Zahlreiche Rechtsextremisten zeigen in Rom den
Zahlreiche Rechtsextremisten zeigen in Rom den "römischen Gruß".
AP/Francesco Benvenuti

Es waren gruselige Bilder: Angeführt von der neofaschistischen Organisation Casa Pound haben sich am Sonntagabend hunderte Rechtsextremisten an der Via Acca Larenzia in Rom vor dem ehemaligen lokalen Parteibüro des postfaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) in rechteckiger Formation aufgepflanzt, die Hand zum "römischen Gruß" (der dem Hitlergruß entspricht) ausgestreckt und "presente!" gerufen, wie einst die Schlägerbanden des Diktators Benito Mussolini in den Zwanziger- bis Vierzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Die gespenstische nächtliche Szene wurde von Fackeln beleuchtet – aber nicht von Blaulicht: Die Polizei ist nicht eingeschritten, obwohl die "Verherrlichung des Faschismus" in Italien seit Jahrzehnten ein Straftatbestand ist.

Mit dem Aufmarsch wollten die "Faschisten des 3. Jahrtausends", wie sich die Mitglieder von Casa Pound nennen, sowie andere neofaschistische "Kameraden" ihrer drei "Gefallenen" gedenken, die an der Via Acca Larenzia im Osten Roms am 7. Jänner 1978 bei einem Überfall durch eine linksextremistische Terrorgruppe ums Leben gekommen waren. Es hatte sich um einen besonders feigen Anschlag gehandelt: Die Linksterroristen kannten ihre Opfer nicht; diese mussten allein deshalb sterben, weil sie der MSI-Jugendorganisation Fronte della Gioventù (Jugendfront) angehörten – wie später auch Giorgia Meloni. Das erste Opfer starb sofort, das zweite versuchte noch verletzt zu fliehen und wurde durch Schüsse in den Rücken getötet. Das dritte Opfer wurde bei den anschließenden Tumulten durch eine Polizeikugel tödlich am Kopf getroffen. Es wurden zwar Täter ermittelt und verurteilt, aber sie gingen nie ins Gefängnis – das Verbrechen ist nach 46 Jahren immer noch ungesühnt.

Kritik der Opposition

Der Aufmarsch der Neofaschisten hat in Italien eine heftige Debatte ausgelöst. Die Chefin des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), Elly Schlein, erinnerte daran, dass beim jüngsten Eröffnungskonzert der neuen Saison an der Mailänder Scala sofort die Polizei aktiv geworden sei, als ein Zuschauer "Es lebe das antifaschistische Italien" gerufen habe. "Aber wenn hunderte Neofaschisten den 'römischen Gruß' zeigen, passiert nichts", empörte sich Schlein. Sie forderte Innenminister Matteo Piantedosi auf, im Parlament darzulegen, wie so etwas passieren konnte, und fügte an: "Hat Giorgia Meloni dazu eigentlich nichts zu sagen?" Auch die zweitgrößte Oppositionspartei, die Fünf-Sterne-Protestbewegung, kritisierte das Schweigen der Ministerpräsidentin und forderte zusammen mit dem PD, dass die offen verfassungsfeindliche Organisation Casa Pound verboten werde.

Während die Regierungschefin weiterhin stumm blieb, reagierte inzwischen immerhin ihre Partei auf die Kritik. In einem Communiqué betonen die Fratelli d'Italia, dass die Parteiführung alle Mitglieder aufgefordert habe, derartigen Veranstaltungen fernzubleiben. Der Opposition wirft die größte Regierungspartei Heuchelei vor: "An der Via Acca Larenzia finden seit 1978 jedes Jahr Gedenkveranstaltungen für die drei Jungs statt – und nun tut die Linke so, als entdecke sie dies erst heute."

Melonis Dilemma

Seit dem Anschlag waren in Rom mehrere Mitte-links-Regierungen am Ruder gewesen – und in der Tat hatte sich keine von ihnen veranlasst gefühlt, gegen die Gedenkveranstaltungen einzuschreiten. Auch gegen die alljährlichen Aufmärsche von Neofaschisten und Duce-Nostalgikern in Predappio, dem Geburtsort Mussolinis, wurde nie etwas unternommen.

Die Kritik der Linken an Melonis Schweigen und Untätigkeit wirkt somit tatsächlich etwas vorgeschoben – die Opposition bezweckt damit vor allem eines: Sie will damit die Regierungschefin in Bedrängnis bringen, die vor einem offensichtlichen Dilemma steht. Einerseits hat Meloni, die in einigen gesellschaftlichen Fragen zwar reaktionäre Ideen hat, aber mit beiden Füßen auf dem Boden des demokratischen Rechtsstaats steht, mit den ganzen Duce-Nostalgikern in- und außerhalb ihrer Partei nichts am Hut. Das gilt auch für den größten Teil der 26 Prozent der Italienerinnen und Italiener, die im September 2022 Meloni und ihren Fratelli d'Italia ihre Stimme gegeben hatten. Gleichzeitig will Meloni aber ein halbes Jahr vor den Europawahlen auch nicht den harten Kern ihrer postfaschistischen Stammwähler vor den Kopf stoßen.

Die "bleiernen Jahre"

Der Anschlag an der Via Acca Larenzia war ein Wendepunkt der italienischen Nachkriegsgeschichte: Als Antwort darauf gründeten einige Mitglieder des MSI und seiner Jugendfront die rechtsextreme Terrorgruppe NAR, die zwei Jahre später beim Bombenanschlag auf den Hauptbahnhof von Bologna federführend in der Szene sein sollte. Mit 85 Toten handelte es sich um das blutigste Attentat der "bleiernen Jahre".

Und nur zwei Monate nach den Morden an der Via Acca Larenzia entführten die Linksterroristen der Roten Brigaden (Brigate Rosse, BR) den damaligen christdemokratischen Spitzenpolitiker Aldo Moro – und stellten damit die noch relative junge Republik vor die größte Herausforderung der Nachkriegsgeschichte. Insgesamt sind in Italien dem rechten und linken Terror über tausend Menschen zum Opfer gefallen – und es scheint, dass die Gespenster der Vergangenheit das Land bis heute nicht loslassen. (Dominik Straub aus Rom, 9.1.2024)