Barry Keoghan alias Oliver Quick betritt in
Barry Keoghan alias Oliver Quick betritt in "Saltburn" die Welt der Reichen und Schönen. Dort tun sich Abgründe auf.
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Es fühlt sich ein wenig an wie ein merkwürdiger Fiebertraum, wenn sich Barry Keoghan wie ein Blutegel in die Badewanne heftet und das abfließende Badewasser seines Co-Stars Jacob Elordi austrinkt. Es ist vor allem diese Szene, die in den sozialen Medien einen regelrechten Hype um Emerald Fennels neuen Film Saltburn ausgelöst hat: Der etwas verschrobene, scheinbar unbeholfene Oliver Quick saugt den vor Wohlstand strahlenden Felix und dessen Sperma (er hat zuvor in der Wanne masturbiert) in sich auf.

Das ruft Ekel hervor – und erklärt paradoxerweise, warum der Film von Mitgliedern der Generation Z auf Tiktok abgefeiert wird. Dort steht man auf das Abgründige. Glattpolierte Figurenentwürfe interessieren immer weniger. Während soziale Medien täglich von scheinbar makellosen, oberflächlichen Menschen überflutet werden, sieht man in Filmen und Serien nun lieber Tiefgang und Absurdes.

Auch eine Szene, in der Oliver Felix’ Schwester (Alison Oliver) oral befriedigt, während diese ihre Periode hat, passt in das Schema. So etwas gab es in popkulturell breitgetretenen Filmen bisher selten. Es schockiert, sieht aber auf eine verquere Weise schön aus, wenn Oliver mit blutbeschmierten Lippen ins Badewasser taucht.

Erinnerungen an "Twilight"

Das lässt an den Hype um Blutsauger denken: Die Twilight-Reihe begeisterte zwischen 2008 und 2012 in fast allen Kinder- und Teenagerzimmern. Auch sonst erinnert Saltburn in seiner Aufmachung an die Filme, mit denen die Generation, die den im Dezember erschienenen Film heute feiert, aufgewachsen ist. Die an vielen Stellen beinah schamlose Überzeichnung kommt denen bekannt vor, die mit überkitschten 2000er-Komödien wie Mean Girls oder High School Musical groß geworden sind. Dass der Film ausgerechnet 2006 spielt, war wohl keine unbewusste Entscheidung.

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Besonders Felix-Darsteller Jacob Elordi ist derzeit auf dem besten Weg, Hollywood-Beaus wie Robert Pattinson nachzueifern. Nach Euphoria und The Kissing Booth taucht der Australier immer öfter auf der Leinwand auf, aktuell ist er als Elvis in Priscilla im Kino zu sehen, für ein Netflix-Remake von Frankenstein mit Christoph Waltz und Felix Kammerer hat Regisseur Guillermo del Toro ihn als Monster engagiert. "Das" Wasser, in dem Elordi in Saltburn badet, wird auf Tiktok mittlerweile als Cocktail oder Duftkerze vermarktet.

Flucht aus der Realität

Hinzu kommt ein Phänomen, das sowohl dem Retrocharakter als auch der generischen Übertreibung von Saltburn in die Karten spielt: Die Generation, die in Zeiten zunehmender Unsicherheit erwachsen wird, sehnt sich besonders nach der gebotenen Realitätsflucht. Das knüpft sich in dem Fall einerseits an die verklärte Erinnerung, dass in den Nullerjahren "alles besser war", andererseits an die vielen überspitzten Elemente, die sich durch den Film ziehen. Der immense Reichtum, die symbolisch aufgeladenen Kostüme und die überbordende Aufmachung der Figuren verhelfen dazu, zwei Stunden lang in eine andere Welt zu flüchten – ohne den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren.

Der Soundtrack, der nach einer perfekt kuratierten Mischung aus Indie, Rock und Pop der 2000er klingt, komplettiert das. Dass in Vergessenheit geratene Songs nach ikonischen Leinwandmomenten in den Charts aufscheinen, ist nichts Neues: Die Serie Stranger Things hat es 2022 mit Kate Bushs Running Up That Hill vorgemacht – Murder on the Dancefloor von Sophie Ellis-Bextor aus dem Jahr 2001, zu dem Oliver einen beschwingten Nackttanz vollführt, ist in Großbritannien jetzt wieder in den Top Ten vertreten. Auf Tiktok wird das Lied gewohnt zweckentfremdet: für Make-up-Tutorials oder Hundevideos. (Caroline Schluge, 12.1.2024)