Die in knapp  5.000 Metern abhanden gekommene Flugzeugabdeckung wurde in einem Garten in Oregon gefunden.
Die in knapp 5.000 Meter Höhe abhandengekommene Flugzeugabdeckung wurde in einem Garten in Oregon gefunden.
IMAGO/NTSB

Das Gefühl, in einem Flugzeug in knapp 5.000 Metern Höhe aufzuwachen und zu bemerken, dass nicht weit entfernt von seinem Sitz ein großes Loch in der Wand klafft, kennt zum Glück kaum jemand. Vi Nguyen aber gehört zu den Pechvögeln, die im mittlerweile berüchtigten Alaska-Airlines-Flug 1282 von Portland nach Ontario saßen. "Ich schaue nach links, und die Wand an der Seite des Flugzeugs ist weg. Das Erste, was ich dachte, war: Ich werde sterben", sagte sie der "New York Times".

So weit kam es nicht, wie durch ein Wunder blieben alle 177 Menschen an Bord ohne physische Schäden. Für den betreffenden US-Flugzeughersteller Boeing war das aber der Beginn der nächsten Panne, die größer ist als zunächst angenommen.

Die erste logische Frage, die nach dem Zwischenfall vom 5. Jänner auftauchte: Was ist da passiert? Gefolgt von der nächsten Frage: Sind auch andere Flugzeuge betroffen? Herausgebrochen ist auf alle Fälle eine Abdeckung für einen möglichen weiteren Notausstieg. Denn wird das Modell 737 Max 9 mit mehr Sitzen ausgestattet, wie es Billigairlines gerne praktizieren, benötigt es einen weiteren Ausgang, um den Flieger im Notfall wie vorgegeben binnen 90 Sekunden räumen zu können. Ist das nicht der Fall, bleibt der Ausstieg mit einem Panel abgedeckt.

Verschollene Bolzen

Warum dieser Türstöpsel weggerissen wurde, ist noch Gegenstand der laufenden Untersuchungen. Er ist mit zwölf Beschlägen am Flugzeug befestigt. Vier Bolzen verhindern eine vertikale Bewegung. "Die Tür hat sich nach oben bewegt und sich von den Anschlägen gelöst, wodurch die Beschläge zerbrochen sind", erklärte Ingenieur Clint Crookshanks von der US-Behörde für Transportsicherheit (NTSB) bei einer Pressekonferenz. Während das Trümmerteil im Garten eines Lehrers in Portland aufschlug und gesichert werden konnte, wurden die Bolzen noch nicht gefunden. "Und wir haben noch nicht festgestellt, ob sie dort existierten."

Das führt zur zweiten Frage, ob auch andere Flieger von diesem möglichen Produktionsfehler betroffen sein könnten. Die Antwort folgte Dienstagfrüh, und sie lautet mit hoher Wahrscheinlichkeit Ja. Die beiden Airlines, die die Boeing 737 Max 9 bislang am intensivsten nutzten – Alaska Airlines und United Airlines –, gaben bekannt, bei den anderen Flugzeugen lose Bauteile, darunter Schrauben, gefunden zu haben. Die Zahl der betroffenen Maschinen wurde nicht genannt, eine Quelle gab der Nachrichtenagentur Reuters aber bekannt, dass bei United zehn Flugzeuge betroffen seien. Das ist für Hersteller Boeing eine absolute Katastrophe. Er hatte gehofft, dass es sich lediglich um einen singulären Zwischenfall handeln könnte.

Nach dem 5. Jänner hatte die US-Luftfahrtbehörde FAA ein Flugverbot für die Maschinen der Baureihe verhängt. In Europa ist der Flugzeugtyp nicht im Einsatz. Fluglinien in anderen Erdteilen wie Turkish Airlines, Aeroméxico oder Copa Airlines aus Panama ließen ihre Boeing-Mittelstreckenflieger vorerst auch auf dem Boden. Weltweit sind etwa 215 Boeing 737 Max 9 im Einsatz.

Tödliche Abstürze der Max 8

Dieses Flugverbot für zahlreiche Boeing-Flieger erinnert an zwei Flugzeugunglücke. Im Oktober 2018 stürzte eine Maschine der indonesischen Lion Air ins Meer. Im März 2019 crashte ein Flug von Ethiopian Airlines kurz nach dem Start. Niemand überlebte, insgesamt kamen 346 Menschen ums Leben. Beide Flieger waren Boeing 737 Max 8. Die Abstürze führten dazu, dass über dieses Modell und auch die 737 Max 9 in vielen Weltregionen ein Flugverbot verhängt wurde und viele Airlines daraufhin auf sie verzichteten.

Wie sich herausstellte, war ein Softwarefehler für die Crashs verantwortlich. Dieser wurde mittlerweile behoben. Zwar gab es auch danach noch weitere kleinere Pannen bei Boeing – etwa Produktionsmängel beim Langstreckenflieger Dreamliner –, doch ansonsten war man eigentlich drauf und dran, die Produktion wieder zu erhöhen, um sich Absatzzahlen aus der Zeit vor 2018 wieder anzunähern. Gepunktet wurde dabei vor allem mit dem relativ niedrigen Treibstoffverbrauch der Flieger.

Das scheint derzeit wieder keine Rolle zu spielen. Im Mittelpunkt steht nun wieder die Frage: Wie sicher ist Boeing? (Kim Son Hoang, 9.1.2024)