Was waren das für Zeiten, als man zu Jahresbeginn von den Royals wochenlang nichts hörte. Queen Elizabeth II. und ihr Mann Philip pflegten wochenlang auf Schloss Sandringham in Norfolk zu verweilen, die jüngeren Mitglieder der Familie Windsor machten Urlaub oder besuchten die eine oder andere britische Ex-Kolonie mit angenehmerem Klima.

Für die meisten in der ohnehin skandalgeplagten Familie der britischen Royals wird Prinz Andrew immer peinlicher, oft sogar untragbar.
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König Charles III. hingegen pfeift zum zweiten Mal in seiner Amtszeit nicht nur der eiskalte Wind von Nordsee und Atlantik um die Ohren. Wie im vergangenen Jänner der exilierte Sohn Harry sorgt auch 2024 ein Problemprinz mit einer Veröffentlichung für unangenehme Schlagzeilen: "Neue Kontroverse um Andrew", "Andrews Orgie", "Polizei stellt Prüfung neuer Beweise gegen Andrew in Aussicht" – selbst in seriösen Medien wie "Times" und "Guardian" verging kaum ein Tag ohne neue Mitteilungen zum jüngeren Bruder des Monarchen. Der überaus königstreue "Telegraph" attestierte dem Herzog von York "eine fatale Mischung aus Arroganz und Dummheit". Das Boulevardblatt "Sun" wandte sich frech mit einer Forderung an den Monarchen: "Es ist Zeit, sich von Andrew loszusagen."

Nähe zu Sexualverbrechern

Dem gewaltigen Mediensturm rund um Harry lag vor Jahresfrist wenigstens dessen eigener Memoirenband "Reserve" zugrunde – gewiss keine erfreuliche Lektüre für die Königsfamilie, der vom abtrünnigen Prinzen Herzenskälte und Kommunikationsschwäche, ja sogar ein Hang zum Rassismus nachgesagt wurde. Diesmal aber handelt es sich um die Erinnerungen vormals Unbekannter, die nur eines gemeinsam haben: Allesamt tauchen sie als Zeugen oder Opfer in jetzt veröffentlichten US-Gerichtsakten auf, in denen es um Andrews langjährige Nähe zu zwei verurteilten Sexualverbrechern geht.

Weder die Akten noch die Anschuldigungen sind neu, fügen längst Bekanntem höchstens unappetitliche Details hinzu. Insgesamt 69 Mal wird der britische Royal auf den 900 Seiten erwähnt, und immer geht es um schmierige, teilweise kriminelle Vorgänge. Im Umfeld des notorischen, 2019 in einer New Yorker Gerichtszelle aus dem Leben geschiedenen Finanzjongleurs Jeffrey Epstein und dessen langjähriger Helferin Ghislaine Maxwell kam es zu Kontakten des damals rund 40-jährigen Royals mit jungen, teils minderjährigen Frauen. Die Behauptungen reichen von sexueller Belästigung bis hin zu Missbrauch; auch habe Andrew an einer "Orgie mit zahllosen minderjährigen Mädchen" teilgenommen.

Der Prinz, heute 63, hat alle konkreten Vorwürfe mehr als ein Jahrzehnt lang stets bestritten. Prominenteste Beschuldigerin war und ist Virginia Giuffre, heute 40 Jahre alt: Dreimal, je einmal in London, New York und in der Karibik, sei sie, damals noch minderjährig, von Andrew sexuell missbraucht worden. Der Prinz beteuerte, er sei "dieser Lady" nie begegnet. Dabei war längst ein Foto im Umlauf, das Andrew in inniger Umarmung mit Guiffre zeigt. Mit auf dem Bild: Andrews frühere Freundin Maxwell, die wegen Sexualverbrechen eine zwanzigjährige Haftstrafe verbüßt.

Millionen-Vergleich

Vor knapp zwei Jahren, im Februar 2022, unterschrieb der Prinz einen demütigenden Vergleich, zahlte eine zweistellige Millionensumme, wohl um die 14 Millionen Euro. Er lobte seine Beschuldigerin für deren "Tapferkeit", bedauerte zudem die "unfairen öffentlichen Attacken" auf Giuffre sowie andere Opfer sexuellen Missbrauchs. Das gleichzeitige Angebot an Opferorganisationen, der Prinz wolle sich für sie einsetzen, klang schon damals hohl; öffentlich ist nichts dergleichen bekannt geworden.

Sämtliche militärischen Dienstgrade und royale Schirmherrschaften, zudem den Titel Königliche Hoheit, hatte schon die Queen ihrem Drittgeborenen aberkannt. Für den König stellt sich die knifflige Frage, wie er den Neunten der Thronfolge beschäftigen kann, ohne neue Negativschlagzeilen zu provozieren. Bescheidenheit haben die Begegnungen mit der US-Justiz den britischen Royal jedenfalls nicht gelehrt: Dem Vernehmen nach wehrt sich Andrew hartnäckig und bisher erfolgreich gegen Charles' Aufforderung, seinen Wohnsitz in Windsor Great Park gegen eine kleinere Behausung einzutauschen. Seit mehr als 20 Jahren bewohnt der Prinz dort gegen einen lächerlich geringen Pachtzins die gewaltige, mit 30 Zimmer ausgestattete Royal Lodge gemeinsam mit seiner geschiedenen Gattin Sarah.

Der unnütze Onkel

Einfach alles beim Alten lassen, Andrews Lebenshaltungskosten aus den gewaltigen Besitztümern der Königsfamilie bezahlen und auf freundliches Schweigen aller Beteiligten hoffen? Wenn Charles diesen Weg für realistisch hält, hat er jedenfalls nicht die Unterstützung des Thronfolgers. Prinz William gilt seit Jahren als scharfer Kritiker seines unnützen Onkels. Die zögerliche, "nicht ausreichend kompetente" Vorgehensweise des Königs in der Causa Andrew stelle den 41-Jährigen "vor ein Rätsel", hat Königshauskenner Omid Scobie in seinem jüngsten Buch berichtet.

Man muss nicht unter Jänner-Depressionen leiden, um zu vermuten: Eine Versöhnung des Königs mit dem kalifornischen Problemprinzen ist unendlich viel wahrscheinlicher und leichter zu bewerkstelligen als eine Lösung im Fall Andrew. Dessen Schattendasein wirft weiterhin einen Schatten auch auf die Monarchie, eine Wiederherstellung seines dauerhaft beschädigten Rufs steht nicht in Aussicht. (Sebastian Borger aus London, 13.1.2024)