Kleinkind vor TV-Bildschirm im Wohnzimmer
Die Glotze ist von klein an verlockend: Kinder unter zwei Jahren sollten aber davon möglichst ferngehalten werden, warnen Fachleute.
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Wie schlimm ist es wirklich, kleine Kinder vor dem Fernseher zu parken? Und sei es nur, um sich selbst oder auch dem Nachwuchs eine kleine Verschnaufpause zu verschaffen? Die Frage beschäftigt nicht nur Erziehende, sondern auch die Wissenschaft, die seit geraumer Zeit in zahllosen Studien versucht, die Effekte von mehr oder wenige Bildschirmzeit dingfest zu machen. Auch wenn immer wieder auch positive Auswirkungen festgestellt werden, die negativen scheinen zu überwiegen – insbesondere, wenn es um die Kleinsten geht.

Einen weiteren Baustein in dem Puzzle an Forschungsarbeiten zum Thema liefert nun eine neue Studie der Drexel University in Philadelphia, die sich speziell dem Fernseh- und DVD-Konsum von Kleinkindern unter zwei Jahren widmet. Smartphones und Tablets wurden nicht berücksichtigt. Demnach entwickeln Säuglinge und Kleinkinder, die in diesem Alter fernsehen, mit größerer Wahrscheinlichkeit atypische sensorische Verhaltensweisen. Damit sind Verhaltensweisen gemeint, die mit der Verarbeitung von Sinneseindrücken und der Reaktion auf äußere Reize zusammenhängen, also auf das, was das Kind hört, sieht und fühlt.

Empfindlicher und weniger aufnahmefähig

Laut dem Forschungsteam rund um Karen Heffler vom Department für Psychiatrie entwickelten Kinder, die bis zu ihrem zweiten Geburtstag einem erhöhten Fernsehkonsum ausgesetzt waren, im Alter von 33 Monaten mit größerer Wahrscheinlichkeit atypische Verhaltensweisen bei der Verarbeitung von Sinneseindrücken. Darunter fällt das das Suchen nach intensiveren Sinneseindrücken, ebenso wie das Vermeiden von Sinneseindrücken, eine höhere Empfindlichkeit gegenüber lauten Geräuschen und grellen Lichtern, sowie eine niedrigere Aufnahmefähigkeit, das heißt, die Kinder reagieren weniger empfindlich oder langsamer auf Reize, etwa wenn ihr Name gerufen wird.

Für die Studie, die im Fachjournal "JAMA Pedriatrics" der American Medical Association veröffentlicht wurde, zogen die Forschenden Daten aus der US-amerikanischen National Children's Study aus den Jahren 2011 bis 2014 zum TV- und DVD-Konsum von knapp 1.500 Kleinkindern heran. Diese Daten verglichen sie mit Fragebögen zum sensorischen Profil der Kinder, die von Eltern und Erziehenden ausgefüllt wurden, als die Kinder in etwa 33 Monate alt waren. Mithilfe des Fragebogens können die verschiedensten Muster von Verhaltensweisen, die mit der sensorischen Verarbeitung in Zusammenhang stehen, eingestuft werden.

Je jünger, desto anfälliger

Die Ergebnisse waren umso eindeutiger, je jünger die Kinder waren. Im Alter von zwölf Monaten war jede Art von Bildschirmexposition im Vergleich zu kompletter Bildschirmabstinenz mit einer doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit verbunden, Auffälligkeiten bei sensorischen Verhaltensweisen zu entwickeln, insbesondere was eine niedrigere Aufnahmefähigkeit betrifft. Im Alter von 18 Monaten erhöhte jede zusätzliche Stunde vor der Glotze die Wahrscheinlichkeit um 23 Prozent, dass die Kinder später zur Vermeidung von Sinneseindrücken und niedrigerer Aufnahmefähigkeit neigten. Mit 24 Monaten wirkte sich jede zusätzliche Fernsehstunde so aus, dass sich die Wahrscheinlichkeit für spätere atypische Verhaltensweisen um 20 Prozent erhöhte.

Die Forschenden betonen, dass das Alter des Kindes und ob es ein Frühgeborenes war, der Bildungsstand der Betreuungspersonen, die ethnische Zugehörigkeit und andere Faktoren berücksichtigt wurden. Sie weisen außerdem darauf hin, dass weitere Forschung nötig sei, um die Zusammenhänge zwischen frühem Fernsehkonsum und späteren Verhaltensweisen weiter zu ergründen. Dennoch würden sich die Studienergebnisse in die Liste anderer Arbeiten einreihen, die auf beunruhigende Folgen für die kindliche Entwicklung und Gesundheit hindeuten, etwa was die sprachliche und kognitive Entwicklung, Schlafstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten betrifft.

Mögliche Verbindung zu ADHS und Autismus

"Dieser Zusammenhang könnte wichtige Implikationen für ADHS und Autismus haben, da hier eine atypische sensorische Verarbeitung viel häufiger vorkommt", sagt Karen Heffler. "Repetitives Verhalten, wie es bei Autismus-Spektrum-Störungen auftritt, steht in engem Zusammenhang mit atypischer sensorischer Verarbeitung." Zukünftige Arbeiten könnten klären, ob Bildschirmzeit im Kleinkindalter die sensorische Hyperkonnektivität des Gehirns, die bei Autismus-Spektrum-Störungen zu beobachten ist, fördern könnte, also etwa eine verstärkte Reaktionen des Gehirns auf sensorische Stimulationen. Abseits von genetischen und anderen Faktoren für diese Erkrankungen müssten potenziell vermeidbare Risikofaktoren wie eben die zu frühe Bildschirmexposition abgeklärt werden.

Grundsätzlich sollten Kinder unter zwei Jahren komplett von Fernsehgeräten ferngehalten werden, im Alter bis zu fünf Jahren sollte nicht mehr als eine Stunde vor dem Bildschirm verbracht werden. Davon sind viele noch weit entfernt, zumindest in den USA. Laut einem 2019 erschienenen Beitrag in "JAMA Pedriatics" verbrachten Kinder unter zwei Jahren im Jahr 2014 durchschnittlich drei Stunden täglich vor dem Fernseher. (kri, 9.1.2024)