Am Dienstag wird in Bhutan gewählt. In Thimphu bereitet die Wahlkommission die Parlamentswahlen vor.
AP/Anupam Nath

Sein Vater brachte 1999 das Fernsehen, König Jigme Khesar Namgyel Wangchuk setzte schließlich die Demokratisierung um. 15 Jahre später sind es an diesem Sonntag erst die vierten Wahlen in Bhutan, bei denen sich demokratische Parteien dem Willen von rund 500.000 Wahlberechtigen stellen. Bei den Vorwahlen im Dezember musste die bisher regierende Druk Nyamrup Tshogpa (DNT) eine herbe Niederlage hinnehmen – sie schied aus. So buhlen am Sonntag die People's Democratic Party (PDP) und die Bhutan Tendrel Party (BTP) um die Wählergunst.

Ob nun die liberale PDP oder die brandneue BTP in dem kleinen Land im Himalaya das Sagen hat, wen juckt es? – könnte man meinen. Bhutan ist nicht einmal so groß wie die Schweiz, eingepfercht zwischen China und Indien – und außerdem treten beide Parteien mit sehr ähnlichen Parolen an: Wasserkraft ausbauen, mehr Auslandsinvestment anwerben. Doch in Bhutan spielt sich ein geopolitisches Tauziehen ab, das viel größere Wirkkräfte hat als Fragen ums berühmte Bruttonationalglück.

Besonders deutlich drückte die Lage der bisherige Premierminister Lotay Tshering im Oktober gegenüber "The Hindu" aus: "Bhutan ist im Grunde eine einzige große Grenze zwischen Indien und China." Und der Nachbar im Norden setzt das Königreich immer mehr unter Druck, denn China will seinen Einfluss in der traditionell indischen Einflusssphäre ausweiten.

Chinas Vorstoß in unbewohnte Hochtäler 

Grund für das Gerangel ist der ungeklärte Grenzverlauf entlang des höchsten Gebirges der Welt, dem Himalaya. An mehreren Abschnitten haben sich die betroffenen Länder nie definitiv auf einen Verlauf einigen können. Auch zwischen China und Bhutan gibt es mehrere Regionen, die jahrzehntelang defacto zu Bhutan gehörten, was von China auch nicht beanstandet wurde. Betroffen sind dabei vor allem unbewohnte Hochtäler, die – wenn überhaupt – in den Sommermonaten als Weideland benutzt werden. Den Grenzverlauf zu klären, hatte keine Priorität.

Doch seit einigen Jahren ist China auf Expansionskurs. An verschiedenen Stellen drängt es gen Süden, auch in Bhutan. Wie Berichte bereits 2021 gezeigt haben, hat China ganze Dörfer in Regionen errichtet, die Peking selbst noch bis in die 1980er in offiziellen Karten als Bhutan dargestellt hat. Auch mit Straßen und anderer permanenter Infrastruktur zeigt die Volksrepublik: Man ist gekommen, um zu bleiben. Jüngste Satellitenbilder zeigen, dass die Infrastruktur im Jakarlung-Tal und im benachbarten Menchuma-Tal massiv ausgebaut wurde, wie der Thinktank Chatham House und der indische Sender NDTV berichten. Chinas Salami-Taktik gilt gerade im Jakarlung-Tal, Teil der Region Beyul Khenpajong, als besonders brisant: Die Region gilt als heilig, die Königsfamilie selbst leitet ihre Herkunft von dort her.

Trotzdem verdichten sich Spekulationen, dass sich Bhutan auf einen Deal mit China einlassen könnte, wie Chatham House berichtet. Dabei könnte es vielleicht sogar Territorium an China abtreten. "Worauf warten wir?", fragte Premier Tshering im Oktober. "Gott wird nicht herabsteigen und uns sagen, wie die Grenzziehung gemacht werden soll", zeigte er sich ungeduldig. Im Oktober reiste Bhutans Außenminister als erster Chefdiplomat seines Landes überhaupt nach Peking, um dort über den Grenzverlauf mit dem mächtigen Nachbarn zu verhandeln.

