Carrie Brownstein (li.) und Corin Tucker sind Sleater-Kinney. Ein persönlicher Verlust prägt die Stimmung auf
Carrie Brownstein (li.) und Corin Tucker sind Sleater-Kinney. Ein persönlicher Verlust prägt die Stimmung auf "Little Rope", dem neuen Album der US-Band.
Chris Hornbecker

Der Tod ist ein Hund. Das ist aus der Perspektive der Binse betrachtet keine neue Erkenntnis. Da mag ein dahingegangenes geliebtes Wesen längst auf dem Wölkchen surfen, die Hölle bleibt den Hinterbliebenen, sie leiden Qualen.

Dementsprechend thematisiert das Lied Hell von Sleater-Kinney zutiefst weltliches Leid. Der Grund für diese Themensetzung ist schnell erklärt: Die Mutter und der Stiefvater der Sleater-Kinney-Gitarristin Carrie Brownstein sind vor zwei Jahren in Italien bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Dieser Umstand taucht das am Freitag erscheinende Album Little Rope in eine entsprechend düstere Stimmung.

Sleater-Kinney - Hell (Official Music Video)
SleaterKinneyVEVO

Nun ist die US-Band aber im Punkrock verwurzelt. Der verbietet sich zwar den Griff zur Selbstzerfleischungsballade, nicht aber Zorn und Schmerz. Übersetzt werden derlei Gefühle in so bekannter wie gekonnter Weise: jaulende Gitarren, brüchige Riffs, ein Gesang aus vollen Lungen.

Toxische Weiblichkeit

Sleater-Kinney sind aktuell ein Duo, das 1994 als Riot-Grrrl-Gruppe aufgetaucht ist. So nannte sich eine lose Bewegung feministischer Bands. Von der ursprünglichen Dreierbesetzung sind nur Carrie Brownstein und Corin Tucker übrig, von Langzeitschlagzeugerin Janet Weiss hat man sich 2019 im Unfrieden getrennt. Nennen wir es toxische Weiblichkeit.

Sleater-Kinney zählen zu den erfolgreichsten und langlebigsten Riot-Grrrl-Bands. Wenngleich diese Bewegung als eher historisch zu betrachten ist, hatte sie einen starken Einfluss auf die Alternative Music, die in den 1990ern in den Mainstream einsickerte.

Sleater-Kinney - Say It Like You Mean It (Official Music Video)
SleaterKinneyVEVO

Sleater-Kinney stammen aus Olympia im US-Bundesstaat Washington, der in den 1990ern wegen Grunge besonders populär war. Entsprechend angesagt und exklusiv war das Netzwerk, in dem die Band agieren konnte: Die Bandbreite der Kollegen und Unterstützer reichte von Pavement über Pearl Jam bis zu den damals allgegenwärtigen Sonic Youth.

Sleater-Kinney setzten aber andere Themen als die zornigen Buben aus Seattle – ohne dass sie weniger energetisch gewesen wären. Es folgten eine Weltkarriere und sieben Alben, die im ersten Karriereabschnitt erschienen sind. 2007 auferlegte sich die Band nach einem Zusammenbruch Brownsteins eine Auszeit, erst 2015 kehrte das Trio mit No Cities to Love eindrucksvoll wieder.

Ab 2011 machte Brownstein als Gestalterin und Schauspielerin in der Sketch-Comedy-Serie Portlandia Karriere. Die Show mit ihren vielen prominenten Gästen wurde ein Hit, was der Aufmerksamkeit für die Band nicht abträglich war; zuletzt war die 49-Jährige in der Serie Transparent zu sehen.

Gefühl für Brüche

Kunst als therapeutisches Ventil hat sich vielfach bewährt, Little Rope ist voller Andeutungen und Hinweise auf den Umgang mit dem Verlust und dem Schock, den er gebracht hat. "Hell is just a place that / We can’t seem to live without / I pull myself in pieces / Pull myself apart / It’s like looking in a mirror / And seeing a stranger looking back."

Das wird für den Literaturnobelpreis nicht reichen, aber zusammen mit zwei tief gestimmten E-Gitarren und einem rabiaten Schlagzeug ist es genug, um die Verfasstheit vor allem Brownsteins festzumachen. Sleater-Kinney schaffen es, ein leidlich strapaziertes Format frisch klingen zu lassen. Sie haben Gefühl für Melodien und richtig gesetzte Brüche und die Energie, die es dafür braucht. Im Katalog der Band ist Little Rope im Mittelfeld anzusiedeln, doch je öfter man es hört, desto mehr offenbart es sich. Wieder etwas, das die Binse gelangweilt zur Kenntnis nimmt. (Karl Fluch, 16.1.2024)