Sebastian Ofner ist ein akribischer Arbeiter, der es auf Rang 37 geschafft hat. Er ist kein Marktschreier, möchte sich zunächst einmal stabilisieren und etablieren.
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Man soll die Kirche natürlich in Sankt Marein im Mürztal lassen, aber Sebastian Ofner hat sich gemausert. Der 27-jährige Steirer ist in der Elite des Tennis angekommen, rangiert in der Weltrangliste an 37. Stelle, hat Dominic Thiem abgehängt (Platz 94). "Er ist Österreichs klare Nummer eins, das Ranking lügt nicht", sagt Jürgen Melzer, der Sportdirektor des Tennisverbands. In Ermangelung der Gesangskunst spricht er ein Loblied. "Ein harter Arbeiter. Er ist fit, athletisch, hat einen starken Aufschlag, die Rückhand ist super. Und seine Vorhand ist mittlerweile mehr als solide. Er ist in der Lage, alle Details permanent zu verbessern."

Die Steigerung sei für ihn, Melzer, gar nicht so überraschend gewesen. "Er war immer ein gefährlicher Spieler, wurde durch Verletzungen zurückgeworfen. Ofner ist immer ruhig geblieben, er ist kein Selbstdarsteller. Er ist happy mit dem, was er macht. Und das macht er gut."

Sebastian Ofner trainiert in Traiskirchen bei Wolfgang Thiem, dem Vater von Dominic. Das ist ein bisserl pikant, wobei der Herr Papa öffentlich nicht über den Zustand seines Sohnes sprechen möchte. "Da wurde schon genug gesagt, da kann man sich nur den Mund verbrennen, die sozialen Medien wissen eh alles besser." Einen Vergleich zwischen Dominic und Ofner lehnt er strikt ab. "Das wäre vermessen. Dominic war die Nummer drei, hat die US Open gewonnen." Über Ofner hat Wolfgang Thiem einiges zu sagen. "Seine Leistungen gehören gewürdigt, auch von der Öffentlichkeit."

Rückblick: Im Jänner 2023 war Ofner noch die Nummer 193, das Jahr schloss er dann als 43 ab. Auf der großen Bühne ist er bei den French Open auffällig gewesen, in Paris scheiterte er als Qualifikant erst im Achtelfinale an Stefanos Tsitsipas. Ansonsten arbeitete er vornehmlich zwar nicht in den Tiefen des Tennis, aber doch auf der zweiten Ebene, jener der Challenger. Er erreichte fünf Finale, gewann in Salzburg. Nicht nur Eichhörnchen ernähren sich mühsam. Ofner sammelte jedenfalls Punkte, Punkte und vor allem Punkte.

Anpassung

Manchmal spielte er vor zehn Zuschauern, Stuhlschiedsrichter inklusive. Wolfgang Thiem sagt: "Er ist tough im Kopf, kann sich organisieren und selbst beschäftigen. Er hat nie an sich gezweifelt, der Gedanke, es bleiben zu lassen, war nie ein Thema. Er kann mit Widrigkeiten umgehen, passt sich den Gegebenheiten an, jammert nicht." Besonders widerlich waren das Pfeiffersche Drüsenfieber und eine wiederkehrende Fersenverletzung.

Ofner ist nicht einer, der stundenlang auf dem Trainingsplatz steht und Bälle drischt. Der 1,91 Meter große Rechtshänder reduziert die Umfänge, setzt auf Intensität. In der Kürze liegt die Würze. "Seine Vorhand war eine Baustelle, die hat er abgearbeitet", sagt Thiem. Auf der Tour wird Ofner von Stefan Rettl begleitet und gecoacht, die Zusammenarbeit währt bereits drei Jahre und funktioniert prächtig. Da nun die großen Bühnen betreten wurden und die Gagen wachsen, kann sich Ofner, der seit 2015 Profi ist, sogar einen Physiotherapeuten leisten. Das Preisgeld beträgt mittlerweile 1,8 Million Dollar, die Saison begann auf ATP-Ebene gut, Halbfinale in Hongkong, Achtelfinale in Auckland.

Andere Welt

Die Frage, wo Ofners Grenzen sind, ist sowohl für Thiem als auch für Melzer schwierig zu beantworten. Er selbst weiß es auch nicht genau. "Ich will mich stabilisieren und festsetzen." Vergangenen Oktober hatte er in der Wiener Stadthalle gegen Alexander Zverev 4:6, 1:6 verloren, um nach dieser Watsche massive Selbstzweifel zu äußern. "Die Top 20 oder Top Ten sind doch eine ganz andere Welt, da passe ich nicht hin." Wolfgang Thiem möchte diese Aussage Monate später nicht überbewerten. "Da war er halt gleich nach dem Spiel extrem enttäuscht."

Jürgen Melzer schätzt Ofners Einstellung.
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Melzer traut Ofner durchaus ATP-Titel zu. "Sicher auf der 250er-Ebene. Richtung Top 20 könnte es gehen." Thiem widerspricht dem nicht, warnt allerdings: "Es geht um die Etablierung, um die Stabilisierung. Raufkommen ist einfacher als oben bleiben. Die ATP-Tour ist eine andere Welt, eine andere Bühne, du brauchst Ausreißer nach oben. Andererseits weiß er, dass er praktisch jeden schlagen kann." Ein Sieg gegen einen Top-Ten-Spieler fehlt Ofner auf der Visitenkarte.

Eine nahezu überdimensionale Bühne ist in Melbourne aufgebaut, seit Sonntag laufen dort die Australian Open, das erste Grand-Slam-Turnier der Saison. Ofner spielt am Dienstag gegen Lokalmatador Thanasi Kokkinakis, der ist die Nummer 65, von der Papierform also Außenseiter. Es wird wohl in einem der drei großen Stadien gespielt werden, Nebenplätze sind für Australier in Australien ein Tabu.

Ofner werden die Herzen nicht gerade zufliegen, Wolfgang Thiem spricht folglich von einer undankbaren Aufgabe. "Australier neigen dazu, in Australien über sich hinauszuwachsen. Natürlich kann er ihn schlagen." Melzer geht von "einem Sieg" aus. Da man die Kirche in Sankt Marein lassen sollte, wollen sich Thiem und Melzer nicht allzu weit rauslehnen. Die Australian Open wird Sebastian Ofner nicht gewinnen. Das ist eine der wenigen Parallelen zu Dominic Thiem. Aber darüber will nicht einmal Jürgen Melzer sprechen. (Christian Hackl, 15.1.2024)