Das Bild zeigt den Honda Saloon
Der "K.I.T.T." von morgen: Ein echter Hingucker auf der CES 2024 war die 0-Serie von Honda, hier im Bild das Modell Saloon.
AFP/FREDERIC J. BROWN

Die CES 2024 hat ihre Tore in Las Vegas geschlossen, hinterlässt aber weit mehr als nur den Staub der Wüstenstadt. Die weltweit größte Technikmesse ist auch heuer ein Kaleidoskop der Innovationen geblieben, wo Visionen auf die Realität treffen und uns einen Vorgeschmack auf die Zukunft geben sollen. Inmitten einer Fülle an Prototypen und Neuvorstellungen mag es herausfordernd sein, den Überblick zu behalten. Doch zwischen all dem schillernden Showgehabe kristallisieren sich echte, greifbare Trends heraus, die schon bald unseren Alltag prägen könnten. Was also bleibt von dieser beeindruckenden Tech-Show übrig, wenn ihre Lichter erlöschen? Sieben Erkenntnisse, die man von der diesjährigen Messe mitnehmen kann.

1. KI hält die Tech-Branche in Geiselhaft

KI, KI und nochmals KI. Nicht genug KI? Wir haben die Lösung: KI! Neben spezifischen Produkten und Anwendungen wurde auf der CES vor allem eines deutlich: KI durchdringt als übergeordnetes Thema alle Branchen, die auf der Messe vertreten waren. Von Halbleitertechnologien großer Unternehmen wie Intel und Nvidia bis hin zu Verbrauchergeräten wie intelligenten Spiegeln für Gesundheitsanalysen und KI-gestützten Kühlschränken – "KI" ist das neue "Internet" und auch gekommen, um zu bleiben. Und zwar allgegenwärtig. Die Integration von KI nach dem Hype um Plattformen wie ChatGPT ist für jedes relevante Technologieunternehmen offenbar ein Muss geworden.

Das Bild zeigt ein interaktives Experiment von Dassault Systems auf der CES 2024
Klare Ansage der CES: Um KI-Tools wird man künftig kaum noch herumkommen.
AFP/FREDERIC J. BROWN

So wie es aussieht, wollen große wie kleine Tech-Unternehmen weismachen, dass es ohne KI einfach nicht mehr geht. Ihre Fähigkeit, Prozesse zu optimieren, das Benutzererlebnis zu verbessern und neue Funktionen zu ermöglichen, soll das neue Allheilmittel sein, um nach der weitgehend als erfolgreich umgesetzt erachteten Vernetzung endlich wieder einen zentralen Treiber für Innovation und Fortschritt gefunden zu haben. Unternehmen, die KI nicht in ihre Produkte und Dienstleistungen integrieren, riskieren dadurch auch, in einem wettbewerbsintensiven Markt ins Hintertreffen zu geraten.

Was dabei in Las Vegas natürlich tendenziell unter dem Teppich zu finden war, sind die damit verbundenen Datenschutzbedenken und ethischen Fragen. KI-Tools verantwortungsvoll zu nutzen und regulieren zu müssen, anstatt sie einfach wild in allem einsetzen zu wollen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, müsste eigentlich im Interesse aller sein. Neben möglichen Fortschritten, die sich selbstverständlich mit dem Einsatz solcher Tools erzielen lassen, sollte ebenso deren Potenzial als Quelle neuer Probleme – wie es bei jeder größeren neuen Technologie der Fall ist – nicht außer Acht gelassen werden.

2. Persönliche Assistenten nehmen Gestalt an

Ein populäres Anwendungsgebiet für einen praxisnahen Einsatz von KI-Unterstützung zeigte sich auf der CES in Form persönlicher Assistenten. Prominentestes Beispiel dafür war vermutlich der "R1 Pocket". Ein sehr kompaktes und lediglich 200 Dollar teures Gadget soll das Smartphone ablösen – und damit auch die Notwendigkeit mehrerer Apps überflüssig machen. Dieses Gerät ermöglicht neben üblichen Telefoniefunktionen das sprachgesteuerte Streamen von Playlisten, das Bestellen von Essen oder Buchen von Taxis mit minimalem Aufwand.

Das Bild zeigt den Roboter
Geht es nach Samsung, soll "Ballie" seine Nutzer künftig in Haus und Wohnung begleiten.
AP/John Locher

Ein weiterer Blickfang in diesem Zusammenhang war Samsungs "Ballie"-Roboter. Ähnlich wie der Mini-Butler von LG soll er sich frei durch das Haus bewegen können, auf Befehle reagieren und zum Benutzer kommen, wenn er gerufen wird. Mit einem eingebauten Projektor kann Ballie Inhalte anzeigen, während er sich bewegt. Die Fähigkeit, Gesichter und Stimmen zu erkennen, ermöglicht es dem Assistenten zudem, Benutzer an der Haustür zu begrüßen und individualisierte Interaktionen zu bieten. Dazu zählt zum Beispiel auch die Steuerung von Smart-Home-Geräten.

