Mindear
Ein Chatbot ersetzt den Psychologen, eine Klangtherapie soll den Betroffenen lehren, mit dem Tinnitus besser umzugehen.
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Es kann ein hoher Ton sein, der nicht mehr weggehen will, oder auch ein permanentes Summen. Tinnitus beeinträchtigt immer mehr Menschen in ihrer Lebensqualität. Bis zu 25 Prozent der Einwohner von Industrieländern sind von Tinnitus betroffen, in Österreich sind es rund eine Million Menschen. Heilung in dem Sinn gibt es keine, man kann nur lernen, damit umzugehen. Jetzt wollen Forschende eine App entwickelt haben, die die Beeinträchtigungen zumindest verringern kann.

Kleine Testgruppe

Tatsächlich sind die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten sehr limitiert. Häufig wird eine kognitive Verhaltenstherapie (KVT) angewendet, bei der versucht wird, die emotionale Bindung an das Geräusch zu verringern, damit das Gehirn lernt, es auszublenden. Abgesehen von hohen Kosten sprechen auch viele Patienten nicht auf die Therapie an.

Deshalb wird schon lange an Alternativen geforscht, und jetzt scheint erstmals ein Durchbruch erreicht worden zu sein. Forscher haben eine App namens Mind-Ear entwickelt, die die kognitive Verhaltenstherapie via Chatbot mit einer Klangtherapie kombiniert. "Wir wollen die Menschen in die Lage versetzen, die Kontrolle wiederzuerlangen", sagt Dr. Fabrice Bardy, der Autor der Studie von der Universität Auckland. Bardy leidet selbst an Tinnitus, weshalb er auch als Leiter der Studie aktiv war.

28 Probanden nahmen an der Studie teil. Die Hälfte davon nutzten acht Wochen lang die App für zehn Minuten täglich. Die andere Hälfte wurde in diesem Zeitraum viermal halbstündig von einem klinischen Psychologen betreut. Vor und nach der Behandlung wurden von allen Probanden Online-Fragebögen ausgefüllt. Das Ergebnis war, dass sechs Teilnehmer aus der App-Gruppe und neun Teilnehmer aus der Psychologengruppe klinisch signifikante Verringerungen der durch den Tinnitus verursachten Belastung aufwiesen. Nach acht weiteren Wochen Behandlung berichteten fünf weitere Personen in der App-Gruppe von deutlichen Verbesserungen.

Therapie nicht ersetzbar

Nach den ersten erfolgreichen Versuchen soll demnächst eine größere klinische Studie zusammen mit dem University College London (UCL) gestartet werden, verrät Bardy im Fachmagazin "Frontiers in Audiology and Otology". Die in London für die Studie Verantwortliche, Dr. Lucy Handscomb, sagte in einem Interview, dass vor allem die langen Wartezeiten auf eine Therapie bei Tinnituspatienten für Frustration sorge.

Durch die App sei eine zeitnahe Hilfe greifbar, bevor Menschen in "negative Gedankenkreisläufe" geraten könnten. "Ich sehe Mind-Ear nicht als Ersatz für eine persönliche Tinnitustherapie, aber ich denke, es könnte eine sehr wertvolle Ergänzung dazu sein." (red, 10.1.2024)