Selbst Tage nach den blutigen weihnachtlichen Überfällen im zentralnigerianischen Bundesstaat Plateau steht die Zahl der Todesopfer noch immer nicht fest. Mindestens 160 Menschen seien den Angriffen auf insgesamt 20 Dörfer in den Distrikten Bokkos und Barkin Ladi zum Opfer gefallen, gab Distriktchef Monday Kassah der Agentur AFP bekannt: Die wirkliche Zahl stehe allerdings erst fest, wenn die lokale Bevölkerung, die zu Hunderten in den Busch floh, wieder in ihre Dörfer zurückkehre. Es war einer der blutigsten Zusammenstöße in der Geschichte der Auseinandersetzungen zweier Bevölkerungsgruppen: Bislang kamen nur bei Übergriffen im Jahr 2018 mehr Menschen ums Leben, über 200.

Suche nach Habseligkeiten in den Trümmern eines abgebrannten Hauses.
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Angehörige des nomadischen Fulani-Volks griffen ausgerechnet einen Tag vor Weihnachten die Dörfer der Ackerbauen an. Die muslimischen Viehzüchter waren sowohl mit Schusswaffen als auch mit Macheten bewaffnet, heißt es: Sie zündeten zahllose Hütten an und töteten wahllos Menschen. "Wir hatten nicht mit einem Angriff gerechnet", sagte der Kleinfarmer Markus Amorudu aus dem Dorf Mushu: "Wir wurden aus dem Schlaf gerissen und versuchten uns zu verstecken oder zu fliehen. Aber sie erwischten viele von uns und töteten sie." Das Blutvergießen hielt nach Angaben des Distriktchefs Kassah noch bis Montag an: 500 Verletzte wurden zur Behandlung in mehrere Krankenhäuser der Region gebracht.

Klimaerwärmung als Konfliktfaktor

Im Zentrum Nigerias kommt es immer wieder zu blutigen Zusammenstößen zwischen muslimischen Viehzüchtern und christlichen Ackerbauern. Der diesen Zusammenstößen zugrunde liegende wirtschaftliche Konflikt um Land wird in dem Fall noch um einen religiösen verschärft. Die zunehmende Intensität des Streits der beiden Bevölkerungsgruppen ist nach Auffassung von Forschern nicht zuletzt auf die Klimaerwärmung zurückzuführen. Die Fulani-Viehzüchter werden von der zunehmend trockeneren Sahelzone in den Süden abgedrängt, wo sie ins Territorium der traditionellen Ackerbauern eindringen. Dabei stehen die Ackerbauen bereits durch das Bevölkerungswachstum unter Druck: Sie müssen immer mehr Nahrungsmittel produzieren.

Schließlich kommt noch das Problem der Sicherheitskräfte hinzu, die im jüngsten Fall erst mehr als zwölf Stunden nach dem Überfall an den Tatorten eintrafen. "Ich habe sie angerufen, aber sie kamen nicht", sagt Sunday Dawum zu der Nachrichtenagentur AP. Der Angriff habe um sechs Uhr abends begonnen, doch die Sicherheitskräfte seien erst am nächsten Morgen um sieben Uhr eingetroffen. Amnesty International wirft dem Militär und der Polizei vor, beim Schutz der Bevölkerung einmal mehr "versagt" zu haben.

Der Kommandeur einer in Plateau stationierten Spezialtruppe, Abdullsalam Abubakar, versprach indessen öffentlich: "Wir werden nicht ruhen, bis wir alle Schuldigen dieser schauerlichen Tat vor Gericht gestellt haben." Bisher wurde von Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit früheren Überfällen nichts bekannt. "Manchmal behaupten sie, jemanden festgenommen zu haben, ohne dass sie das belegen können", kritisiert Nigerias Amnesty-International-Direktor Isa Sanusi das Vorgehen der Behörden: "Das unverschämte Unvermögen der Regierung wird allmählich zur Norm." Dabei hatte Staatspräsident Bopla Tinubu bei seiner Amtseinführung Anfang dieses Jahres noch versprochen, die berüchtigt schlechte Sicherheitslage in dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas "entscheidend zu verbessern". (Johannes Dieterich, 27.12.2023)