Ein Grabstein mit der Aufschrift
Bei der Vorhersage der Todeswahrscheinlichkeit soll "life2vec" um elf Prozent genauer als bisherige Modelle sein.
Midjourney/Stefan Mey

In einem umfassenden wissenschaftlichen Projekt haben dänische Forscherinnen und Forscher ein KI-Modell trainiert, das auf Basis von demografischen Daten und bisherigen Ereignissen im Lebenslauf künftige Lebensereignisse hervorsagen kann – inklusive der Prognose, ob eine Person innerhalb der kommenden vier Jahre stirbt. Die Ergebnisse haben die Forschenden im Fachmagazin "Nature Computational Science" veröffentlicht.

Ein ChatGPT fürs Leben

Das Team bekam für das Projekt unter strengen Datenschutzauflagen Zugriff auf die Daten von rund sechs Millionen Däninnen und Dänen aus dem Zeitraum zwischen 2008 und 2020, inkludiert waren hier Angaben zu Wohnort, Ausbildung, Beruf, Einkommen und Sozialleistungen sowie zu medizinischen Informationen wie etwa zu Arztbesuchen, Diagnosen und der Schwere etwaiger diagnostizierter Krankheiten.

Die Daten wurden in ein Transformer-Modell namens "life2vec" eingespeist, ähnlich diversen Sprachmodellen wie ChatGPT oder Google Bard. Es stellt Verbindungen zwischen Lebensereignissen her, so wie es die besagten Sprachmodelle mit Wörtern tun. Dieses Modell war anschließend in der Lage, entsprechende Prognosen zu künftigen Lebensereignissen zu treffen.

"Wir haben das Modell verwendet, um die grundlegende Frage zu beantworten, inwieweit wir Ereignisse in der Zukunft auf der Grundlage von Bedingungen und Ereignissen in der Vergangenheit vorhersagen können", sagt Sune Lehmann, Professorin an der DTU und Hauptautorin der Studie. "Wissenschaftlich gesehen ist für uns nicht so sehr die Vorhersage selbst spannend, sondern die Aspekte der Daten, die es dem Modell ermöglichen, so präzise Antworten zu geben."

In vier Jahren bist du tot

Da die Daten bis 2020 verfügbar waren, aber nur Daten bis 2016 eingespeist wurden, konnte auch überprüft werden, ob richtig vorhergesagt wurde, dass eine Person in den kommenden vier Jahren stirbt. Bei dieser Frage soll das Modell bisherige Systeme zur Prognose von Sterblichkeit in puncto Genauigkeit um elf Prozent übertroffen haben. Zudem korrelierte das Modell mit bisherigen Erkenntnissen aus den Sozialwissenschaften, etwa dass Menschen in Führungspositionen und mit einem hohen Einkommen eine höhere Lebenserwartung haben und dass Männer oder Menschen mit einer diagnostizierten psychischen Erkrankung ein höheres Sterberisiko haben.

Life2vec stellt die Daten auf einem System aus Vektoren dar und entscheidet, wie diese auf Basis der zeitlichen Abläufe organisiert werden. "Spannend ist es, das menschliche Leben als eine lange Abfolge von Ereignissen zu betrachten, ähnlich wie ein Satz in einer Sprache aus einer Reihe von Wörtern besteht", sagt Lehmann: "Dies ist normalerweise die Art von Aufgabe, für die Transformatormodelle in der KI verwendet werden, aber in unseren Experimenten verwenden wir sie, um das zu analysieren, was wir Lebenssequenzen nennen, also Ereignisse, die im menschlichen Leben passiert sind."

Ethische Fragen

In einer Presseaussendung widmet sich das Team auch den ethischen Fragen rund um die eigenen Forschungsergebnisse. So müssen etwa die heiklen persönlichen Daten der Menschen geschützt werden, außerdem entstehen Fragen der Voreingenommenheit ("AI Bias"), weil gewisse Bevölkerungsgruppen zum Beispiel öfter zum Arzt gehen und somit mehr Daten über sie zur Verfügung stehen. Diese Fragen sollten adressiert werden, bevor das Modell in der Praxis eingesetzt werden kann.

"Das Modell eröffnet wichtige positive und negative Perspektiven, die politisch diskutiert und angegangen werden können", sagt Lehmann. Und verweist auf den realen Einsatz in der digitalen Wirtschaft: "Ähnliche Technologien zur Vorhersage von Lebensereignissen und menschlichem Verhalten werden bereits heute in Technologieunternehmen eingesetzt, die zum Beispiel unser Verhalten in sozialen Netzwerken verfolgen, uns extrem genau profilieren und diese Profile nutzen, um unser Verhalten vorherzusagen und uns zu beeinflussen."

Es müsse diskutiert werden, wohin die Technologie uns führe. Und ob das eine Entwicklung ist, die wir haben wollen. (stm, 11.1.2024)