Salete Cordeiro
Salete Cordeiro muss mit Wasser sehr sparsam umgehen. Ihre Sukkulente zu gießen, das ist fast schon Luxus.
Florian Kopp/Misereor

25.000 Liter Wasser hat Salete Cordeiro für die nächsten acht Monate – hundertmal weniger als ein olympisches Schwimmbecken fasst. Damit muss ihre Familie acht Monate Dürre im Vale do Jequitinhonha im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais überbrücken. Die semiaride Region gehört zum Cerrado, einer einzigartigen biodiversen Steppenlandschaft. Dort ging die Regenzeit erst kürzlich zu Ende – doch schon jetzt ist es staubig und der Boden hart wie Zement. Cordeiro kann trotzdem nicht widerstehen und befüllt einen Plastikbehälter mit Wasser, um ihre Lieblingssukkulente vor dem Haus zu gießen. In ein paar Monaten wird dies ein fast unmöglicher Luxus sein.

Der Vorrat in der Wasserzisterne, finanziert von einer lokalen NGO, reicht gerade einmal für das Trinkwasser der Familie. Selbst den Gemüsegarten kann die 54-Jährige in der Trockenzeit nicht mehr davon gießen, und Wäsche wird dann nur einmal in der Woche von Hand gewaschen. Trotz aller Sparsamkeit ist sie manchmal auf die Zisternenwagen angewiesen, die die Stadtverwaltung von Turmalina schickt – wenn gerade Geld in der Stadtkasse ist. "Früher war das nicht so", erzählt die Bäuerin. "Da hatten die Flüsse das ganze Jahr Wasser." Es reichte für den Anbau von Lebensmitteln zum Verkauf und ein paar Kühe. Ein genügsames Leben, angepasst an die Zyklen der Natur.

Eukalyptus für Kohle und Stahl

Doch dann brach die Modernität über das Vale do Jequitinhonha in Form von Eukalyptusplantagen herein. Sie waren ein Projekt der Militärdiktatur, die in den 1970er-Jahren industrialisierte – ohne Kenntnis ökologischer Zusammenhänge. Die in Brasilien nicht heimischen Eukalyptusbäume sollten die Holzkohle für die Stahlproduktion liefern. "Innerhalb weniger Wochen wurden die ganzen Hügel um unser Dorf plattgemacht", erinnert sich Cordeiro. Das war ursprünglich Gemeinschaftswald, ein Schutzgebiet für heimische Flora und Fauna und ein wichtiger Wasserspeicher. Dort angelten die Bewohner in den Flüssen und jagten Wildtiere. Dort fanden sie Heilkräuter und Obst. Noch immer kommen Cordeiro die Tränen bei dem Gedanken an die Tiere, die vor den Baggern flüchteten: Gürteltiere, Vögel, Jaguare und der Guará-Steppenwolf. Doch Protest gegen die Militärdiktatur war zwecklos.

Von Monokulturen eingekreistes Dorf in der Cerrado-Steppe.
Von Monokulturen eingekreistes Dorf in der Cerrado-Steppe.
Florian Kopp/Misereor

1992 wurden Stahlwerk und Eukalyptusplantagen privatisiert. Heute gehören sie Aperam, einer Tochterfirma des indischen Stahlkonzerns Acelor-Mittal, eines der weltgrößten Hersteller von Edelstahl. Er ist seit 2011 an der Börse notiert, 2,5 Prozent des Unternehmens gehören dem Staat Luxemburg. Während die Aktionäre die Gewinne einstecken, fürchten tausende Familien wie die Cordeiros um ihre Existenz. "Von 481 Quellen rund um Turmalina haben nach 40 Jahren Eukalyptus nur noch 40 Wasser", sagt der Vizebürgermeister von Turmalina, Warlen Francisco da Silva. Selbst Lokalpolitiker, lange Verfechter des Fortschritts und der industriellen Entwicklung, sind inzwischen besorgt über die Folgen der Monokultur. Längst überschreiten die von der Öffentlichkeit zu tragenden Umweltkosten die 500.000 Reais (93.000 Euro) Steuern, die Aperam jährlich an die 20.000 Einwohner zählende Stadt zahlt.

In den letzten 45 Jahren ist laut einer Studie der Universität von Minas Gerais der Grundwasserspiegel in der Region um 4,50 Meter abgesunken – deutlich mehr als in benachbarten Gegenden. "Die natürliche Vegetation des Cerrado schafft es, 52 Prozent des Regenwassers aufzunehmen, eine Eukalyptusplantage kommt nur auf 29 Prozent", hat Flavia Galizoni vom Forschungszentrum für Landwirtschaft der Universität von Minas Gerais ermittelt. Entsprechend höher ist beim Eukalyptus die Verdunstung. Zudem hat die Firma zahlreiche Rückhaltebecken und Bewässerungsgräben gebaut – für Wasser, das dann den Gemeinden fehlt.

Greenwashing

Aber das Wasser ist nicht das einzige Problem. "Auf 125 Hektar Eukalyptus kommt ein einziger Arbeitsplatz", hat Galizoni errechnet. Hinzu kommt die Luftverschmutzung durch die Holzkohleöfen und immer wieder auftretende Flächenbrände. Zudem müssen genmanipulierte Eukalyptusmonokulturen mit Kunstdünger und Pestiziden aufgepäppelt werden, die das Grundwasser und die Luft verschmutzen. Böden und Biodiversität verarmen. "Hier kollidiert das Menschenrecht auf Wasser mit dem Profitstreben eines transnationalen Konzerns", sagt Galizoni.

Ein Sprecher von Aperam sieht das ganz anders. Er verweist auf neue Verbrenneröfen, mit denen die CO2-Bilanz verbessert werden soll, und auf das mittlerweile international wegen Greenwashings gebrandmarkte Siegel des Forest Stewardship Council (FSC). Dann sei Holzkohle doch besser als fossile Brennstoffe, die Plantagen von Aperam hätten außerdem acht Millionen Tonnen CO2 gebunden, sagt er. Die Dürre sei dem Klimawandel geschuldet, die vielen Waldbrände gingen auf das Konto von Brandstiftern, wiegelt er ab. Im Internet wirbt die Firma für ihren "grünen Stahl".

Flavia Galizoni kritisiert den Umgang mit den natürlichen Ressourcen.
Flavia Galizoni kritisiert den Umgang mit den natürlichen Ressourcen.
Florian Kopp/Misereor

Das findet Galizoni zynisch. "Dieser Stahl ist alles andere als grün. Er hat den Menschen Land und Wasser gestohlen und Lebensraum von Tieren und Menschen vernichtet."

Cordeiro seufzt. Sie glaubt nicht mehr daran, dass sie den Kampf noch gewinnen kann. Von ihren sechs Kindern ist nur ihre 14-jährige Tochter noch zu Hause. Alle anderen sind in die Stadt abgewandert. Doch auch Turmalina hat keine Zukunft, fürchtet Vizebürgermeister da Silva, wenn es so weitergeht. "Wir können nicht ewig davon leben, die Natur auszubeuten. Wenn wir keinen Mehrwert schaffen und die Umwelt schützen, sitzen wir irgendwann in einer Wüste." (Sandra Weiss, 7.1.2024)