Ein Kommissar, der gar keiner ist. Und am Ende selbst von der Polizei abgeführt wird. Karl Markovics’ außergewöhnlicher LandkrimiDas letzte Problem drängte sich ob seines überraschenden Endes nicht unbedingt für eine Fortsetzung auf. Jetzt, vier Jahre später, nimmt der Schauspieler und Regisseur, der dieses Mal auch das Drehbuch geschrieben hat, die Fäden wieder auf. Der falsche, von Markovics verkörperte Kommissar Jonas Horak sitzt in Das Schweigen der Esel, zu sehen am Dienstag um 20.15 Uhr auf ORF 1, in einer Sonderanstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Währenddessen gerät die wieder von Julia Koch gespielte Dorfpolizistin Sophie Landner in die Ermittlungen um eine Mordserie in Vorarlberg.

Reiz des Abstrusen

Ursprünglich wäre auch dieses Mal Daniel Kehlmann als Drehbuchautor vorgesehen gewesen. Dem Schriftsteller seien aber sein jüngstes Romanprojekt und eine Netflix-Verfilmung dazwischengekommen, bis er irgendwann gesagt habe: "Wenn du es gerne machen willst, dann schreib es allein", so Markovics im Gespräch. Er sei losgeprescht, weil er "so Gefallen gefunden habe an dieser eh schon abstrusen Geschichte, wo sich niemand vorstellen kann, wie man daraus überhaupt eine Fortsetzung baut".

Julia Koch als Sophie Landner und Karl Markovics als Jonas Horak in
Zum zweiten Mal in Vorarlberg im Einsatz: Julia Koch als Sophie Landner und Karl Markovics als Jonas Horak.
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Zwar erinnert der Titel Das Schweigender Esel nicht ganz zufällig an den Thriller Das Schweigen der Lämmer, in dem Anthony Hopkins als Krimineller hinter Gittern sitzt und Jodie Foster ermittelt. In dieser Konstellation von drinnen und draußen erschöpfen sich aber für Markovics die Parallelen eigentlich schon: "Es war sehr schnell für mich klar, dass ich überhaupt kein Interesse habe, so eine Schnitzeljagd für Cineasten zu machen."

Wichtiger ist eine andere Fährte, die der Titel auslegt. So scheinen die Morde in Das Schweigen der Esel einem Märchen der Brüder Grimm zu gehorchen. Aus dem Stoff der Bremer Stadtmusikanten einmal eine Kriminalgeschichte zu machen sei eine "uralte Idee" von ihm gewesen, so Markovics: "Es gibt Schubladen mit Fragmenten von Geschichten, aus denen man manchmal Versatzstücke für Geschichten nimmt, die man gerade baut."

Straftaten in Märchen

Dass im Verlauf der Handlung eine juristische Schrift mit dem Titel Die strafrechtlich relevanten Tatbestände in den Märchen der Brüder Grimm auftaucht, ist nicht so aus der Luft gegriffen, wie es zunächst scheinen mag. Markovics ist bei den Recherchen zu seinem zweiten Vorarlberg -Landkrimi tatsächlich auf solche "pseudowissenschaftlichen Werke" gestoßen, bei denen er sich auch bedient hat: "Österreichische Juristen werden, wenn sie das sehen, nur bemängeln, dass das nicht die österreichischen Paragrafen sind, sondern die des deutschen Strafgesetzbuches."

Für Markovics hat sich daraus einerseits eine "nette Volumenanreicherung" ergeben. "Aber grundsätzlich interessieren mich an diesen Geschichten sowieso immer nur das Märchenerzählen, das Spintisieren." Dies beschränkt sich nicht auf Das Schweigen der Esel: "Also alle meine Kinofilme sind Märchen für Erwachsene."

Krimi als Krimi interessiert Markovics nicht, schreckt ihn in seiner heutigen Form, sprich im Bemühen um Authentizität sogar ab: "Die Gewalttätigkeit, die Brutalität des Alltags ist nicht mehr darstellbar, und jeder Versuch ist fast obszön." Das Schweigen der Esel sei hingegen "buchstäblich eine eskapistische Geschichte".