Indiens Interessen am "Chicken's Neck"

Ganz und gar nicht glücklich damit ist der große Nachbar im Süden, Indien. Traditionell genießt Indien großen Einfluss in dem kleinen Land. Bis 2007 hat sich Delhi sogar um Bhutans Außenpolitik gekümmert. 2017 kam es im Dreiländereck China, Indien, Bhutan zu folgenschweren Zusammenstößen: Am Doklam-Plateau standen sich mehrere Wochen lang chinesische und indische Soldaten gegenüber. Denn in Doklam geht es um mehr als nur um ein bisschen Land irgendwo in den Bergen. Das Plateau liegt nahe Indiens "Chicken's Neck": Über den schmalen Korridor ist der riesige Subkontinent mit seinen Provinzen im Osten verbunden. Eine von ihnen, Arunachal Pradesh, beansprucht China wiederum selbst als "Südtibet".

Der bisherige Premier Lotay Tshering (links) hat die Grenzverhandlungen mit China vertieft. Traditionell hat Bhutan aber enge Beziehungen nach Indien, wo Narendra Modi (rechts) die Regierung anführt.
AFP/PRAKASH SINGH

In Delhi befürchtet man, dass Bhutans neue Freundschaft mit Peking dazu führen könnte, dass nicht Menchuma und Jagarlung abgetreten werden, sondern im schlimmsten Fall Teile Doklams. Thimphus Verhandlungen mit Peking sind auch ein Signal an Delhi, dass man neben dem traditionellen Big Brother aus dem Süden auch andere Optionen hat. Da denkt Thimphu laut darüber nach, vielleicht doch offizielle diplomatische Beziehungen mit Peking aufzunehmen. Traditionell unterhält das Land diese mit keinem der Länder mit permanentem Sitz im UN-Sicherheitsrat. Wie weit man sich in der Realität aber wirklich von Delhi entfernen wird, ist eine andere Frage.

Fakt ist, dass Bhutan eng an Indien gekoppelt ist, auch in Energiefragen. Das klimaneutrale Wunderland, Star aller Klimakonferenzen, baut auf Wind- und Wasserkraft. Mit nachhaltigen Tourismuskonzepten hat es erfolgreiches Marketing betrieben. Und mit Jahreswechsel stieg Bhutan vom Entwicklungsland zum Land mittleren Einkommens auf. Die österreichische ADA (Austrian Development Agency), die dort 34 Jahre lang tätig war, hat Mitte Dezember endgültig ihre Pforten in Thimphu geschlossen. Fast 100 Millionen Euro sind in der Zeit von Österreich nach Bhutan geflossen.

Doch all das täuscht nur oberflächlich über Probleme hinweg, die es auch im vermeintlichen Land des Glücks gibt: Hohe Jugendarbeitslosigkeit von über 20 Prozent führt zu Drogenproblemen, Bhutan hat eine jährlich steigende Suizidrate. Und auch die Zahl der Auswanderer ist auf einem historischen Höchststand.

Chips aus China, Energie aus Indien

Wie schwer es dem Staat fällt, dem Brain-Drain vorzubeugen, zeigt das Projekt "Education City", das als internationales Bildungszentrum konzipiert war, aber aufgrund von Missmanagement rasch wieder eingestellt wurde. Heute hat dort ein gänzlich anders geartetes Zentrum Form angenommen: Eine der größten staatlichen Bitcoin-Minen der Welt, wie "Forbes" berichtet.

Bhutans König Jigme Khesar Namgyel Wangchuck interessiert sich für digitale Währung. Hier ist er mit Königin Jetsun Pema in London zu sehen.
REUTERS/HENRY NICHOLLS

Dem 43-jährigen König Wangchuk wird schon lange ein großes Interesse an Kryptowährung nachgesagt. Im Land soll es laut "Forbes" mindestens drei weitere solche Anlagen geben. Von offizieller Stelle gibt es wenig Information dazu. Wie "Forbes" aber weiter berichtet, importierte Bhutan zwischen 2021 und 2022 Chips zum Bitcoin-Mining im Wert von über 220 Millionen US-Dollar aus China. 2022 schoss der Stromverbrauch unterdessen um 62 Prozent in die Höhe. Während Bhutan bis dato seinen überschüssigen Strom nach Indien verkauft hatte, musste das kleine Königreich 2023 erstmals Strom aus Indien zukaufen. (Anna Sawerthal, 9.1.2024)