Es ist in die Jahre gekommen, doch es liefert knapp die Hälfte des Stroms, den Ungarn verbraucht: das Atomkraftwerk Paks. Für die ungarische Regierung haben die Blöcke damit hohe Priorität – wenngleich unter anderem das Nachbarland Österreich wiederholt Sicherheitsbedenken geäußert hat. Das gilt für die vier alten Blöcke sowie für die zwei neuen geplanten Reaktoren von Paks II, das das Kraftwerk aus den 1980ern ersetzen sollen. Nicht zuletzt vermuten einige unter dem Standort eine aktive tektonische Verwerfung.

Der Bauplan für den neuen Atommeiler hat sich ein ums andere Mal verzögert, doch jetzt geht es voran: Im Dezember erteilte die ungarische Atombehörde die Bewilligung für die Baugrube. Die Arbeiten laufen bereits, der Boden ist einige Meter tief ausgehoben. Der nötige Sicherheitsbericht für die neuen Reaktoren steht allerdings schon seit mehreren Jahren aus.

Ein Bagger bereitet die Baugrube für Ungarns neues Kernkraftwerk Paks II vor.
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Den Plan für das neue Kraftwerk gibt es bereits seit rund 15 Jahren, schließlich sind die Jahre der alten Blöcke gezählt: Sie wurden zwischen 1982 und 1987 gebaut – ursprünglich für eine Laufzeit von 30 Jahren. 2006 verlängerte Ungarn ihre Lebensdauer um weitere 20 Jahre. Jetzt denkt die ungarische Regierung eine weitere Verlängerung an: bis 2050.

Damit könnten die alten Blöcke knapp zwei Jahrzehnte lang gleichzeitig mit dem neuen Kraftwerk laufen. Paks II, so plant es zumindest die ungarische Regierung, soll bis Anfang der 2030er fertig werden. Ob das aber wirklich gelingt, ist fraglich. Noch stehen bei dem Projekt mit Umweltauflagen bis hin zu Lieferschwierigkeiten des russischen Unternehmens Rosatom einige Hürden im Weg.

Donau schon heute zu stark erhitzt

Etwa ist fraglich, wie die Blöcke gekühlt werden sollen. Bereits heute erhitzt das alte AKW Paks die Donau an heißen Sommertagen stärker als erlaubt. Das zeigten Temperaturmessungen, die die ungarische Investigativplattform Átlátszó in den vergangenen Sommern regelmäßig durchgeführt hat. Denn das Kühlwasser wird in die Donau zurückgeleitet. 500 Meter flussabwärts darf der Fluss dann nie mehr als 30 Grad bekommen.

Zwar zeigten offizielle Daten vergangenen Juli Höchstwerte der Wassertemperatur von 29,7 Grad. Átlátszó-Journalistinnen maßen an verschiedenen Punkten in der Donau beim Atomkraftwerk im Juli allerdings bis zu 31 Grad. Die Reaktion der Betreiber sei nicht angemessen, so ihr Schluss. Die Kommunikation sei intransparent und nicht nachvollziehbar: Nicht zuletzt deshalb, weil die offiziellen Messungen lediglich einen Durchschnittswert der Donau angeben würden, statt Punktmessungen ernst zu nehmen, kritisierte Átlátszó.

Sorgen bereitet auch der niedrige Wasserstand der Donau rund um Paks. Seit 20 Jahren wurde ein solcher Tiefstand der Donau gemessen wie in diesem Jahr. Schon 2013 kam ein Forschungsbericht zur Vorbereitung für Paks II zu dem Schluss, dass sich dies "sehr negativ auf die geplante externe Kühlwasserversorgung für die Erweiterung und den sicheren zukünftigen Betrieb der Anlage auswirken" könne.

Auch grenzüberschreitend birgt der Standort Risiken. Dort, wo heute die Baugrube für die zwei neuen Reaktoren ausgehoben wird, befindet sich die Bruchlinie einer tektonischen Verwerfung. Kommt es zu einem Erdbeben, könnten die Reaktoren abrupt versetzt werden, warnen Fachleute.

Rosatom im Schleuderkurs

Doch nicht nur der Standort ist eine Hürde, auch jenes Unternehmen, das die Bauteile liefern soll, steht in der Kritik: Rosatom aus Russland. Es ist einer der weltweit größten Lieferanten von Kernbrennstoffen und -technologien – doch wie die Nachrichtenseite "Bloomberg" mit Verweis auf technische Dokumente und Regierungsbeamte berichtet, bringen die Sanktionen gegen Russland das Unternehmen zunehmend in die Bredouille.

"Wir sehen eine Organisation unter hohem Druck und mit vielen Problemen", sagt Frederic Hauge von der Organisation Bellona mit Sitz in Norwegen. Immer wieder sei es in den vergangenen Jahren zu verzögerten und fehlerhaften Lieferungen gekommen.

Rosatom-CEO Alexei Lichatschow (links) und der ungarische Staatssekretär für Außenpolitik und Handel, Levente Magyar (rechts), gaben im September eine Pressekonferenz zur ersten Bauphase des geplanten Kraftwerks.
EPA/TIBOR ILLYES

Wie groß die Probleme sein könnten, habe kürzlich ein Vorfall in Belarus gezeigt, so Hauge weiter. Das dortige neue Vorzeigeprojekt von Rosatom, das AKW Astravets, musste im Testlauf gestoppt werden, weil Harz in den Primärkreislauf gelangte und kritische Komponenten zu blockieren drohte.

Gefragte Reaktorserie

Der Zwischenfall in Belarus ist international relevant: Der Reaktor stammt aus einer besonders erfolgreichen Serie. Das Modell VVER-1200 gilt als moderner Reaktor, den neben Belarus auch China, Ägypten, Indien sowie Ungarn – für Paks II – bestellten. Es sei ausgestattet mit Sicherheitsstandards, die eine Kernschmelze wie in Tschernobyl praktisch unmöglich machen, wirbt Rosatom. Doch die Panne in Belarus weckt neue Sorgen. Noch ist nicht klar, ob ein Problem mit dem Modell an sich vorliegen könnte.

Aus der Sicht der ungarischen Regierung heißt es dennoch weiterhin: Paks II habe besondere wirtschaftliche Bedeutung für Ungarn. Es ist das aktuell größte neue Atomkraftprojekt in Europa.

Der Leiter der Vertretung von Budapest in Brüssel, Benedek Jávor, wiederum deutet die angedachte Laufzeitverlängerung von Paks I bis 2050 als ein Zeichen, dass sich die ungarische Regierung bereits auf den Fall vorbereite, die neuen Meiler nicht fertigstellen zu können. "Die Regierung sieht sich bereits nach Alternativen zu russischen Lieferungen von Kernbrennstoffen um. Sie wissen, dass ein russischer Ausfall nicht ausgeschlossen ist", meint er. Wind- und Solarprojekte könnten bis 2050 leicht in einem Maßstab ausgebaut werden, um die Stromversorgung sicherzustellen, wenn Paks I dann letztendlich vom Netz gehe. (Alicia Prager, Melanie Raidl, 28.12.2023)