Hannah Ritchie glaubt schon länger nicht mehr an den Weltuntergang durch den Klimawandel. Je intensiver sich die Umweltwissenschafterin mit den harten Zahlen beschäftigte, desto mehr ging ihr anfänglicher Pessimismus über die Zukunft der Welt zurück. Klimafreundliche Technologien seien auf dem Vormarsch, in Industrieländern gingen die CO2-Emissionen zurück, und die Temperaturprognosen seien nicht mehr ganz so düster wie noch vor wenigen Jahren.

Trotzdem sei es normal geworden, Kindern zu erzählen, dass sie am Klimawandel sterben werden, stellt Ritchie zu Beginn ihres am Donnerstag veröffentlichten Buches "Not the End of the World" fest. Als Forschungsleiterin bei der Plattform Our World in Data kämpft sich schon länger gegen Untergangstimmung, die oft aus Halbwissen und falschen Annahmen entsteht, sagt Ritchie.

Auf der von der Universität Oxford betriebenen Datenplattform liest man etwa, dass die "Auslagerung" westlicher Emissionen nach China nicht die ganze Wahrheit sei, dass Kohlestrom rund 800-mal tödlicher als Atomenergie sei oder dass es für den Fußabdruck der eigenen Ernährungsweise fast egal sei, woher das Essen kommt. Ihr nüchterner Blick auf die Klimaproblematik zieht sich auch in ihrem Buch fort. Ihr geht es nicht darum, die Klimakrise zu verharmlosen, sagt sie. Optimismus könne aber helfen, die dringend notwendigen Entwicklungen zu beschleunigen.

Hannah Ritchie wünscht sich mehr Klimaoptimismus.

STANDARD: Ihr Buch trägt den Untertitel "Die erste Generation, die einen nachhaltigen Planeten schaffen kann" – eine offensichtliche Anspielung auf die Letzte Generation. Welche Sichtweise bieten Sie als Alternative an?

Ritchie: Im Begriff Letzte Generation steckt ja die durchaus legitime Prämisse, dass wir die letzte Generation sind, die den Klimawandel eindämmen kann. Aber es schwingt auch Angst mit, es geht vor allem um Schadensbegrenzung, ums Überleben. Ich versuche, eine optimistischere Version der Zukunft zu zeichnen, die sich nicht darum dreht, was wir verlieren, sondern was wir gewinnen können. Klimaschutz und Fortschritt werden oft gegeneinander ausgespielt – dabei ist beides gleichzeitig möglich.

STANDARD: Auch Sie haben als Jugendliche geglaubt, dass die Folgen des Klimawandels uns alle umbringen werden, liest man in Ihrem Buch. Was hat Ihre Ansicht geändert?

Ritchie: Ich bin Teil einer Generation, die sich dauernd mit dem Klimawandel auseinandersetzt. Ich habe dann noch Umweltwissenschaften studiert, wo zum Klimawandel noch etliche andere Umweltprobleme dazukamen. Das hat sich bedrückend angefühlt. Ich hatte den starken Drang, eine informierte Bürgerin zu sein, jede Katastrophe in den Nachrichten zu verfolgen, immer auf dem neuesten Stand zu bleiben. Damals nahm ich einfach an, dass die Welt immer schlimmer wurde. Ein entscheidender Wendepunkt war, als ich auf Hans Rosling gestoßen bin. Er war ein schwedischer Statistiker, der mit Daten belegte, dass viele unserer Vorstellungen falsch sind. Denn viele Dinge werden besser.

STANDARD: In Roslings Bestseller "Factfulness" geht es vor allem um Lebenserwartung, Bildung und Einkommen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten positiv entwickelt haben. Beim Klima sieht es weniger gut aus, die Treibhausgasemissionen steigen immer weiter.

Ritchie: Alle Kennzahlen, bei denen es um das menschliche Wohl geht, haben sich in die richtige Richtung entwickelt, allerdings auf Kosten der Umwelt. Aber der Zustand der Welt wird nicht nur durch die Menge an Treibhausgasen definiert. Der menschliche Fortschritt war schneller als die steigenden Temperaturen. Die Auswirkungen des Klimawandels sind schlimmer geworden, aber wir haben gleichzeitig Widerstandskraft aufgebaut. Der Klimawandel hat unsere Anpassungsfähigkeit bisher nicht überholt. Die Frage ist, ob wir diese Geschwindigkeit beibehalten können. Viele glauben, dass bei der Bekämpfung des Klimawandels seit Jahrzehnten nichts weitergeht. Dabei bewegt sich vieles in die richtige Richtung – wenn auch nicht schnell genug.

