Dezember 2023 im sudanesichen Wad Madani.
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Kapstadt – Zum zweiten Mal binnen eines halben Jahres musste Haytham Mohammed Adam alles zurücklassen. Im April 2023, als der plötzliche Ausbruch des Krieges Sudans Hauptstadt Khartum schlagartig in Afrikas schlimmstes Schlachtfeld verwandelte, ließ der 37-jährige Mitarbeiter eines Mobilfunkunternehmens sein Haus und eine Autowerkstatt zurück, die er nebenberuflich betrieb. Mit seiner Familie flüchtete er in die 200 Kilometer südöstlich gelegene Stadt Wad Madani.

Doch dort wiederholte sich am 15. Dezember das Trauma. "Um fünf Uhr morgens hat mich der Lärm von Gewehrschüssen und Kampfjets aufgeweckt", erzählt Adam am Telefon. Er nutzt eine VPN-Verbindung für den Whatsapp-Anruf, um die Internetblockade zu umgehen, die Sudans Armee verhängt hat. So bekam er kurz nach Beginn der Kämpfe auch die Nachricht, dass der Vater und zwei Söhne einer befreundeten Kollegin von einer Bombe getötet worden waren. "Da wusste ich, dass wir wieder um unser Leben rennen müssen", sagt Adam.

Gescheiterter Staat

Wad Madani galt in puncto Armeestützpunkt bis dahin als Terrain von Sudans Armee (SAF) rund um Militärchef Abdel Fattah al-Burhan. Hier, so erzählt Adam, habe die Armee auch Freiwillige für den erbitterten Kampf gegen die Miliz Rapid Support Forces (RSF) ausgebildet, die von Burhans ehemaligem Stellvertreter Mohamed "Hemeti" Daglo angeführt wird. Doch in den vergangenen Wochen hat die RSF die Stadt eingenommen und zum Symbol ihres Vormarschs gemacht.

Denn zuletzt, so sagen Beobachter, verschaffte sich die RSF einen militärischen Vorteil in dem existenziellen Krieg, der bald zum größten gescheiterten Staat der jüngeren Geschichte führen könnte. Nur kurz gab es Anfang Dezember die Hoffnung, dass sich Burhan und Daglo endlich an einen Tisch setzen könnten. Burhan hatte das persönlich bei einem Treffen des ostafrikanischen Staatenbunds Intergovernmental Authority on Development (IGAD) in Dschibuti zugesagt. Der per Telefon zugeschaltete Daglo stimmte zu. Am vereinbarten Datum, dem 28. Dezember, ließen die machthungrigen Generäle das Treffen dann aber doch platzen. In dem Durcheinander der internationalen Vermittlungsversuche waren zuvor schon jeweils Ägypten, die Afrikanische Union sowie gemeinsam Saudi-Arabien und die USA gescheitert.

Kommunikator Daglo

Beide Männer geben seitdem ein grundverschiedenes Bild ab. Während Burhan verzweifelt Zivilisten in den Kampf gegen die mit teils hochmodernen Waffen ausgerüstete RSF schicken will und ganzen Dörfern die rasche Bewaffnung versprach, trat Daglo seine erste diplomatische Tour seit Kriegsbeginn an. Und gab sich bei einem Besuch bei Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed staatsmännisch: im Maßanzug anstelle seiner beigen Uniform. Begleitet wurde er von einem professionellen Medienteam, das seine Kommunikation in den sozialen Medien minutiös steuert.

Mit Erfolg: International dominiert die Wahrnehmung, dass Daglo auf die nachhaltigere und wohl auch materielle Unterstützung in diesem Stellvertreterkrieg der Golfstaaten zählen kann. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben keinen Hehl daraus gemacht, dass sie auf seiner Seite stehen – sie erhoffen sich so mehr Präsenz am Roten Meer. Das rivalisierende Saudi-Arabien gab sich auf der anderen Seite als Unterstützer der Armee zuletzt dezenter, zumal es als Vermittler in dem Krieg auftritt.

Zumindest unterlief Südafrika, der nächsten Station der Daglo'schen PR-Tour in eigener Sache, ein diplomatischer Fehltritt. Das Präsidialbüro begrüßte den Kriegsfürsten auf dem Netzwerk X (ehemals Twitter) als "seine Exzellenz Präsident Mohamed Hamdan Daglo". Das Posting wurde rasch gelöscht, aber dennoch in arabischen Foren kontrovers diskutiert.

Kaum weitreichende Unterstützung

Die sudanesische Aktivistin Maryam Elfaki glaubt nicht an eine rasche Entscheidung. Sie ist eine der Wortführerinnen der "Nachbarschaftskomitees" im Sudan, die während der Revolution im Jahr 2019 den Widerstand der Bevölkerung gegen die Diktatur organisierten. "Die RSF macht militärisch und diplomatisch Fortschritte, aber es wird weiter ein zähes Ringen um jeden Meter geben", sagt sie am Telefon: "Die Armee ist historisch für ihre Fähigkeit bekannt, lange Kriege zu führen." Das Militär habe das vor zwanzig Jahren im Verbund mit der RSF in Darfur bewiesen. Nun bekämpfe sie den einstigen Alliierten im Verbund mit Bürgerwehren und islamistischen Milizen. Weitreichende populäre Unterstützung habe keine der Kriegsparteien.

Zivilisten wie Adam bleibt angesichts dieser dramatischen Gemengelage nur die Flucht. Sieben Millionen Vertriebene hat der Konflikt bislang gefordert, dazu tausende Tote – angesichts einer drohenden Hungersnot gilt er angesichts der schieren Masse der akut und lebensgefährlich Betroffenen inzwischen als der brutalste Krieg der Welt. Am dritten Tag der Kämpfe fuhr Adam elf Stunden lang durch die Gegend, bis er einen Bus gefunden hatte, der seine Familie nach Ägypten brachte. Über 1000 Dollar verlangte der Fahrer, noch einmal einige Hundert Dollar forderten die Schlepper an der Grenze zu Ägypten. Adam rettete, dass er sein Geld wie viele Sudanesen in bar aufbewahrt und nicht den Banken anvertraut hatte. Sie sind seit Kriegsbeginn geschlossen.

Flucht nach Ägypten

Die Familie ist nun in Ägypten bei Verwandten und hofft auf Umsiedlung durch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Aber die Nachrichten aus Wad Madani erreichen sie weiter täglich. Adam hat dort nun auch das zweite Haus, das zweite Auto verloren. Aber immerhin leben seine Frau, seine Kinder, er selbst.

Wird die RSF am Ende gewinnen? Der Flüchtling zögert kurz mit der Antwort. "Es sind so viele Menschen gestorben", sagt er, "niemand wird diesen Krieg gewinnen. Am Ende verlieren alle." (Christian Putsch, 9.1.2024)

Haytham Mohammed Adam, 34, bei der Flucht mit seiner Familie in einem Bus auf dem Weg nach Ägypten im Dezember 2023
Haytham Mohammed Adam (34) bei der Flucht mit seiner Familie in einem Bus auf dem Weg nach Ägypten im Dezember 2023.
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