Spöttisch lächelnd ließen sich Artyom Kamardin und Jegor Schtowba im Gerichtssaal fotografieren und winkten in die Kamera. Dabei hätten die beiden jungen Russen gar nichts zu lachen gehabt: Denn der 33-jährige Kamardin erhielt am Donnerstag eine siebenjährige Haftstrafe – bloß für das Vortragen eines Gedichts bei einer Kundgebung gegen die Mobilisierung für den Ukraine-Feldzug; und der 23-jährige Schtowba wurde zu fünfeinhalb Jahren verurteilt – bloß, weil er an dem Protest teilgenommen hatte.

Artyom Kamardin und Jegor Schtowba am Donnerstag vor der Urteilsverkündung.
Artyom Kamardin und Jegor Schtowba am Donnerstag vor der Urteilsverkündung.
AFP/ALEXANDER NEMENOV

Noch unmittelbar vor seiner Verurteilung trug Kamardin laut Agence France Presse (AFP) demonstrativ gut gelaunt ein Gedicht vor: Darin sinnierte er über die Poesie, die oft "herzzerreißend" sei, die aber von "an die Ordnung gewöhnten Menschen" oft abgelehnt werde.

Im Verlauf des Verfahrens hatte Kamardin ausgesagt, während bzw. nach seiner Festnahme von Polizeibeamten vergewaltigt und gezwungen worden zu sein, ein Video anzufertigen, in dem er sich für seine Tat entschuldigte – währenddessen hätten die Polizeibeamten seinen ebenfalls festgenommenen Partner bedroht.

"Töte mich, Milizionär"

Die Geschichte nahm ihren Lauf, als Kamardin im September 2022 auf einem Moskauer Platz, auf dem sich seit der Sowjetzeit immer wieder Dissidenten versammeln, sein Gedicht Töte mich, Milizionär vorgetragen und Wladimir Putins imperialistische Pläne für ein "Neurussland" kritisiert hatte. Kamardin und Schtowba wurden daraufhin festgenommen und in U-Haft gesteckt.

Nun wurden die beiden wegen "Aufstachelung zum Hass" und wegen "Aufrufs zu staatsgefährdenden Aktivitäten" verurteilt. Im Prozessverlauf beteuerte Kamardin, er habe nicht gewusst, dass seine Handlungen gegen das Gesetz verstoßen, und bat um Gnade. "Ich bin kein Held, und ich hatte nie vor, für meine Überzeugungen ins Gefängnis zu gehen." Schtowba sagte aus: "Was habe ich getan, das illegal ist? Gedichte gelesen?"

"Absoluter Skandal"

Nach der Verlesung des Urteils riefen Anhänger der beiden jungen Männer "Schande!". Einige von ihnen wurden von der Polizei außerhalb des Gerichtsgebäudes festgehalten, berichtete ein AFP-Reporter.

Von einem "absoluten Skandal" sprach auch der Vater eines der beiden Verurteilten, während die Frau Kamardins zu AFP sagte: "Das ist ein sehr hartes Urteil. Sieben Jahre für Gedichte, für ein nicht gewalttätiges Verbrechen." Unmittelbar danach wurde auch sie von Polizeibeamten abgeführt.

Diese Urteile sind bloß die jüngsten in einer mittlerweile langen Reihe: Mitte November wurde etwa die Künstlerin Alexandra Skotschilenko zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie im Supermarkt Preisschilder gegen Antikriegsslogans getauscht hatte. (gian, 29.12.2023)