3. (Humanoide) Roboter bleiben noch oft eine Lachnummer

Die schöne Geschichte vom autonomen Roboter, der uns im Alltag lästige Aufgaben abnimmt, wurde auf der CES gerne erzählt. Tatsächlich dürfte sie aber auch noch lange das bleiben, was sie seit Jahrzehnten ist: ein Traum. Denn auch wenn die Robotik-Industrie beachtliche Fortschritte gemacht hat, sind die vorgestellten Roboter in ihrer Funktionalität noch zu stark spezialisiert und können nicht mit der Vielseitigkeit mithalten, die man sich von einem menschenähnlichen Roboter erhofft.

Das führt nahtlos zur Diskrepanz zwischen den Erwartungen an Robotik und der aktuellen technologischen Leistungsfähigkeit. Viele der vorgestellten Roboter, wie zum Beispiel WeHead, können zwar Aufmerksamkeit erregen. Sie erzeugen aber auch oft Unbehagen und Enttäuschung: Dies liegt daran, dass sie zwar "menschenähnlich" wirken, aber eben nicht die gleiche Wahrnehmung und das Verständnis der Umwelt wie Menschen haben. Das führt dazu, dass die Roboter dann doch nur als kuriose Attraktionen denn als praktische Helfer im Alltag wahrgenommen werden.

Das Bild zeigt einen Roboter von Richtech Robotics
Dier Barista-Roboter ist zugespitzt formuliert nichts anderes als eine maßlos überteuerte Kaffeemaschine. Prost.
AFP/BRENDAN SMIALOWSKI

Schließlich zeigt sich, dass viele dieser Roboter zwar beeindruckende technische Merkmale aufweisen, aber auch der Begriff "Helfer" schnell problematisch werden kann – weil sie eben immer noch stark von menschlicher Unterstützung abhängig sind. Eines der skurrilsten Beispiele ist der Barista-Roboter "Adam": Wozu taugt so ein Kaffeeroboter, wenn Milch und Kaffee erst wieder mit menschlicher Hilfe nachgefüllt werden müssen? Diese Spezifikationen erfüllt eine günstige Kapselmaschine im Prinzip jetzt schon genauso gut. Der Weg zu selbstständig agierenden Robotern bleibt noch ein langer - und ist bis dahin nicht selten belustigend.

4. Die Chip-Anbieter waren die heimlichen Stars der Show

Eine Schlüsselrolle auf der CES 2024 spielten Chip-Anbieter wie Intel, Qualcomm, AMD und Nvidia. Zwei Besonderheiten fallen auf, die gleichzeitig auch die Grundlage dafür sind, dass KI-Tools im Alltag prominenter zur Geltung kommen können: Zum einen ist bei den Herstellern neben CPU und GPU auch NPU (Neural Processing Unit) eine feste Größe geworden – ein spezialisierter Bereich sozusagen, der nur für die effiziente Verarbeitung von KI-Tasks abgestellt wird.

Das Bild zeigt Christoph Schell, Vize-Präsident von Intel.
Überall KI: Erst Chip-Anbieter wie Intel (im Bild) machen es möglich.
AP/Ben Hider

Zum anderen ergibt sich daraus resultierend auch die Absicht, nicht mehr von der Cloud abhängig zu sein. KI-Tools werden somit allgegenwärtiger, weil sich Onboard-Lösungen zumindest zeitweise von der Netzwerkabhängigkeit befreien können. Auch wenn es vielleicht nicht so offensichtlich oder plakativ zu sehen war: Die Visionen anderer Unternehmen und der nächste Schritt, KI-Anwendungen in den Alltag zu bringen, werden ohne diese neue Chip-Generationen nicht möglich sein – und so wie es aussieht, haben die großen Player ihre Hausaufgaben gemacht. Sie können also als die heimlichen Stars der Show betrachtet werden.

5. Kabellose Fernseher müssen nicht mehr von der Wand fallen

Apropos Show: Gute Nachrichten für alle diejenigen, die schon letztes Jahr an einem vollständig kabellosen Fernseher interessiert waren, aber leider feststellen mussten, dass der TV von der Wand fällt, wenn der Akku leer ist. Was zu einem der größten Gags der CES überhaupt hochschaukelte, ist auch auf der heurigen Messe nicht ohne Schmunzeln wiederzufinden: Als Reaktion auf die Kritik aus dem letzten Jahr hat man ein neues Sicherheitssystem entwickelt. Im Notfall setzt eine automatische Selbstabsenkung ein, die den Fernseher über einen Seilzug vorsichtig auf den Boden abstellt. Ganz so "kabellos" funktioniert es also doch nicht. Kein Scherz.

