Silvester ist die Zeit der Neujahrsvorsätze – sei es aufhören zu rauchen, mehr Sport zu betreiben, ­gesünder zu essen oder etwas weniger zu arbeiten. Und auch wenn die meisten dieser Absichten unerfüllt bleiben, glauben viele Menschen an die Kraft dieses Augenblicks, um ihr Leben zu verändern.

Sie haben damit recht, sagt Katy Milkman, eine US-Verhaltensökonomin, die Strategien für persönliche Verhaltensveränderungen erforscht und entwickelt. Denn es mache einen entscheidenden Unterschied, wann man einen Vorsatz fasse. "Wenn es ein Moment ist, der sich wie ein Neuanfang anfühlt, dann ist die Wirkung viel stärker", sagt Milkman in einem STANDARD-Interview, das über Zoom geführt wurde. Deshalb sei es etwa viel leichter, junge Eltern von einem gesünderen Umgang mit ihren Neugeborenen zu überzeugen als etwa der Versuch, Erwachsene für die Grippeimpfung zu gewinnen. "Die Geburt eines Kindes ist ein Wendepunkt, und da ist jeder zu Änderungen bereit", sagt sie. Und deshalb ist der 1. Jänner ein besserer Tag, etwas Neues anzugehen, als der 4. Februar.

Gegen den inneren Schweinehund

In ihrem 2021 erschienenen Buch How to Change: The Science of Getting from Where You Are to Where You Want to Be beschreibt Milkman, die an der renommierten Wharton Business School der Universität von Pennsylvania in Philadelphia unterrichtet, eine ganze Reihe von Methoden, wie sich der innere Schweinehund und andere Hürden für ein vernünftigeres Leben nehmen lassen. Vieles davon mag bekannt sein und banal klingen, aber Milkman, die ihre akademische Laufbahn mit einem Technikstudium in Operations Research begonnen hat, grenzt sich scharf von üblichen Ratgebern ab. Ihre Empfehlungen basieren auf Forschungsergebnissen, betont sie: "Hört nicht auf die Selbsthilfe-Gurus, sondern schaut auf wissenschaftliche Beweise."

Vieles davon hat die 40-Jährige in ihrem eigenen Leben angewandt. Als sie als Studentin Studien zu lesen bekam, die zeigten, um wie viel ein wenig Bewegung die Lebenserwartung erhöht, beschloss sie, ihr eigenes Leben zu verändern. Doch wie könne sie sich überwinden, regelmäßig ins Fitnessstudio oder Laufen zu gehen?

Milkman fand ihre Antwort in einem Lied aus dem Disney-Musical Mary Poppins: "wenn ein Löffelchen voll Zucker bittre Medizin versüßt". Sie nahm sich vor, Harry Potter zu lesen, während sie auf dem Hometrainer radelte – und nur dann. Und Netflix-Shows gab es nur beim Bügeln. "Versuchungsbündelung" nennt sie diese Strategie, die Schönes mit Unangenehmem verbindet. "Du musst deinen Zugang zu angenehmen Dingen mit dem Nützlichen verbinden, dann kanalisierst du deine Versuchung in die richtige Richtung", sagt Milkman. So sei es auch in Schulen sinnvoll, den Unterricht von Mathematik und Musik nicht zu trennen, sondern zu verbinden – und dabei auch gleich ein paar Süßigkeiten an die Kinder zu verteilen.

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Wer Fitnessübungen mit einer anderen Tätigkeit verbindet, die viel Freude macht, kommt viel eher ans Ziel.
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Schokolade wirkt bei Erwachsenen weniger, vor allem wenn es ums Abnehmen geht. Spielerische Herausforderungen tun es sehr wohl, und Milkman sieht in "Gamification" einen Weg zur schnellen Belohnung für das Erreichen von Zielen – durch Punkte, Auszeichnungen und andere symbolische Belohnungen, wie sie in Videospielen üblich sind. "Gamification funktioniert gut, wenn es freiwillig ist und Spaß macht, aber nicht, wenn es einem aufgezwungen wird", schränkt Milkman ein.

Selbst auferlegte Verpflichtungen

Altersvorsorge ist ein Gebiet, in dem verhaltensökonomische Strategien besonders wirkungsvoll sein können. Denn die meisten Menschen sparten zu wenig, weil sie kurzfristigen Konsumversuchungen nachgäben, sagt Milkman. Ein Ausweg seien "Commitments" – Verpflichtungen, die man eingeht und deren Bruch zu Strafen führt: Sei es die private oder öffentliche Konfrontation mit dem eigenen Versagen, sei es ein finanzieller Verlust. Ein gutes Beispiel dafür sind Lebensversicherungen, deren vorzeitige Auflösung mit einem hohen Verlust verbunden ist.

Aber selbst dann würden viele Menschen rückfällig werden – eine Erfahrung, die all jene Menschen machen, die eine Lebensversicherung vorzeitig mit hohem Verlust auflösen.

Milkman beschreibt zwei Typen von Menschen: jene, die überzeugt sind, dass sie solche Verpflichtungen nicht benötigen, weil ihr Wille angeblich stark genug sei, und solche, die ihre eigenen Schwächen kennen. "Die Letzteren sind viel eher in der Lage, sich zu ändern", sagt sie. Aber selbst unter ihnen werden viele rückfällig, was man etwa an der ­großen Zahl vorzeitig aufgelöster Lebensversicherungsverträge sieht.

