Die Terrorgefahr ist aus Sicht von Staatsschützern nach den jüngsten Inhaftierungen noch nicht gebannt. Silvester bleibt dem Vernehmen nach ein neuralgisches Datum für einen potenziellen Anschlag.
APA/MAX SLOVENCIK

Am Tag vor Weihnachten erfolgte der Zugriff. Die Exekutive nahm eine dreiköpfige mutmaßliche Jihadistenzelle in einer Ottakringer Asylunterkunft in Wien fest. Laut Staatsschützern gehören die Verdächtigen dem sogenannten "Islamischen Staat Provinz Khorasan" (ISKP) an, dem derzeit führenden und gefährlichsten Ableger der Terrormiliz, der in weiten Teilen Afghanistans, Pakistans, Irans und Zentralasiens aktiv ist. Die angebliche Gruppe, zwei Männer und eine Frau, seien Teil eines transnationalen Netzwerks, das koordinierte Anschläge in Wien, Köln und Madrid geplant habe. In Österreich soll der Wiener Stephansdom ein potenzielles Ziel gewesen sein.

Nun sind erste Details zu den Terrorverdächtigen bekannt geworden. Ein in Deutschland lebender und amtsbekannter Tadschike (30) sei Anfang Dezember nach Wien gereist, um den Stephansdom genauestens auszukundschaften. Dafür habe der Verdächtige den Dom von allen Seiten gefilmt, auf Überwachungskameras überprüft und auch das Gemäuer abgeklopft. Aber nicht nur das: Der Tadschike soll sich auch in Richtung Prater Hauptallee im zweiten Wiener Gemeindebezirk aufgemacht haben, um dort zu fotografieren – zuletzt angeblich am 19. Dezember. Das wird dem STANDARD aus Sicherheitskreisen bestätigt und geht aus der Festnahmeanordnung hervor. Die Gratiszeitung "Heute" hatte zuerst darüber berichtet.

Auch der Kölner Dom wurde fotografiert

Zwischen 8. und 20. Dezember sei es schließlich zu persönlichen Kontakten mit offenbar Gleichgesinnten in Österreich gekommen. Der mutmaßliche Drahtzieher aus Deutschland verließ zwischenzeitlich das Land in Richtung Türkei, um dann noch einmal zurückzukehren. Angeblich soll er auch im Besitz von Fotos des Kölner Doms gewesen sein.

Das passt zu dem Fall in Deutschland. Wie die Boulevardzeitung "Bild" berichtete, habe ein 30-jähriger Tadschike in den vergangenen Wochen auch den Kölner Dom und den dortigen Hauptbahnhof ausgespäht. Der Terrorverdächtige befindet sich in Deutschland in Gewahrsam. Ob es sich dabei um den gleichen Mann handelt, bleibt vorerst unklar. Es deutet aber vieles darauf hin.

Zurück nach Wien. Am Tag vor Weihnachten kam es schließlich zu einer Reihe von Festnahmen. Allerdings stand dabei angeblich nicht der Fotograf im Fokus, sondern seine mutmaßlichen Komplizen, ein 28-jähriger Tadschike und seine türkischstämmige Ehefrau. Sichergestellt wurden auch Datenträger und 6.000 Euro in bar.

Ebenfalls in Haft befindet sich ein 47-jähriger Tschetschene. Laut seinem Anwalt Florian Kreiner habe der aber nichts mit Terrorismus am Hut, sagte Kreiner dem STANDARD. Er sei lediglich der Nachbar. Die mutmaßliche Jihadistenzelle will sein Mandant gar nicht kennen. Kreiner hat deshalb bereits eine Haftbeschwerde eingebracht.

Österreichs Ermittler sind derweil mit der Auswertung der sichergestellten Smartphones beschäftigt. Die Untersuchungshaft gegen die drei Verdächtigen läuft noch bis 8. Jänner. Dann wird die Lage neu bewertet.

Die Tadschiken-Connection

Der stellvertretende Chef des österreichischen Staatsschutzes, Michael Lohnegger, verwies am Freitagvormittag vor Journalistinnen und Journalisten darauf, dass seine Behörde seit März darauf hinweise, welche Gefahr vom "Islamischen Staat Provinz Khorasan" ausgehe, dass dieser – wie nun einmal mehr deutlich wird – in Westeuropa Anschläge plane. Die Jihadistenmiliz sei auch seit längerem mit Mitgliedern in Österreich präsent. Der Staatsschutz beobachte zudem, dass der ISKP bewusst Kader des IS nach Europa schicke, um Anschläge zu begehen. Ob auch die mutmaßliche Jihadistenzelle in Wien über eine koordinierten Fluchtbewegung nach Österreich kam, dürfte dem Vernehmen nach aktuell noch Teil von Ermittlungen sein.

Erst im Sommer wurde in Deutschland eine siebenköpfige Zelle festgenommen, die im Jahr 2022 und kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs aus der Ukraine eingereist war. Fünf der Verdächtigen waren Tadschiken.

Vereinzelt konnten auch in Österreich schon Verbindungen zu tadschikischen Jihadisten festgestellt werden. So soll eine entsprechende Terrorzelle aus Deutschland angeblich Teil eines Netzwerks gewesen sein, dem auch der Wiener Attentäter angehört habe, der am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt vier Menschen ermordet und etliche weitere verletzt hatte, ehe er selbst erschossen wurde. Auch einem heuer im Dezember abgeschobenen "Alphatier" der Jihadismusszene in Österreich wird eine enge Bindung zur jihadistischen Tadschikenszene in Deutschland nachgesagt.

Hinsichtlich sämtlicher Veranstaltungen zum Jahreswechsel, also Silvesterfeiern, betonte Lohnegger, dass es aktuell keine konkrete Gefährdung gebe. Allerdings spricht er von einer "latent erhöhten Gefährdungslage" in Österreich hinsichtlich eines potenziellen Terroranschlags und warnte in dieser Hinsicht auch vor Einzeltäter, die sich über das Internet radikalisieren. (Jan Michael Marchart, 29.12.2023)