Das Bild zeigt einen transparenten OLED-Fernseher von LG
Nicht kabellos, aber transparent: Die Signature-T-Serie von LG war auf der CES ein Showstopper.
AP/Jack Dempsey

Das gilt im Übrigen auch für prominentere Hersteller der TV-Branche: Dem Konzept des kabellosen Fernsehers kommen LG und Samsung am nächsten, auf ein Stromkabel will man in beiden Fällen aber noch nicht verzichten. Ansonsten haben wir uns bereits an anderer Stelle ausführlicher den großen Fernsehertrends 2024 gewidmet – die nächste Revolution lässt noch länger auf sich warten.

6. Autofahren wie in "Knight Rider"

Die Automobilindustrie übte sich heuer auf der CES ein wenig in Besonnenheit. Und doch zeichnet sie eine Zukunft, in der jede und jeder Autofahrende zum Michael Knight aus "Knight Rider" wird. Während einige dieser Entwicklung durchaus positiv gegenüberstehen, könnte sie für andere beängstigend sein: Die Vorstellung, mit einem Auto zu sprechen oder sich damit fortbewegen zu können, ohne es aktiv zu steuern, mag nicht jedermanns Geschmack treffen. Mittel- bis langfristig scheint diese Entwicklung aber unvermeidbar.

Das Bild zeigt einen XPeng AeroHT
Modular und flugfähig: XPeng AeroHT soll ab dem vierten Quartal 2024 vorbestellbar sein und in Massenproduktion gehen.
AFP/Frederic Brown

Gelungener Gag: Sony stellte mit dem "Afeela"-Konzept unter Beweis, dass man Fahrzeuge mittlerweile schon mit einem Playstation-Controller steuern kann. Andere Hersteller bewiesen deutlich mehr Praxisnähe. BMW etwa zeigte neue Augmented-Reality-Funktionen, die über die ganze Windschutzscheibe seiner Fahrzeuge angezeigt werden können. Mercedes-Benz unterstrich wenig überraschend die Bedeutung von KI zur Verbesserung des Fahrerlebnisses und kündigte die Einführung eines cloudbasierten, sprachgesteuerten virtuellen Assistenten an. VW hingegen machte damit auf sich aufmerksam, den prominenten Sprachbot ChatGPT an Bord seines Infotainmentsystems zu holen.

Honda 0 EV Series Debut: Saloon Concept Model
Honda

Optisch ins Auge stach die 0-Serie von Honda, die mit den Modellen Saloon und Space-Hub einen Einblick in eine mögliche Zukunft des Elektrofahrzeugdesigns gab. Die innovative Bauweise der Konzepte konnte auf der Messe für viel Aufsehen sorgen. Auch das Mobion-Konzept des Herstellers Hyundai zeigte innovative Züge. Auf Basis des bereits erhältlichen Ionic-5-Modells zeigt man ein Conceptcar mit sogenanntem E-Corner-System, bei dem alle Räder um bis zu 90 Grad drehbar sind.

7. Das Neueste muss nicht zwangsläufig besser sein

Es mag zwar eine Binsenweisheit sein, die man möglicherweise schon als Kind gehasst hat, wenn die Eltern darauf hingewiesen haben. Tatsache bleibt aber: Es muss nicht immer das Neueste sein. Das gilt besonders auf Messen wie der CES und kann mehrere Gründe haben. Zum Beispiel, weil ein neues Produkt viel Entwicklungsgelder verschlungen hat und deshalb gerade zur Veröffentlichung für den Markt in der Regel noch zu teuer ist. Early Birds zahlen darüber hinaus womöglich auch noch mit dem Erdulden von Kinderkrankheiten drauf. In den meisten Fällen ist der Unterschied zwischen alter und neuer Technik aber einfach noch zu gering, um einen Wechsel ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Fernseher sind als populäres Aushängeschild der CES ein besonders gutes Beispiel dafür.

Und manchmal, auch das macht den Reiz der CES aus, ist ein neues Produkt einfach absoluter Unfug und taucht unter den Skurrilitäten der Messe auf. Aber auch in so einem Fall gilt: Nur weil es für die meisten von uns nichts ist, bedeutet das nicht, dass es für niemanden Sinn ergibt. Darüber hinaus können Visionen erfahrungsgemäß auch über Irr- und Umwege in die Realität umgesetzt werden. Kabellose Fernseher mit Seilzug sind an dieser Stelle übrigens nicht gemeint. Ein Mindestmaß an Vernunft sollte schließlich auch nicht zu viel verlangt sein. (Benjamin Brandtner, 13.1.2024)