Wienerberger-Vorstandsvorsitzender Heimo Scheuch
Auch Wienerberger spürt den Rückgang am Bau, muss Werke einmotten und Mitarbeiter freistellen. Generaldirektor Heimo Scheuch plädiert neben Steuersenkungen auch für günstigere Kredite.
© Christian Fischer

Heimo Scheuch, Chef des Ziegel- und Baustoffkonzerns Wienerberger, ist von Haus aus Optimist. Die multiplen Krisen, mit denen wir es derzeit tun haben, lassen sich mit vereinten Kräften überwinden, ist er überzeugt. Das Gespräch fand im Wintergarten des Hotel Bristol in Wien statt.

STANDARD: Österreich steckt in einer Rezession, die Inflation erweist sich als hartnäckig, die Bauleistung geht zurück. Wie schlimm ist es?

Scheuch: Man soll nicht in den Weltuntergangsgesang einstimmen, sondern nüchtern sehen, was Sache ist.

STANDARD: Und was ist Sache?

Scheuch: Die Inflation war und ist hoch, sie ist aber auch hausgemacht. Wir haben uns an niedrige Zinsen gewöhnt, damit ist eine gewisse Leichtigkeit bei Investitionen und Verschuldung einhergegangen. Es war zu viel Geld da, eine Zinserhöhung musste kommen. Dass die Zinsschritte dann so schnell und brutal erfolgt sind, hat vor allem den Immobiliensektor hart getroffen, aber auch Unternehmungen, die hochverschuldet waren und sich plötzlich mit einer hohen Zinslast konfrontiert sahen. Auf diese Umstände müssen wir uns einstellen. Bei Wienerberger haben wir gelernt, uns neu aufzustellen, innovativer zu werden, Kosten zu optimieren. Das hätten die Staaten in Europa auch tun müssen.

STANDARD: Was nicht geschah?

Scheuch: Leider. Jeder hat geglaubt, dass man sich nicht groß darum kümmern muss. Zusätzlich ist während der Covid-Pandemie durch Zuschüsse und Förderungen vieles gedeckt worden.

STANDARD: Zurück zur Frage – wie schlimm ist es?

Wienerberger-Vorstandsvorsitzender Heimo Scheuch
"Wenn man hört, wie viele Jugendliche beispielsweise an Post-Covid leiden, ist das ernst zu nehmen": Wienerberger-Chef Heimo Scheuch.
© Christian Fischer

Scheuch: Wirtschaftliche Einbrüche gibt es immer wieder, damit lernt man umzugehen. Was aber in der Gesellschaft passiert, wie sich die Krise dort auswirkt, macht mir schon Sorgen. Wenn man hört, wie viele Jugendliche beispielsweise an Post-Covid leiden, ist das ernst zu nehmen.

STANDARD: Viele sehen nur einen Berg Probleme, keine Lösung.

Scheuch: Wir können den Sand in den Kopf stecken oder mit Optimismus die Herausforderungen angehen. Ich plädiere für Zweiteres. Es war der große österreichische Ökonom Josef Schumpeter, der von schöpferischer Zerstörung gesprochen hat, aus der erst Neues entstehen kann. Wir sollten uns auch den alten Song der Münchner Freiheit "Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt" in Erinnerung rufen und nicht nur reden, sondern tun.

STANDARD: Wie stark ist Wienerberger vom Rückgang der Bauleistung betroffen?

Scheuch: Wir spüren die verringerte Nachfrage. Das hat lokale Anpassungen bei der Planung der Produktionsmengen und Auslastung der Mitarbeiter zur Folge, die wir versuchen durch länger geplante Wartungsarbeiten, reduzierte Schichtmodelle oder Frühpensionierungen zu kompensieren. Wir müssen aber auch Menschen freistellen oder in Winterarbeitslosigkeit schicken.

STANDARD: Wie viele sind betroffen?

Scheuch: Von den mehr als 200 Werken werden wir zehn bis 20 einmotten, von den weltweit rund 19.000 Mitarbeitern sind in Summe einige Hundert betroffen.

STANDARD: Sie sind seit 2009 CEO von Wienerberger, mussten seither diverse Krisen managen. Was unterscheidet die jetzige Krise von früheren?

Scheuch: Der wesentlichste Unterschied ist, dass es einen Riesenbedarf gibt an leistbaren Wohnungen, Infrastruktur und Sanierung. Das stimmt mich optimistisch. 2009, ein ebenfalls schwieriges Jahr, gab es hingegen einen Überhang an Angebot und wenig Nachfrage.

STANDARD: Welchen Einfluss hat die Geopolitik auf die Bauwirtschaft?

Scheuch: Es gibt geteilte Meinungen dazu. Ich sage – wenig. Getrieben wird das ganze durch Faktoren wie Finanzierbarkeit, Zins- und Einkommensniveau, aber auch von einer Portion Psychologie. Wenn jeder sagt, jetzt investiere ich nicht, weil ich nicht weiß, wie es nächstes Jahr aussieht, ist das ein Problem. Europa muss in diesem nicht einfachen geopolitischen Umfeld Flagge zeigen und sagen, wir kriegen das hin.

