Silhouette eines Mannes ist vor einem durch Rauchwolken verhangenen blauen Himmel zu sehen
Waldbrand in Brasilien (Archivbild), das seit Monaten mit verheerender Trockenheit zu kämpfen hat. Die rasche Erderhitzung sorgt für immer häufiger werdende Extremereignisse.
APA/AFP/CARL DE SOUZA

Wie so oft kommen die wichtigsten Daten des EU-Erdbeobachtungsprogramms Copernicus zu einem Zeitpunkt, an dem es im globalen Norden besonders kalt ist. Während es am Dienstag in Österreich stellenweise minus zehn Grad Celsius hatte, berichtete der Klimawandeldienst: 2023 war das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Das hatten die Prognosen schon vor einigen Wochen angedeutet. Die konkreten Daten zeigen nun, dass die Temperaturen im Durchschnitt weltweit um 1,48 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau von 1850 bis 1900 lagen. Laut Samantha Burgess, der stellvertretenden Direktorin des Copernicus-Klimawandelservice, ist es wahrscheinlich, dass es 2023 wärmer war "als in den vergangenen 100.000 Jahren".

Direktor Carlo Buontempo betonte: "Die extremen Ereignisse, die wir in den letzten Monaten beobachtet haben, sind ein dramatisches Zeugnis dafür, wie weit wir uns von dem Klima entfernt haben, in dem unsere Zivilisation bisher florierte." Die globale Erwärmung geht durch die industriellen Treibhausgase so schnell wie selten in der Erdgeschichte vonstatten und bedeutet: Menschen werden künftig stark in ihrem Lebensraum und in ihren Lebensbedingungen eingeschränkt werden.

Hitze, Dürre, steigende Pegel

Dazu gehören steigende Meeresspiegel in Küstenstädten wie auch immer häufiger werdende Hitzewellen im Sommer. Dürren und Ernteausfälle können die Lebensmittelsicherheit und die Lebensgrundlage von Landwirtinnen und Landwirten gefährden, Hitze die Gesundheit belasten. Wie etwa der aktuelle Bericht des Weltklimarats IPCC aufzeigt, kommt es bei einer Erwärmung um 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit viermal so oft zu Hitzeereignissen, die man sonst nur einmal alle zehn Jahre erwartet hätte. Außerdem treten acht- bis neunmal so oft Hitzeereignisse ein, die es sonst nur einmal in 50 Jahren gäbe. Erwartet wird bis zum Ende des Jahrhunderts aber derzeit eine globale Erhitzung um zwei bis drei Grad.

Gesammelt werden die Copernicus-Messdaten von einem weltweiten Netzwerk an Wetterstationen, Schiffen und Flugzeugen, aber auch insbesondere Satelliten. Die aktuellen Werte zeigen, dass das bisher heißeste Jahr 2016 mit großem Abstand überholt wurde. Die globale Durchschnittstemperatur lag 2023 um 0,17 Grad höher, bei 14,98 Grad Celsius. Die Monate Juli und August waren die wärmsten seit Aufzeichnungsbeginn, ab Juni brach jeder Monat des Jahres die bis dahin gemessenen Monatsrekorde.

Negative Klimarekorde

Ein absolutes Novum ist auch, dass 2023 an jedem Tag des Jahres die Temperatur weltweit um mindestens ein Grad über dem vorindustriellen Niveau lag. Ein Grad mag nicht nach besonders viel klingen, als Durchschnittstemperatur des gesamten Planeten ist eine solche Erwärmung vor allem in so kurzer Zeit jedoch immens. An nahezu der Hälfte der Tage war dieser Wert um 1,5 Grad höher, an zwei Tagen im November gar um zwei Grad. "2023 war ein außergewöhnliches Jahr, in dem sich ein Klimarekord nach dem anderen ereignete", teilte Samantha Burgess in einer Copernicus-Aussendung mit. In Europa war 2023 das bislang zweitwärmste Jahr – hinter 2020, das im Schnitt um noch 0,17 Grad wärmer war.

Dass es gerade nun so warm geworden ist, lässt sich direkt auf Treibhausgasemissionen im Laufe der Jahrzehnte zurückführen. Sie erreichten 2023 ebenfalls trotz wichtiger Einsparungen ein neues Maximum. Im vergangenen Jahr erreichte die Atmosphärenkonzentration von CO2 419 ppm (parts per million, Teilchen pro Million Teilchen) und bei Methan 1902 ppb (parts per billion, Teilchen pro Milliarde). Zu den hohen Temperaturen 2023 trug allerdings auch ein wärmendes Klimaphänomen namens El Niño bei, das schon 2016 für das bis dahin heißeste Jahr gesorgt hatte und das im Juli 2023 laut Weltwetterorganisation "offiziell" zurückgekehrt ist.