STANDARD: Wo?

Ritchie: Viele Leute glauben, dass die CO2-Emissionen überall auf der Welt steigen – aber das stimmt nicht. In vielen, insbesondere wohlhabenden Staaten gehen sie zurück. Was mir Hoffnung macht, ist, dass die Kosten für kohlenstoffarme Technologien wie Photovoltaik, Windenergie, Batterien oder E-Autos sinken – und zwar massiv. Und wir nutzen sie auch. China hat im vergangenen Jahr so viele Windkraft- und Solaranlagen gebaut, dass die den Strombedarf von Großbritannien oder Frankreich decken könnten – in einem einzigen Jahr! Wir sind heute in einer komplett anderen Position als noch vor zehn Jahren. Auch Länder mit mittlerem oder niedrigem Einkommen werden diese klimafreundlichen Technologien nutzen, selbst wenn sie sich nicht um das Klima kümmern – einfach weil sie billiger sind, als fossile Brennstoffe zu nutzen.

Innerhalb weniger Jahre hat sich die installierte Leistung der Photovoltaikanlagen in China vervielfacht.
Reuters/Carlos Barria

STANDARD: Und trotzdem werden fleißig Kohlekraftwerke gebaut und neue Öl- und Gasvorkommen angezapft.

Ritchie: Der Bau von Solar- und Windkraftanlagen schreitet aber viel schneller voran. Sie sind pro Energieeinheit zwar günstiger als fossile Kraftwerke, aber die Vorlaufkosten sind bei erneuerbaren Energien höher. Wenn Sie eine Wind- oder Solaranlage bauen, fallen fast alle Kosten im Voraus an, dafür läuft das Ding fast kostenlos, wenn es erst einmal installiert ist. Das ist ein Problem für einkommensschwache Staaten. Sie entscheiden sich dann oft für fossile Kraftwerke, bei denen die Anfangskosten moderater sind, dafür laufende Kosten für die Brennstoffe anfallen. Deshalb plädiere ich auch dafür, dass reiche Staaten einkommensschwache Länder bei diesen Anfangskosten unterstützen.

STANDARD: Ist nicht auch die Speicherung erneuerbarer Energien ein Problem?

Ritchie: Definitiv. Wir haben Lösungen, um Energie kurzfristig speichern zu können, einige Stunden oder Tage. Die saisonale Speicherung ist problematischer. Ich glaube aber, dass es auch dafür Lösungen gibt. Wir müssen nicht nur auf eine einzige, sondern auf ein breites Portfolio an Energiequelle setzen: Wind, Sonne, Erdwärme, Kernenergie – ein bisschen was von allem. Wasser, in dem man Energie speichern kann, wird die Netze künftig unterstützen. Mit Hochspannungsleitungen kann man Energie über große Entfernungen transportieren und den Bedarf so ausgleichen. Es gibt viele Möglichkeiten. Aber ja, saisonale Speicherung wird ein Problem werden, wenn wir einen sehr hohen Anteil an erneuerbaren Energien erreichen. Davon sind wir aber noch weit entfernt.

Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern (hier in der indonesischen Provinz Banten) werden weiterhin neue Kohlekraftwerke gebaut. Das liegt laut Ritchie an den geringeren Anfangskosten.
AFP/RONALD SIAGIAN

STANDARD: Sie betonen oft, wie wichtig Daten und Fakten für die Bekämpfung der großen Probleme sind. Wo liegen die größten Wissenslücken und Missverständnisse in der Klimadebatte?

Ritchie: Es ist wichtig, die Fortschritte, die es in vielen Ländern gibt, hervorzuheben. Sie machen nicht nur Mut, sondern üben auch Druck auf die Verantwortlichen in anderen Ländern aus, zu handeln. Die einfachste Ausrede für eine Regierung, nichts zu unternehmen, ist die Wahrnehmung, dass auch die anderen nichts tun. Die große Herausforderung ist auch zu verstehen, wie wirksam die unterschiedlichen Maßnahmen sind. Oft täuscht uns unsere Intuition darüber, was wirklich umweltfreundlich ist.

