Als "wichtige Säule im Kampf um historische, schonungslose Aufarbeitung unserer dunkelsten Geschichte" sowie "gegen illiberale und totalitäre Tendenzen heute und als unverzichtbares Element im Netzwerk gegen die Feinde der offenen Gesellschaft" bezeichnete Bundespräsident Alexander Van der Bellen das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) bei dessen Festakt zum 60-jährigen Bestehen am Mittwochabend im Wiener Rathauskeller. Van der Bellen betonte, dass gerade das Aufflammen von Antisemitismus in jüngster Zeit, das ihn "fassungslos" mache, zeige, dass kein "bequemer Schlussstrich" gezogen werden könne.

Alexander Van der Bellen, Bundespräsident der Republik Österreich, spricht beim Festakt 60 Jahre Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes DÖW im Wiener Rathauskeller. 
Alexander Van der Bellen, Bundespräsident der Republik Österreich, sprach beim Festakt "60 Jahre Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes" im Wiener Rathauskeller.
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Das DÖW wurde im Februar 1963 von ehemaligen Widerstandskämpfern und Wissenschaftern gegründet und arbeitete am Anfang vor allem an der wissenschaftlichen Dokumentation von Widerstand und Verfolgung in Österreich während des Austrofaschismus von 1933 bis 1938 und des Nationalsozialismus von 1938 bis 1945. Wichtig war auch die Aufarbeitung der Verbrechen der NS-Medizin und der Nachkriegsjustiz, Entschädigungen nach 1945 sowie später die Beobachtung von rechtsextremen und neonazistischen Strömungen in der Gegenwart.

Verantwortung

Für die Arbeit des DÖW relevant war auch die Moskauer Deklaration, die 1943 unter Mitwirkung der Außenminister der USA, der Sowjetunion und Großbritanniens erste Entwürfe für ein Nachkriegseuropa verfasste. Darin gab es nicht nur jenen Passus, auf den sich die bis in die frühen 1990er-Jahre gepflegte These vom Opferland Österreich stützte, sondern auch das Verlangen, dass das Land für die Teilnahme am Krieg Verantwortung übernimmt und danach beurteilt werden solle, wie sehr es selbst zu seiner Befreiung beigetragen habe. Die Historikern Margit Reiter ging auf die auch darauf fußenden Entwicklungen nach 1945 in ihrem Festvortrag ein.

Ein anderer gelernter Historiker thematisierte ebenfalls die Gründungszeit der Zweiten Republik: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der darauf hinwies, dass im Roten Salon, genau einen Stock über dem Rittersaal im Rathaus, wo der Festakt stattfand, am 27. April 1945 Vertreter von SPÖ, ÖVP und KPÖ die erste konstituierende Sitzung der neuen Bundesregierung abhielten.

Michael Häupl, ehemaliger Wiener Bürgermeister und Vorsitzender des Stiftungsrates DÖW, spricht beim Festakt 60 Jahre Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes DÖW im Wiener Rathauskeller. 
Michael Häupl, ehemaliger Wiener Bürgermeister und Vorsitzender des Stiftungsrats des DÖW, sprach beim Festakt "60 Jahre Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes" im Wiener Rathauskeller.
IMAGO/Andreas Stroh

Michael Häupl, Vorsitzender des DÖW-Stiftungsrats und Ludwigs Vorgänger als Bürgermeister, hatte zuvor den Festakt eröffnet und ging wie auch Ludwig auf aktuelle Angriffe auf das DÖW seitens einer einzigen Partei ein – nämlich der FPÖ: "Wenn man sich inhaltlich nicht auseinandersetzen will, geht man auf Personen oder die Institution los", so Häupl. Aktuell wurden die Angriffe entzündet, als das Dokumentationsarchiv vom Innenministerium mit der Erstellung des Extremismusberichts betraut wurde. Alle Redner waren sich darin einig, dass es hierfür keine geeignetere Institution im Land gebe.

Professorin für europäische Zeitgeschichte Margit Reiter hielt den Festvortrag im Rahmen des Festaktes 60 Jahre Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) im Wiener Rathauskeller.
Margit Reiter,Professorin für europäische Zeitgeschichte, hielt den Festvortrag im Rahmen des Festakts "60 Jahre Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes" im Wiener Rathauskeller.
APA/MAX SLOVENCIK

Dass dies nichts Neues sei, führte auch Reiter im Festvortrag aus: Das überparteilich gegründete DÖW sei in seiner gesamten Geschichte immer wieder von rechter Seite als "kommunistische Tarnorganisation" verunglimpft worden. Auch die Identitären seien längst als das erkannt worden, was sie sind, so Reiter: "Wiedergänger einer alten Ideologie im neuen, schicken Gewand."

Budgetäre Aufstockung zum Geburtstag

Dass das DÖW seine zahlreichen Aufgaben weiterhin gut erfüllen kann, soll auch durch eine Aufstockung des Budgets auf je 855.000 Euro durch die zuständige und ebenfalls beim Festakt anwesende Stadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) und Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) sichergestellt werden. Letzterer hat als Historiker vor allem durch seine Forschungen zur Nachkriegsjustiz an der Uni Graz jahrzehntelange Bindungen zum DÖW. Er lobte es in seiner Festrede als "zentralen Nukleus der Widerstandsforschung" und "wichtige Instanz im Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus".

Wann genau der Umzug des DÖW vom alten Rathaus in der Wipplingerstraße auf das Otto-Wagner-Areal erfolgt, ist noch unklar, doch die aufgestockte Förderung wird laut DÖW-Leiter Andreas Kranebitter auch für den Umzug und Ausbau des Instituts gebraucht werden.

Der Ort, in dem die Wissenschafterinnen und Wissenschafter des DÖW dann künftig arbeiten werden, hat eine besonders katastrophale Geschichte. Im Pavillon 15 wurden Kinder Opfer des NS-Regimes. Stiftungsrat-Chef Michael Häupl sieht den Einzug des DÖW an genau diesem Ort als "Antwort auf die verachtenswerten Kindermorde der Nationalsozialisten". (Colette M. Schmidt, 11.1.2024)