Karl Markovics im Landkrimi
Karl Markovics: "Alle meine Kinofilme sind Märchen für Erwachsene."
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Dazu passt auch ein Lied, das in seinem Krimi zu hören ist: Hildegard Knefs Illusionen. Handelte es sich bei Charles Trenets Chanson La Mer, das die Atmosphäre von Das letzte Problem inmitten der Winterstimmung unvermutet prägte, um einen Zufallsfund, habe man für Das Schweigen der Esel bewusst nach einem solchen Leitmotiv gesucht: "Ich bin dann auf Hildegard Knef gekommen, weil ich sie sowieso liebe. Dieses Lied kannte ich so gar nicht, und das war dann plötzlich ein 'Aha' mit Illusionen."

Dass Illusionen in Filmen und doppelte Böden zu Zuschauerfrustrationen führen können, ist Markovics klar: "Die Gefahr war uns bewusst, und wir sind sie sogar auf eine noch extremere Weise eingegangen, als ursprünglich vorgesehen war. Aber Risiko ist etwas Großartiges, ansonsten macht es keinen Spaß."

Emanzipierte Polizistin

Durchaus realistisch mag die Herablassung sein, mit der die Umgebung der von Julia Koch gespielten, sympathischen Dorfpolizistin mit Kripo-Ambitionen ("ein klassisches Aufsteigermotiv") begegnet. "Ich fand es schön, so eine emanzipierte Frau zu haben, wo aber rundum die Außenwelt noch nicht weiß, was sie kann. Sie weiß es eh von Anfang an." Und die Umgebung dann auch.

Wichtig war Markovics, dass man sagen kann, "das sind Leute aus dem Ländle, die reden kein Pseudo-Voarlbergerisch, sondern die reden wirklich so". Das Schöne an dieser Art zu arbeiten sei, dass man auch als Zuschauer Entdeckungen machen kann, egal ob es sich um Koch, Klaus Windisch oder nichtprofessionelle, dafür aber authentische Schauspieler und Schauspielerinnen handelt. Höchstes Lob gibt es auch für Kamerafrau Leena Koppe. Mit ihr hat Markovics intensiv an einer Textur der Bilder gearbeitet, die sich von ihrem ersten gemeinsamen Landkrimi abhebt.

Die Karriere des 60-jährigen Markovics reicht von Anfängen am Theater und der ersten Popularität als Kriminalinspektor Ernst Stockinger in den 1990er-Jahren über die Hauptrolle in Stefan Ruzowitzkys oscarprämiertem Film Die Fälscher bis zum mehrfach ausgezeichneten Regiedebüt mit Atmen im Jahr 2011. Hinzu kommen Auftritte in internationalen Produktionen wie Wes Andersons Grand Budapest Hotel. Was hält der Mitbegründer der Akademie des Österreichischen Films von den hiesigen Produktionsbedingungen? "Ich möchte mit nichts in der Welt die Möglichkeit tauschen, die ich in Europa im Allgemeinen, aber speziell in Österreich habe an gestalterischer Freiheit, an Unabhängigkeit – auch mit all den Einschränkungen, die dem Budget geschuldet sind."

Glücksfall Vorarlberg

Zum Dreh in Vorarlberg sei er gekommen wie die "Jungfrau zum Kind", sei doch Kehlmanns Setting für Das letzte Problem so allgemein gewesen, dass der Krimi "überall spielen" hätte können. Die Vorgabe, für die Landkrimis im westlichsten Bundesland zu filmen, erwies sich für Markovics aber als Glücksfall: "Weil ich gehe gerne mit Situationen um, ich schaffe mir nicht gerne Situationen. Wenn mir jemand sagt, was wünschst du dir? Keine Ahnung! Aber wenn mir irgendetwas passiert, und ich muss damit umgehen, dann fallen mir sofort Dinge ein."

Vorarlberg hat für Markovics etwas von einer "Meer-Rand-Gegend" und besitzt eine ganze eigene Arbeits- und Lebensqualität: "Die sind offen, die schauen nicht wie die Tiroler auf Berge, sondern da ist der Bodensee, und drüben ist die Schweiz und Deutschland und Liechtenstein. Und die sind sehr schnell in Frankreich. Das spürt man, das mag ich sehr."

Tatsächlich supranational verspricht das nächste Projekt von Markovics zu werden: die Verfilmung von Robert Menasses Europa-Roman Die Hauptstadt. Und wie schaut es mit einer weiteren Folge für die Landkrimi-Reihe mit dem falschen Kommissar Jonas Horak aus? "Ich weiß nicht, ob sie gedreht wird. Aber um der Absurdität endgültig die Narrenkappe aufzusetzen, werde ich auf jeden Fall eine dritte Folge schreiben. Das habe ich mir schon fest vorgenommen." (Karl Gedlicka, 7.1.2024)