Mario Sieber schwört seine Familie und seine Angestellten auf ein hartes Jahr ein. Er selbst werde, um alles am Laufen zu halten, wohl weiter 70 bis 80 Stunden die Woche arbeiten. Mit dem Bild, das die Gewerkschaft gern von Arbeitgebern vermittle, habe sein Leben herzlich wenig gemein.

Die Umsätze in Österreichs Einzelhandel sanken im Vorjahr inflationsbereinigt. Auch heuer will ein Gutteil der Konsumenten größere Ausgaben verschieben.
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Der Vorarlberger betreibt in Feldkirch und Schruns zwei Geschäfte für Spielwaren und Bücher. Rund um Weihnachten habe er um zwölf Prozent weniger umgesetzt als im Jahr davor. Im Gegenzug stünden ihm heuer höhere Personalkosten für seine 21 Beschäftigten im Ausmaß von rund 40.000 Euro bevor.

Die Inflation werde auf dem Rücken der Unternehmen ausgetragen, ist sich Sieber sicher. Für kleinere Betriebe seien die Lohnnebenkosten mittlerweile kaum zu stemmen.

Bei Büchern seien seine Spannen durch die Preisbindung begrenzt. Bei Spielzeug stünden Fachhändler wie er preislich in direkter Konkurrenz zu Konzernen und Onlineriesen, die dieses mitunter fast verschenkten.

Er versuche, alle Arbeitsplätze zu sichern, sagt Sieber. Dass viele Händler, bevor sie fallen, heuer unbequeme Entscheidungen treffen werden, liegt für ihn auf der Hand. Für den Rest der Belegschaft werde die Arbeitsbelastung zwangsläufig weiter wachsen.

Hoffen auf Touristen

Am anderen Ende Österreichs, in der Wiener Innenstadt, klopft Sonja Völker auf Holz. Die Gründerin der Marke Herzilein führt fünf Filialen rund um Papeterie und Kindermode, die sie überwiegend selbst fertigt.

Dank zentraler Lagen im ersten Bezirk, der Touristen, die im Urlaub gern einkauften, und guter Mundpropaganda habe sie ihre Standorte halten können. Sie habe einen gesunden Betrieb, zieht sie Bilanz. Von mehr Umsatz sei im Vorjahr jedoch keine Rede gewesen. Und persönlich sei sie bei Arbeit an sieben Tage die Woche quasi rund um die Uhr immer wieder an ihre Belastungsgrenzen gekommen.

Kunden schätzten das Besondere, das nicht mit einem Mausklick online vergleichbar sei, sagt Völker, die als Volksschullehrerin arbeitete, ehe sie den Sprung in die Selbstständigkeit wagte. Dennoch werde gespart, sei es bei der passenden Strumpfhose zum Kleid oder handgeschöpftem Papier als Verpackung.

Fluktuation unter den Jungen

Hohe Fluktuation beobachtet sie bei jüngerem Personal. Während ihr ältere Mitarbeiterinnen die Treue hielten, erlebe sie bei jüngeren ein bisher noch nie dagewesenes Kommen und Gehen im Dienste der Work-Life-Balance.

"Wer nicht den gewünschten Urlaub nehmen konnte, suchte sich in den vergangenen Jahren kurzerhand anderswo neue Jobs."

Wie Sieber sieht auch Völker die größte Herausforderung in den Lohnnebenkosten. "Es muss für eine Arbeitsstunde mehr netto von brutto übrigbleiben, hier ist der Staat gefragt."

Dass Händler infolge hoher Lohnabschlüsse Preise anheben würden, sei kaum zu vermeiden. Kleineren Betrieben, deren Produkte nicht zu Luxus werden dürften, seien dabei jedoch vielerorts die Hände gebunden.

Von einem realen Umsatzrückgang von 3,5 Prozent geht das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo für Österreichs Einzelhandel im Vorjahr aus. Das Weihnachtsgeschäft von rund 1,25 Milliarden Euro soll um 200 Millionen Euro unter dem Vorjahr gelegen sein. Zwei Drittel der Unternehmen waren damit unzufrieden, erhob der Handelsverband im Umfragen.

Erholung im Schneckentempo

Erholung erwarten Experten der Kepler-Universität Linz nur im Schneckentempo. Die Hälfte der Haushalte wolle größere Konsumausgaben verschieben. Fast zwei Drittel der Konsumenten rechneten trotz abnehmender Inflation mit weiter steigenden Preisen.

"Die Hoffnung stirbt zuletzt", sagt Rainer Trefelik, Handelsobmann in der Wirtschaftskammer. Doch die Spirale nach unten sei unübersehbar. "Um mehr als 15 Prozent höhere Löhne in zwei Jahren bei real sinkenden Umsätzen – wie soll sich das ausgehen?"

Lediglich ein Drittel der zusätzlichen Einkommen seiner Branche fließe unmittelbar zurück in den Handel, zitiert Trefelik Untersuchungen des Instituts für Höhere Studien.

Der Ausverkauf, der spätestens nach dem Dreikönigstag österreichweit breitflächig startete, treibe zwar den Umsatz an. Wichtige Deckungsbeiträge jedoch fehlten.

Die Zahl der Insolvenzen im Handel summierte sich im Vorjahr auf mehr als tausend. Den Reigen größerer Pleiten im neuen Jahr eröffnete die Einrichtungskette Interio. Andere alteingesessene Konzerne kämpfen mit hohen Verlusten und reduzieren Filialnetze. Das schafft freilich auch Platz für Newcomer.

Schuhspezialist On eröffnet eigene Filialen

Rasant die Karten neu gemischt werden im Schuhhandel. Der Schweizer Laufschuhspezialist On etwa will jährlich bis zu 25 neue Filialen eröffnen und seine Präsenz in Wien mit eigenen stationären Shops verstärken, lässt das Unternehmen den STANDARD wissen.

Beendet werde im Gegenzug die Zusammenarbeit mit Humanic. Grund sei die Neuausrichtung der Distributionsstrategie. Humanic-Eigentümer Leder & Schuh kommentiert den Verlust der zugkräftigen Marke auf Anfrage aus rechtlichen Gründen nicht. (Verena Kainrath, 13.1.2024)