STANDARD: Zum Beispiel beim Thema Palmöl, für das Sie in Ihrem Buch eine Lanze brechen. Viele bringen es mit der Abholzung des Regenwaldes in Verbindung.

Ritchie: Ich sage nicht, dass Palmöl kein Problem für die Umwelt ist. Aber wir müssen uns fragen, was die Alternativen sind. Die Ölpalme ist eine sehr ertragreiche Pflanze. Will man auf Palmöl verzichten, muss die Nachfrage nach Pflanzenölen mit anderen Ölen gedeckt werden, die weniger Ertrag liefern und deshalb mehr Fläche benötigen. Ebenso wenig wie ein Boykott ist die Lösung aber auch nicht, einfach alles so zu belassen, wie es ist. Es muss wirklich strenge Standards geben, damit für Palmöl keine Wälder abgeholzt werden.

Palmölproduktion wird wegen ihrer verheerenden Wirkung auf die Regenwälder kritisiert. Laut Ritchie sei die Ölpalme aber besser als ihr Ruf.
REUTERS/WILLY KURNIAWAN

STANDARD: Klimaaktivismus kommt oft gepaart mit Kapitalismuskritik. Viele Klimaaktivisten, aber auch Forschende kritisieren, dass es unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten nicht geben kann.

Ritchie: Ich glaube, dass es vor allem eine Zeitfrage ist. Uns bleiben fünf oder sechs Jahre, um die Erderwärmung auf rund 1,5 Grad zu beschränken. Wir haben einfach keine Zeit dafür, das System zu stürzen. Die Lösungen liegen auf dem Tisch – wir können viel mehr erreichen, wenn wir sie innerhalb unseres kapitalistischen Systems einsetzen, auf verantwortungsvolle Weise. Das Hauptproblem ist, dass die ökologischen und sozialen Kosten in den Produkten, die wir konsumieren, nicht eingepreist sind. Das müssen wir versuchen zu ändern.

STANDARD: Sie setzen große Hoffnung in wirtschaftliche und technologische Entwicklungen. Retten am Ende diese und nicht die Politik das Klima?

Ritchie: Ich glaube, dass der wirtschaftliche und technologische Fortschritt der Schlüssel ist. Wir müssen kohlenstoffarme Technologien unglaublich billig machen. Dennoch glaube ich nicht, dass man Wirtschaft und Politik voneinander trennen kann. Auch wenn freie Märkte den Preisverfall von Batterien, Sonne- und Windenergie vorangetrieben haben, war es oft die Politik, die veranlasst hat, dass überhaupt in diese Technologien investiert wurde, die zunächst teuer waren. In vielen Bereichen können politische Entscheidungen viel ausmachen, etwa beim Schutz von Wäldern oder der Luftverschmutzung.

STANDARD: Wenn Alarmismus zu verbreiten also nicht die richtige Lösung ist, wie sollen sich Menschen dann engagieren, die sich Sorgen um den Planeten machen?

Ritchie: Es muss ein Gleichgewicht geben zwischen dem Bewusstsein für die Dringlichkeit und das Ausmaß der Probleme und dem Optimismus, dass wir sie lösen können. Das Ziel ist also, das Handeln zu beschleunigen. Oft entsteht eine Dynamik, wenn man Fortschritte erkennt; es ist viel einfacher, einen bereits rollenden Ball in Bewegung zu halten, als ihn aus dem Stillstand zu bewegen. Es gibt viele verschiedene Wege, einen Unterschied zu machen. Wer wie ich an den technischen Fortschritt glaubt, könnte in diesen Bereich einsteigen und die Lösungen voranbringen. Aber auch die Finanzbranche, die oft geschmäht wird, ist sehr wichtig für die Lösungen auf globaler Ebene. Andere werden politisch aktiv. Ich bin etwas zurückhaltend darin, Menschen zu predigen, was sie tun sollten, weil sie oft nicht gut darauf reagieren. Aber vorbildliches Verhalten zu zeigen und über positive Veränderungen zu sprechen kann ziemlich ansteckend sein. (Philip Pramer, 12.1.2024)