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Diesem saisonalen Wahnsinn entkommt hier niemand: Fasching in Altaussee.
Walter Pernkopf / picturedesk.co

Sie trommeln als Weiber, sie blinken als Flinserl, sie gehen in Fetzen und sagen die Wahrheit beim "Austadeln" hinter der Maske: Wenn etwas queer ist im Salzkammergut, dann ist es der Fasching, dessen Feiertage als "fünfte Jahreszeit" lange Tradition haben und hochgehalten werden, diesem saisonalen Wahnsinn entkommt hier niemand.

Karneval und Fasching sind per se "verkehrte Welt". Im karnevalesken Außerkraftsetzen der Ordnung wird parodistisch die Norm ins Maßlose getrieben, ins zu Große, zu Kleine, ins Hässliche und Groteske oder ins Gegenteil verdreht: Das Harte wird weich, das Heilige profan, das Ernste lächerlich und das Verbotene erlaubt.

"Es steckt in der sich Bahn brechenden Transvestie eine Sehnsucht. Das Motiv ist so häufig, dass es zu denken gibt."

Hierarchien, sozialer Status und soziale Identität geraten gehörig ins Wanken. In den römischen Saturnalien, die als pagane Vorform des Karnevals gelten, wurde ein Sklave zum König gekrönt, und zu vielen Faschingstraditionen gehören närrische Regenten, ein Prinz, ein Dreigestirn (Bauer, Jungfrau, Edelmann) oder ein parodistisches Königspaar wie in Bad Ischl, wo der Ba°der-Ja°gerl und seine Frau Gertraud – zwei alte, groteske Holzfiguren, aus dem Museum befreit – den Faschingszug anführen.

Genauso wie die oben und unten sich umstülpen, verkehren sich auch die Geschlechterordnungen. Drei Motive stechen dabei hervor: Es werden, erstens, die Weiber wild und schlagen über die Stränge, wie etwa bei der Mondseeländer "Weiberroas". Oder es werden, zweitens, die Geschlechter unkenntlich, unisex sozusagen. Wer in den Kostümen der Flinserln steckt, männlich, weiblich oder divers, ist nicht zu erkennen, und auch hinter den Masken und den Fetzengewändern in Ebensee – die überdies historisch eine Parodie auf die prächtigen Bad Ausseer Flinserln sein sollen – könnte sich jedermann/jedefrau verbergen. Das dritte Motiv der verkehrten Geschlechterwelt ist das vielleicht Erstaunlichste, denn wirklich klar ist nicht, warum es gestandenen heterosexuellen Männern so sehr gefällt, bei exzessiven Festen in Frauenkleidern zu erscheinen oder sich mit weiblichen Accessoires zu behängen.

Männer als Frauen

Als Untergewand der Ebenseer Fetzen dient ein zerschlissenes Dirndl, auf das man dann die Flicken näht, "und manche Männer stopfen sich auch den Busen aus", sagt eine Kennerin der Szene.

Die Gesichtszüge der Holzlarven, von Männern geschnitzt, sind – weiblich? Jedenfalls wird dahinter die Stimme verstellt, in eine hohe Tonlage hinein. Auch bei den Altausseer "Trommelweibern" ist das so, dargestellt von Männern in weißen Spitzenhauben und Kleidern, die an Nachtgewänder erinnern. Warum gehen Männer als alte Frauen auf die Straße oder als Hexen? Oder warum setzen sie sich zu anderer Gelegenheit – beim Blondinenball in Bad Ischl beispielsweise – Perücken auf, legen Ohrringe an, schnallen sich Riesenbrüste um? Es steckt in dieser sich Bahn brechenden Transvestie eine Sehnsucht. Das Motiv ist so häufig, dass es wirklich zu denken gibt. Der Mann möchte endlich auch mal ein wildes Weib sein, so wie er sich Frausein vorstellt. Er will männlichen Trieb als weibliche Lust erleben. Und was ist das nun – eine Parodie aufs Weibliche oder eine Aneignung weiblicher Macht? Wie immer im Fasching: Es ist beides.

Auffällig ist aber, dass das Pendant dieser Entgrenzung, die Frau dezidiert in Männerkleidern, viel weniger oft auftritt und auch kaum als Traditionsfigur im Fasching. Warum ist das so? Weil das Männliche die Norm ist und zur Verkleidung nicht taugt? Weil sich unkenntlich zu machen im Fetzen- oder Flinserlkos- tüm, das Androgyne also, den Frauen schon reicht?

Regenbogenparade und Karneval

Im deutschen rheinländischen Karneval gibt es die "Funkenmariechen", Tänzerinnen in Dreispitz, Stiefeln und Uniformjacke, unten herum ein sehr kurzes Röckchen. Die Beine werfen sie hoch in die Luft. Diese Mariechen, historische Parodie aufs preußische Militär, sind eindeutig Frauen, weiblicher als weiblich. Früher wurden sie, bevor die Nazis das verboten, von Männern dargestellt.

Am Ende der Feiertage wird vielerorts im Salzkammergut der Fasching rituell zu Grabe getragen. Ba°der-Ja°gerl und Frau Gertraud kommen wieder ins Museum, in Bad Ischl und auch in Ebensee zündet die Trauergemeinde eine Faschingspuppe an und versenkt sie in der Traun.

Die fünfte Jahreszeit ist wieder vorbei. Und genau das unterscheidet den Fasching vom politischen, dem sozusagen echten "Queer". Die Gay-Prides und Regenbogenparaden erinnern an Karneval, aber sie meinen es ernst mit der Verkehrung der Welt, opponieren gegen die strikt heterosexuelle Regentschaft von Mann und Frau. Queer – das geheime Begehren – soll Alltag werden, Geschlecht soll fluide sein, befreit, das ganze Jahr hindurch.

Sehnsucht nach Überschreitung

Lang und unentschieden ist die Diskussion darüber, ob der Karneval im Grunde ein konservatives Ritual sei, weil nach der Zeit der Ausgelassenheit die alte Ordnung bombenfest wieder steht, oder ob er doch eine emanzipatorische Funktion hat, weil er zeigt, was möglich wäre. Vermutlich gilt beides. Die Sehnsucht aber nach einer Überschreitung geschlechtlicher Grenzen verbindet den Fasching mit den modernen Transgender-Bewegungen, ob er will oder nicht. (Andrea Roedig, 14.1.2024)