STANDARD: Wir stecken mitten im Umbau, alles soll nachhaltiger werden. Klimaschützern geht es zu langsam, manche kleben sich auf den Straßen fest?

Wienerberger-Vorstandsvorsitzender Heimo Scheuch
"Zu schnell in zu kurzer Zeit führt zu Chaos": Wienerberger-Chef Heimo Scheuch.
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Scheuch: Ein mahnendes Wort von mir: Zu schnell in zu kurzer Zeit führt zu Chaos und zu einer Situation, wo keiner mehr weiß, wo es langgeht. Ich warne davor, den Umbau der Wirtschaft so religiös und fast sektenhaft zu betreiben. Wir sind eine reife Gesellschaft, die schrittweise vorankommt. Mit Ho-Ruck-Aktionen gefährdet man nicht nur den Wirtschaftsstandort, sondern auch die Stabilität in der Gesellschaft. Dann bekommen Strömungen Auftrieb, die destruktiv sind und nicht im Interesse der Demokratie agieren.

STANDARD: Sanierung ist eine Möglichkeit, Emissionen von CO2 zu senken. Aber selbst vor der Krise gab es da kaum Fortschritte.

Scheuch: Es gibt eine Ankündigungspolitik, nicht nur auf nationaler Ebene. Der von der EU-Kommission ausgerufene Green Deal ist psychologisch wichtig, um Aufbruchstimmung zu erzeugen. Dem muss etwas folgen. Konkrete Maßnahmen sehe ich derzeit leider nicht.

STANDARD: Was müsste geschehen, damit Altgebäude in überschaubarer Zeit klimafit werden?

Scheuch: Die Mehrwertsteuer auf Sanierungen und Sanierungsleistungen senken, von 20 auf beispielsweise fünf Prozent. Ich bin überzeugt, dass dadurch viel privates Geld in die Sanierung fließen würde – mit zwei Riesenvorteilen: Erstens gäbe es ein höheres Steueraufkommen, weil mehr investiert wird. Zweitens würde man Eigenheimbesitzer ermutigen, offiziell zu machen, was bisher oft im Dunkeln – sprich an der Steuer vorbei – geschieht. Sie erhalten Zertifikate, Rechnungen, Gewährleistungsansprüche – eine Win-win-Situation. Wenn das alle Staaten in Europa täten, gäbe es auch keine Wettbewerbsverschiebungen. Man könnte sich zudem überlegen, für Sanierungsleistungen günstigere Kredite zur Verfügung zu stellen, abhängig vom Einkommen.

STANDARD: Da gibt es sicher Menschen mit Bedenken, die sagen, warum das nicht geht.

Scheuch: Ich bin dafür, dass man gewisse Themen entpolitisiert in der EU. Der Wohnbau und die Sanierung sind höchst politische Themen, die sich alle auf ihre Fahnen heften wollen. Würde man Ökologie, Nachhaltigkeit und die Bekämpfung des Klimawandels in den Vordergrund stellen, wäre das zielführender.

STANDARD: Was heißt für Wienerberger die bei der Weltklimakonferenz in Dubai getroffene Vereinbarung, etwas verkürzt dargestellt, Öl und Gas weitgehend durch erneuerbare Energien zu ersetzen?

Scheuch: Für uns ist das kein Problem. Heute schon läuft in mehr als einem Drittel unserer gut 200 Werke alles mit Strom, der Rest wird schrittweise folgen, wir sind dran.

STANDARD: Ziegel brennen ohne Einsatz von Gas?

Wienerberger-Vorstandsvorsitzender Heimo Scheuch
Die Umstellung auf Strom in der Ziegelproduktion sei voll im Gang, sagt Wienerberger-Chef Heimo Scheuch.
© Christian Fischer

Scheuch: Früher hat man das mit der Sonne gemacht oder mit Holz. Es steht eine Vielzahl an Energieträgern zur Verfügung. Wichtig ist, dass sie nachhaltig sind und leistbar. Wenn wir heute von Gas auf Strom wechseln, geht damit eine Einsparung von mehr als 50 Prozent im Energieverbrauch einher, weil Strom in der Brenntechnik effizienter eingesetzt werden kann, ein großer Vorteil.

STANDARD: In Österreich will man den Bau von Holzhäusern forcieren – eine gute Idee?

Scheuch: Das macht man seit 50 Jahren, und 50 Jahre macht man es falsch. Holz hat seine Berechtigung. Wenn man aber in einem Land, das immer wärmer wird, mit Leichtbauweise agiert, gibt es einen Riesenbedarf, dieses Haus zu kühlen, weil es keine Masse hat. Somit schafft man sich das nächste Problem. Vor dieser Kurzsichtigkeit warne ich.

STANDARD: Die Physik lässt sich nicht austricksen?

Scheuch: Nein. Stattdessen versucht man mit Hochtechnologie, ein erträgliches Raumklima zu schaffen. Das führt wieder zu erhöhtem Energieverbrauch und Kosten. Mit einer massiven Bauweise hingegen lässt sich tatsächlich Energie sparen.

(INTERVIEW: Günther Strobl, 28.12.2023)