich mit der Behandlung von Long-Covid- beziehungsweise Post-Covid- oder ME/CFS-Patienten überfordert sein könnte, weist Rauch zurück und erinnert an ein von Susanne Rabady, der Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM), entwickeltes Tool für die niedergelassene Ärzteschaft, mit dem man "online Symptomatiken abchecken kann". Die Information der Ärztinnen und Ärzte finde also "sehr niederschwellig statt", betont Rauch. Und es gebe auch "Fort- und Weiterbildung" auf Kongressen. Vorwürfe, dass nichts passiere, seien daher unzutreffend.

Unfug entgegenstehen

Um der geringen Impffreudigkeit der Österreicherinnen und Österreicher, vor allem bei Covid, aber etwa auch Influenza, entgegenzuwirken, will Rauch vor allem auf "Bewusstseinsbildung" setzen. Es brauche einen "Kampf gegen die Wissenschaftsfeindlichkeit" im Land. "Das sehe ich schon, weil ja manche der Meinung sind, die Erde ist eine Scheibe und Impfen nützt nichts", sagte er, auch mit Blick auf die FPÖ. "Mit dem Unfug muss man aufräumen, dem muss man entgegenstehen, und das tun wir auch."

Eine Notwendigkeit für eine größere Impfkampagne, wie es sie in der Anfangsphase der Corona-Pandemie gegeben hatte, sieht Rauch aber nicht: "Das ist schlicht der Erfahrung geschuldet, dass große Kampagnen nicht wirklich etwas bewegen." Auch sieht er fast drei Jahre nach den ersten Corona-Impfungen einen hohen Informationsstand in der Bevölkerung. Man habe vielmehr "sehr gezielt" auf Länderebene Alten- und Pflegeheime aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Immunität der Bewohner aufgefrischt wird. Rauch setzt dabei auch stark auf die Hausärztinnen und -ärzte: "Ich glaube, dass die Basisinformation in der Arztpraxis die allerbeste Information ist." Denn dort bestehe Vertrauen, "das glauben die Menschen auch".

Dass die Überführung des Impfprogramms, auch bei Influenza, in den niedergelassenen Bereich nicht ganz so wie erhofft funktioniert hat, räumt Rauch aber ein: Das habe – anfangs – "nur bedingt funktioniert". Daher habe er mit den Gesundheitslandesräten in der jüngsten Sitzung der Bundeszielsteuerungskommission vereinbart, im Jänner die Lehren zu ziehen und für die kommende Impfsaison besser vorbereitet zu sein. Beim Influenza-Impfstoff waren ja beispielsweise die Kontingente für die Gratisimpfungen teils rasch vergriffen.

Impfangebote nutzen

Gleichzeitig ruft der Minister wieder dazu auf, die Impfangebote wahrzunehmen: "Impfen schützt, und die Impfung wirkt", dies sei anderslautenden Verschwörungstheorien entgegenzuhalten. "Natürlich ist die Corona-Impfung sinnvoll und schützt vor schwerwiegenden Verläufen. Natürlich ist die Influenza-Impfung sinnvoll", insbesondere für Risikopatientinnen und -patienten über 60 Jahre. Und ebenso schütze etwa die HPV-Impfung – "die wir jetzt gratis gemacht haben bis 21 Jahre" – davor, möglicherweise an Krebs zu erkranken, erinnert der Minister an eines seiner Projekte.

Zufrieden ist Rauch auch mit der im Dezember im Nationalrat beschlossenen Gesundheitsreform. "Ich würde das schon als Riesenwurf bezeichnen", sagte er. Ihm sei es darum gegangen, die Situation für die Patienten und Patientinnen zu verbessern und einen "einheitlichen Katalog an Leistungen vom Bodensee bis zum Neusiedler See" zu schaffen. Dass nicht alle Maßnahmen sofort wirken, ist dem Minister bewusst: "Jetzt wird es darum gehen, in die Umsetzung zu kommen."

Volle Wirkung entfalten werde die Reform in ein bis drei Jahren, "wenn tatsächlich im niedergelassenen Bereich der Ausbau stattgefunden und dann die Entlastung der Spitäler stattgefunden hat". Die "gute Nachricht" laute: "Wir haben jetzt schon deutlich über 50 Primärversorgungseinrichtungen eröffnet, fünf davon sind Kinder-PVEs. 30 haben wir in der Pipeline." (APA, kru, 27.12.2023)