"Hört nicht auf die Selbsthilfe-Gurus, sondern schaut auf wissenschaftliche Beweise."  - Verhaltensökonomin Katy Milkman

Vergesslichkeit ist ein weiterer Faktor, der Menschen davon abhält, das Richtige zu tun. Hier sei es hilfreich, Menschen nicht nur allgemein an etwas zu erinnern, sondern sie dazu zu drängen, einen genauen Zeitplan zu machen – und ihnen kurz vor dem Termin eine Erinnerung zu schicken. Mit einer solchen Taktik sei es etwa Parteifunktionären bei Wahlen in US-Bundesstaaten gelungen, mehr Menschen an die Urne zu bringen und so nicht nur die Beteiligung, sondern auch das Wahlergebnis zu beeinflussen.

Die "Nudging"-Methode

Milkmans Methoden sagen auch der Faulheit den Kampf an. "Die meisten gehen den Weg des geringsten Widerstands", bei dem sie wenig nachdenken oder tun müssen, beschreibt sie das Problem. Doch diese Schwäche kann auch zu etwas Gutem führen, wenn sie richtig gesteuert wird. Milkman verweist hier auf die Strategie des "Nudging", die Richard Thaler und Cass Sunstein in ihrem Bestseller Nudge entwickelt haben: Ohne Zwang werden Menschen dazu gebracht, das für sie Bessere zu tun.

Gute Beispiele dafür sind automatische Sparpläne, aus denen man bewusst aussteigen muss, wenn man nicht teilnehmen will, oder Supermarktregale, bei denen das gesunde Essen auf Augenhöhe liegt. Milkman beschreibt in ihrem Buch etwa eine Software für Mediziner, in der generische Arzneien automatisch angezeigt werden und sich die Ärztin oder der Arzt erst durch Weiterscrollen für ein teureres Markenpräparat entscheiden kann.

Katy Milkman, Professorin an der Wharton School of Business.
Katy Milkman, Professorin an der Wharton School of Business.
Peter Murphy

Doch solche schnellen Lösungen funktionierten bei Menschen selten, sagt Milkman. Oft sei es dann notwendig, dass sie selbst gute Gewohnheiten entwickelten, und das brauche Zeit. "Gewohnheiten sind wie ein Autopilot für gutes Verhalten." Wichtig sei dabei, den richtigen Mittelweg zwischen übertriebener Striktheit und allzu viel Flexibilität zu finden. "Zu viel Rigidität ist der Feind einer guten Gewohnheit." Aber Regelmäßigkeit, etwa beim Besuch des Fitnessstudios, sei ihr Verbündeter.

Um positive Verhaltensänderungen zu erleichtern, helfen auch die Stärkung des Selbstvertrauens in die Fähigkeit, sich zu ändern, sowie sozialer Druck. Allerdings verweist Milkman hier auf zahlreiche Fälle, in denen das positive Vorbild der anderen mehr geschadet als genützt hat, weil es den Betroffenen das Gefühl gab, dass sie hoffnungslos unterlegen seien. Deshalb sei es zwar gut, wenn schwächere Schülerinnen und Schüler von ­etwas leistungsfähigeren Klassenkameraden umgeben seien. In einer Klasse von Genies aber würden sie allzu leicht völlig aufgeben. Öffentliche Bloßstellung oder allzu starker sozialer Druck seien deshalb kontraproduktiv.

Bei allem Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse – oder gerade deshalb – hält Milkman wenig von vorgegebenen Patent­rezepten. Man müsse unzählige Methoden in kontrollierten Experimenten ausprobieren und die Ergebnisse dann unvoreingenommen bewerten, um dann die richtigen Empfehlungen geben zu können. Was plausibel erscheine, sei oft erfolglos, erst durch ein bestimmtes Detail entfalte eine gewisse Strategie ihre Wirkung.

So habe sich bei öffentlichen Impfkam­pagnen herausgestellt, dass es besonders geschickt sei, wenn den Menschen bereits ein ­fixer Termin zugeteilt wird. "Wenn die Botschaft lautet: Eine Impfung ist für euch reserviert, dann entsteht ein Besitzereffekt bei den Empfängern. Das ist viel besser, als sie nur ans Impfen zu erinnern."

Fehler in der Corona-Pandemie

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie sei Wissenschaft zu selten zur Anwendung gekommen, kritisiert Milkman: "Zu viele Entscheidungen sind aus dem Bauch heraus gefallen und nicht auf Basis von Evidenz." Dabei seien vor allem die Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften ignoriert worden. "Der größte Fehler war, dass die Politik davon ausgegangen ist, die Menschen würden die Impfung schon annehmen, weil die Wissenschaft das empfiehlt", sagt Milkman. "Wir hätten uns mehr damit beschäftigen müssen, wie die Menschen Entscheidungen treffen, mit denen sie sich wohlfühlen. Das ist in der Pandemie nicht geschehen."

Verhaltensänderungen, sei es bei sich selbst oder in der Gesellschaft, blieben stets eine schwierige und langwierige Aufgabe, "eher wie die Therapie für eine chronische Krankheit als die Behandlung eines Ausschlags". Man dürfe sich nie auf seinen ­Lorbeeren ausruhen und müssen wissen, dass Rückfälle immer möglich seien. Je ­einfacher die Lösung, desto besser, glaubt
Milkman. "Wenn es eine Pille für ein Pro­blem gibt, dann nehmt die Pille, aber probiert auch psychologische Lösungen", empfiehlt sie. Den Unternehmen, die sie berät, helfe das nicht: "Es gibt keine Pille für Produktivität."