Leerer Gang im Landesgericht für Strafsachen Wien
Übertrieben hektische Betriebsamkeit herrscht am letzten Arbeitstag des Jahres 2023 im Landesgericht für Strafsachen Wien nicht, einen interessanten Fall gibt es aber trotzdem.
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Wien – Richterin Tea Krasa gebührt eine besonders lobende Erwähnung, verhandelt sie doch am letzten Arbeitstag des Jahres im Landesgericht für Strafsachen Wien. Vor ihr sitzt der unbescholtene Herr K., ein 43-jähriger Arbeiter, dem fortgesetzte Gewaltausübung über eine ungewöhnlich lange Zeit ebenso wie beharrliche Verfolgung vorgeworfen wird. Von 2009 bis 2020 soll er seine Gattin mindestens einmal pro Woche geschlagen haben, als sie im Sommer 2020 schließlich auszog, habe er sie täglich mehrmals angerufen,und sei bei ihrer Wohnung und ihrem Arbeitsplatz erschienen, wirft ihm der Staatsanwalt vor.

Der Kosovare leugnet das vehement. "Sie lügt!", behauptet er, verwickelt sich in seiner Einvernahme aber mehrmals in merkliche Widersprüche. Beispielsweise bei der Frage nach einer Scheidung. "Haben Sie je darüber gesprochen?", will Krasa wissen. "Ja", lautet K.s knappe Antwort. "Wer hat das Thema angesprochen?" – "Es war beidseitig." – "Haben Sie jetzt einen Scheidungstermin?" – "Nein." – "Warum in aller Welt nicht?Ihre Frau hat einen neuen Partner, und hat Sie im Sommer angezeigt!" – "Ich habe keine Antwort auf die Frage." – "Ihre Frau schon! Die hat gesagt, dass sie 2022 schon viermal beim Bezirksgericht waren, aber Sie immer gedroht haben, sie zu töten, wenn Sie hineingeht." Der Angeklagte bestreitet erst, je bei Gericht gewesen zu sein, nur um dann zuzugeben, es doch einmal besucht zu haben, um sich über das Scheidungsprozedere zu erkundigen – offenbar erfolglos.

Dass er sie drei Jahre bis zur Anzeige täglich mehrmals angerufen hat, sei normal, schließlich habe man einen gemeinsamen Sohn, sagt K. einmal. "Ich habe sie nur angerufen wegen des Sohns", erklärt er. "Kann es sein, dass Sie sie jeden Tag angerufen haben?", will die Richterin wissen. Der Angeklagte versucht das Thema zu wechseln, Krasa bleibt aber hartnäckig. "Das ist eine Ja-nein-Frage." – "Ja", gibt K. also zu. "Warum?" – "Wegen des Sohns", wiederholt der bullige Angeklagte. "Jetzt ist der ja nicht mehr so klein. Was gibt es da jeden Tag zu besprechen?" Das Kind habe eine körperliche Behinderung, erklärt der Angeklagte. "Und was gibt es drei Jahre lang jeden Tag darüber zu reden?", wundert sich die Richterin.

"Es ging ihm nie um die Frau"

Bei seiner Einvernahme durch die Polizei hatte K. noch etwas anderes gesagt: Er habe sich den Grund für die Trennung nicht erklären können und habe deshalb ständig Kontakt gesucht. Sein Verteidiger wiederum weist darauf hin, dass es auch Anrufe der Frau gab, und nennt ein gänzlich anderes Motiv: "Es ging ihm nie um die Frau. Ihm ging es nur um den neuen Partner, er wollte von ihm wissen, warum er die Familie kaputtmache." K.s Rechtsvertreter bemängelt auch Widersprüche in den beiden polizeilichen Zeugenaussagen der Frau.

"Warum soll Ihre Frau lügen? Sie steht unter Wahrheitspflicht und macht sich dann selbst stafbar!", möchte Richterin Krasa vom Angeklagten erfahren. "Ich weiß es nicht", gibt er sich ratlos. "Vielleicht kommt das von dem anderen?", mutmaßt er.

Die ebenso 43 Jahre alte Noch-Gattin beantwortet diese Frage nicht. Sie will in Abwesenheit des Angeklagten aussagen, K. nimmt also bei offener Tür im Nebenraum Platz. Und hört Überraschendes: Nachdem Krasa und der Staatsanwalt ihr erklärt haben, dass sie das Recht hat, eine Aussage gegen ihren Ehemann und Kindsvater zu verweigern, erklärt sie, nichts sagen zu wollen. "Ich sage es Ihnen zur Sicherheit, wenn Sie die Aussage verweigern, wird es mit einem Freispruch enden", kündigt die Richterin an. Die Zeugin bleibt dabei: Seit der Anzeige im August sei Frieden eingekehrt. "Ich verlange von ihm nichts. Keine Wohnung, kein Geld. Ich will nur meine Ruhe", eröffnet die Frau den Anwesenden.

Da damit auch ihre Aussagen bei der Polizei nicht verwertet werden dürfen und es sonst keine belastbaren Beweise gibt, fordert sogar der Ankläger einen Freispruch. Der auch rechtskräftig erfolgt. "Den Freispruch haben Sie wirklich nur Ihrer Frau zu verdanken", sagt die Richterin K. noch. "Und das heißt nicht, dass sie noch etwas von Ihnen will, sondern dass sie einfach in Ruhe gelassen werden möchte." (Michael Möseneder, 29.12.2023)