Rund um den Neujahrstag studieren viele Briten ausnahmsweise aufmerksam die Mitteilungen des Königshauses. In der Bekanntmachung des Buckingham-Palasts finden sich dann nämlich all jene Bürgerinnen und Bürger wieder, denen auf Antrag der Regierung, der Parteien oder des Monarchen selbst eine Ehrung widerfährt.

König Charles und Königin Camilla bei der Thronrede des Regenten
Adel unter sich: König Charles und Königin Camilla bei der Thronrede des Regenten am 7. November 2023 im britischen Oberhaus.
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Zuletzt drehte sich die Diskussion oft um die Frage, ob der offizielle Titel eines "Mitglieds", "Offiziers" oder "Kommandanten des britischen Empire" eigentlich noch zeitgemäß sei. In diesem Jahr sind neue Bedenken hinzugekommen: Ganz offen sprechen PR-Firmen davon, sie hätten reichen Klienten die Lobbyarbeit in eigener Sache abgenommen, mit gutem Erfolg. Zudem ist die höchste Auszeichnung – der lebenslange Platz im gesetzgebenden Oberhaus – durch die korrupten Machenschaften einer BH-Fabrikantin ins Zwielicht geraten.

Drei wichtige Buchstaben

Für die vielen Spendensammler, Schulköchinnen oder freiwilligen Behindertenhelfer ebenso wie für Schauspielerinnen oder verdiente Sportler stellt die Ehrung oft den Höhepunkt ihres Lebens dar. Nicht nur werden die Orden mit den Abkürzungen MBE, OBE oder CBE im Palast durch König Charles oder seine engsten Familienmitglieder vergeben. Wer mag, darf die drei Buchstaben anschließend auch an den Namen anhängen und damit in der Nachbarschaft oder im Geschäftsleben Eindruck machen.

Offizier des britischen Empire, wirklich? Längst finden Jüngere, zumal Einwandererkinder aus den früheren Kolonien, den Titel überholt. Der unlängst verstorbene Dichter Benjamin Zephaniah lehnte die Ehrung ab mit der Begründung, er sei "zutiefst gegen das Empire".

Über den Namen ist in den vergangenen Jahren häufiger gestritten worden, zur Beibehaltung der drei Buchstaben gab es beispielsweise den Vorschlag, das Empire durch "Exzellenz" zu ersetzen. Den Reformideen war bisher kein Erfolg beschieden. Ob die jüngsten Kontroversen daran etwas ändern werden?

Ehrung, wofür?

Naserümpfend berichtete jetzt die BBC, schon Tage vor der offiziellen Mitteilung durch den Palast hätten Geehrte nicht nur auf ihren Orden hingewiesen, sondern gleich noch begeisterte Selbstbeschreibungen hinzugefügt. Der "Sunday Times" zufolge sollen rund ein Dutzend Orden ausgehändigt werden an jene, die der gescheiterten Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss bei ihrem Chaos-Regiment zur Hand gegangen waren.

Fußballer Harry Kane mit dem MBE-Ritterorden
Harry Kane ist nicht nur ein prominenter Vertreter der britischen Fußball-Elite, sondern wurde 2019 auch mit dem Ritterorden MBE geehrt.
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Und die "Daily Mail" teilte mit, der König höchstselbst wolle den Erzbischof von Canterbury zum Ritter schlagen, zum Dank für die reibungslos absolvierte Krönung im Mai. Mag es sich bei den beiden Letzteren um einigermaßen begründbare Spekulationen handeln, so verstößt die Vorab-Beweihräucherung neuer Ordensempfänger eindeutig gegen den Comment, so das zuständige Kabinettsbüro.

Für die breitere Öffentlichkeit neu ist aber auch die Ungeniertheit, mit der einschlägige Firmen gegen bare Münze ihre Dienste anbieten, um ehrsüchtigen Zeitgenossen drei zusätzliche Buchstaben zu verschaffen. Dafür werden nach Branchenschätzungen umgerechnet zwischen 2800 und 46.000 Euro fällig.

Geschäftsmodell Ordensverleihung

Treuherzig vergleicht Mark Llewellyn-Slade von der Firma Awards Intelligence seine Geschäftspraxis mit der Unterstützung von Eltern für ihren Nachwuchs: Wer sich die teure Mathe-Nachhilfe leisten kann, sichert Sohn oder Tochter den Platz auf der Universität, die anderen haben das Nachsehen. Ohnehin müssten er und sein Team vielen Leuten zunächst einmal höflich mitteilen, deren Lechzen nach einem Orden habe ohnehin keinen Sinn. Beim Rest gebe es dafür eine Erfolgsquote von 65 Prozent. Und ethisch sei alles okay: "Wir betreiben kein Lobbying, sondern helfen nur bei der Bewerbung."

Geschichtsbewussten Briten und Britinnen fällt bei dem Thema sofort Maundy Gregory ein. Der zwielichtige Pfarrerssohn und Theater-Impresario diente in den 1920er-Jahren dem damaligen liberalen Premierminister David Lloyd George als Finanzberater und Betreiber eines schwunghaften Handels mit Orden und Titeln. Späteren Recherchen zufolge musste 10.000 Pfund (heute umgerechnet etwa 460.000 Euro) auf den Tisch des Hauses legen, wer einen königlichen Ritterschlag erwerben wollte. Das Vierfache wurde für die Ernennung zum Baron fällig, mit der damals automatisch der (erbliche!) Sitz im Oberhaus verbunden war. Erst ein gesetzliches Verbot der allzu offensichtlichen Korruption durch die nachfolgende Regierung legte dem Ordenhändler das Handwerk.

Michelle Mone
Michelle Mone ist nicht nur eine ebenso erfolgreiche wie umstrittene Unternehmerin, sondern trägt auch den Titel "Baronesse".
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Hundert Jahre später gibt es immer wieder berechtigte Zweifel daran, ob nicht zwischen großzügigen Parteispenden und nachfolgenden Ehrungen allzu enge Zusammenhänge bestehen. Der frühere Premierminister Tony Blair musste sich immerhin zweimal von der Kriminalpolizei als Zeuge verhören lassen, ehe ein entsprechendes Ermittlungsverfahren gegen ihn 2007 eingestellt wurde. Vor zwei Jahren geriet das engste Umfeld des damaligen Thronfolgers und heutigen Königs Charles in den Verdacht, einem saudischen Geschäftsmann gegen gewaltige Spenden für die Wohltätigkeitsorganisationen des Prinzen Ehrungen, ja sogar die britische Staatsbürgerschaft versprochen zu haben. Auch dieses Verfahren wurde stillschweigend begraben.

Zwielichtige Geschäftsleute gibt es im Oberhaus dennoch reichlich. Die BH-Fabrikantin Michelle Mone ist so ein Fall, der die Briten seit Wochen empört. In der Covid-Pandemie verkaufte ihre eigens gegründete Firma PPE Medpro dem britischen Staat neben nützlicher Schutzkleidung fürs medizinische Personal auch viel Unbrauchbares, weshalb die Regierung die konservative Politikerin nun auf umgerechnet 140 Millionen Euro geklagt hat. Wegen der kriminalpolizeilichen und parlamentarischen Untersuchung der Vorwürfe lässt Mone nun ihr Amt ruhen. Immerhin. (Sebastian Borger, 29.12.2023)