Aussicht auf 2024

Gleichzeitig waren die Ozeane schon zuvor ab dem Frühjahr ungewöhnlich warm – ebenfalls eine Folge der hohen Treibhausgaskonzentrationen in der Luft, die bisher großteils durch die Meere kompensiert werden. Die Rekordwerte an der Meeresoberfläche heizten auch die Lufttemperaturen an. Weil El Niño auch 2024 anhalten dürfte, halten es Fachleute für möglich, dass es in diesem Jahr noch wärmer werden könnte als 2023. Derweil meldete der britische Klimaforscher Ed Hawkins, der die blau-roten Klimastreifen als Visualisierung der Klimakrise bekannt machte, angesichts des Temperaturrekords 2023, er brauche eine neue Farbe.

Der deutsche Klimaforscher Stefan Rahmstorf veröffentlichte eine Variante von Hawkins' Klimastreifen mit dunklen Zukunftsaussichten.

Zu den Naturkatastrophen des vergangenen Jahres zählen Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen in vielen Weltregionen, die auch Österreich betrafen. Im Vergleich zum Vorjahr gab es um 30 Prozent mehr CO2-Emissionen durch Waldbrände, was vor allem auf die verheerenden Feuer in Kanada zurückzuführen ist. Dabei dürften mehr als 1500 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid emittiert worden sein, ungefähr das 20-Fache der jährlichen CO2-Emissionen Österreichs. In Zeiten der Klimakrise werden auch Waldbrände häufiger und zerstörerischer.

Kratzen an der 1,5-Grad-Schwelle

Wie die neuen Messdaten zeigen, kratzt die Erde schon an der 1,5-Grad-Marke. Im Jänner oder Februar 2024 dürfte sogar ein Zwölf-Monats-Zeitraum zu Ende gehen, in dessen Spanne es tatsächlich um 1,5 Grad wärmer war als vor der Industrialisierung. Das bedeutet nicht, dass das 1,5-Grad-Ziel der Pariser Klimakonferenz Geschichte ist. Dieser Wert müsste sogar über mindestens 20 Jahre im globalen Mittel erreicht oder übertroffen werden.

Visualisierung der Erwärmung der vergangenen Jahrzehnte vom November 2023.

Selbst eine spätere Rückkehr auf unter 1,5 Grad über vorindustriellem Niveau wäre durch radikale CO2-Speicherung aus der Atmosphäre durch Aufforstung und bei der Weiterentwicklung technologischer Methoden möglich. Dies hoffen auch viele Klimaforscherinnen und Klimaforscher, unter denen es jedoch auch viele gibt, die das 1,5-Grad-Ziel angesichts der aktuellen Klimapolitik längerfristig als kaum haltbar sehen. Auch im Copernicus-Bericht heißt es, dass der Grenzwert des Pariser Abkommens noch nicht überschritten sei, "aber es handelt sich hierbei um einen bedenklichen Präzedenzfall".

Mauro Facchini, der in der Europäischen Kommission die Abteilung Erdbeobachtung leitet, betonte ebenfalls den schwindenden Spielraum: "Die Europäische Union hat sich im Einklang mit den aktuellsten und besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen auf eine Reduzierung der Emissionen um 55 Prozent bis 2030 geeinigt – und bis dahin sind es nur noch sechs Jahre."

Die neuen Rekordwerte und Extremereignisse haben Copernicus-Klimawandelservice-Direktor Buontempo zufolge "tiefgreifende Folgen für das Pariser Klimaabkommen und alle damit verbundenen menschlichen Handlungsmöglichkeiten". Um mit den Klimarisiken umzugehen, "müssen wir die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft vorantreiben und gleichzeitig lernen, wie wir die Klimadaten und das Wissen, das wir haben, nutzen können, um uns auf die Zukunft vorzubereiten". Bereits jetzt geht ein aktueller Bericht im Auftrag des österreichischen Klimaministeriums davon aus, dass auf den Staat durch versäumten Klimaschutz jährliche Kosten von rund fünf bis sieben Milliarden Euro zukommen. (Julia Sica, 9.1.2024)