Vatikanstadt/Rom – Wie sich die Zeiten doch ändern! Noch vor wenigen Jahren galt die Glaubenskongregation – die Nachfolgeorganisation der Inquisition – als Hort einer unflexiblen und weltfremden Sexualitätsfeindlichkeit, die alles verdammte, was nicht strikt der Zeugung von Nachkommen durch ein ordentlich verheiratetes Ehepaar entsprach. Und nun das: Ausgerechnet dem Chef dieser wichtigsten vatikanischen Behörde, Victor Manuel Fernández, wird vorgeworfen, selber ein Wüstling zu sein. Wegen eines Buchs, das er vor 25 Jahren als 36-jähriger Priester geschrieben hatte, bezichtigen ihn konservative Katholiken nun der Blasphemie, der Pornografie und der "Pornotheologie". Was es nicht alles gibt!

Victor Manuel Fernandez, zu der Zeit noch Erzbischof von La Plata, nach einer dortigen Sonntagsmesse, 9. Juli 2023.
AP/Natacha Pisarenko

Victor Manuel Fernández unterscheidet sich in der Tat erheblich von den meisten seiner Vorgänger an der Spitze der Glaubenskongregation, zu denen etwa der gestrenge Kardinal und spätere Papst Joseph Ratzinger und der in Fragen der weltlichen Liebe ebenso eiserne Kardinal Ludwig Gerhard Müller zählten. Fernández stammt wie Papst Franziskus aus Argentinien und gilt als verhältnismäßig liberal. Er war von Papst Franziskus im vergangenen Juli zum Präfekten der Glaubenskongregation ernannt worden, die seit der Kurienreform "Dikasterium für die Glaubenslehre" heißt. Vor seinem Wechsel nach Rom war der heute 61-jährige Fernández Erzbischof von La Plata gewesen.

"Die mythische Leidenschaft"

Schon seine Ernennung zum neuen Glaubenshüter hatte in konservativen Kreisen zu einem Geraune geführt. Fernández wird von den Orthodoxen als "Kussexperte" verspottet, weil er im Jahr 1995 als junger Priester ein Büchlein mit dem Titel "Heile mich mit deinem Mund. Die Kunst des Küssens" veröffentlicht hatte. Nun haben seine Gegner noch ein zweites Buch ausgegraben, das er drei Jahre später geschrieben hatte. Es trägt den Titel "Die mythische Leidenschaft". Darin beschreibt Fernández in mitunter recht expliziter Form die Unterschiede zwischen dem weiblichen und dem männlichen Orgasmus. Der weibliche Höhepunkt, erklärte der heutige Glaubenshüter unter anderem, sei "in der Regel unersättlich" – was eine Erklärung dafür sein könnte, dass die Frauen "offener für religiöse Erfahrungen" seien.

Er habe das Buch für junge Paare in seiner Pfarrei geschrieben, die von ihm wissen wollten, welche Verbindung es gebe zwischen ihrer intimen Liebe und ihrer Glaubenserfahrung, betonte Fernández am Mittwoch gegenüber dem "Corriere della Sera". Sein Buch enthalte keine theologischen Fehler, aber wenn er es nun wieder lese, dann müsse er sagen, dass er heute "ein anderes Buch" schreiben würde. Ihm sei auch schnell klar geworden, dass einige Passagen in nicht angemessener Weise interpretiert werden könnten – besonders dann, wenn diese aus dem Zusammenhang gerissen würden. Aus diesem Grund habe er es kurz nach dessen Erscheinen wieder zurückgezogen.

Segnung homosexueller Paare

Dass das Buch in diesen Tagen trotzdem auf den Blogs ultrakonservativer katholischer Organisationen auftauchte, ist kein Zufall: Fernández hatte kurz vor Weihnachten mit der Billigung des Papstes die Erklärung "Fiducia supplicans" veröffentlicht, mit der die Segnung homosexueller Paare ermöglicht wird, wenn auch nur in einem klar abgesteckten Rahmen.

Das ist für die Orthodoxen unerträglich – und so kam jetzt die Retourkutsche. Der Papst dagegen steht hinter seinem Landsmann. Im Brief zu dessen Ernennung hatte Franziskus den neuen Glaubenshüter gebeten, sich nicht mit einer "Schreibtischtheologie" zu begnügen; dabei betonte der Papst die Notwendigkeit einer Denkweise, die "überzeugend einen Gott darstellen kann, der liebt, der vergibt, der rettet, der befreit und der die Menschen fördert". (Dominik Straub aus Rom, 11.1.2024)