Die letzten Termine eines Staatsoberhaupts, die letzte Freude einer passionierten Pferdezüchterin, die letzten Amtshandlungen einer Pflichtbewussten – in einer neuen Biografie über König Charles sind bisher unbekannte Details über die letzten Tage und Stunden seiner Mutter und Vorgängerin zu lesen, jener Frau, die von aller Welt nur "The Queen" genannt wurde. Als Elizabeth Alexandra Mary Windsor an jenem Donnerstag, dem 8. September 2022, ihren letzten Atemzug getan hatte, notierte Privatsekretär Edward Young als Todeszeitpunkt 15.10 Uhr und beschrieb die Umstände auf Schloss Balmoral: "Sehr friedlich, im Schlaf. Sie wird nichts mehr mitbekommen haben, keine Schmerzen."

"Daily Mail"-Autor Robert Hardman rekonstruierte die letzten Tage und Stunden der Queen.
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Die Aktennotiz für die Nachwelt findet sich im royalen Archiv auf Schloss Windsor. Dass Buchautor Robert Hardman das historische Papier als Erster zitieren darf und erkennbar aus erster Hand viele Einzelheiten des Übergangs auf Charles III. erfuhr, ist gewiss kein Zufall: Der 58-Jährige schreibt seit mehr als zwei Jahrzehnten für das Boulevardblatt "Daily Mail" sympathisierend über das Königshaus und seine wichtigsten Protagonisten.

"Im Amt sterben"

Wie alle royalen Beobachter kannte Hardman einen der Grundsätze jener Frau, die 1952 als 25-Jährige ihrem verstorbenen Vater nachgefolgt war: Nach dem Trauma der Abdankung des monarchisch ungeeigneten Edward VIII. 1936 dürfe sich die britische Monarchie keine weitere Panne erlauben. "Man stirbt in den Sielen" (metaphorisch für: Man stirbt im Amt. "Siele" bezeichnet im Norddeutschen das Geschirr für Arbeitstiere, Anm.) – diesem Grundsatz blieb Elizabeth II. treu. Ob das Festhalten einer 96-Jährigen am Amt im 21. Jahrhundert noch zeitgemäß war? Die eine oder andere Britin mag sich das am vergangenen Sonntag gefragt haben, als Margrethe II. von Dänemark unter dem Jubel ihrer Untertanen ihr Amt niederlegte und an ihren Sohn Frederik X. übergab.

Für die Queen blieb eine Abdankung tabu. Hingegen gab es Hardman zufolge durchaus Planspiele einer Regentschaft durch den damaligen Prinzen Charles für den Fall, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen der hochbetagten Greisin zu schaffen machen würden. Dass es dazu nicht kam, mag die tiefreligiöse Monarchin ebenso als Gnade empfunden haben wie ihr Sohn, der doch jeden Anschein von Ungeduld vermeiden wollte.

Das Jahr 2022 brachte nicht nur Elizabeths 70-jähriges Jubiläum, sondern auch immer neue gesundheitliche Komplikationen, nicht zuletzt ein Karzinom an der Wirbelsäule. Hardmans Buch bestätigt nun, was in Londoner Gesellschaftskreisen seit dem Frühjahr hinter vorgehaltener Hand geflüstert wurde: Ihre Majestät werde das Kalenderjahr nicht überleben. In gewohnt subtiler Weise bereitete die Queen das Land auf das Unvermeidliche vor. Ganz nüchtern, beinahe im Plauderton, sprach sie in einer TV-Dokumentation über die menschliche Sterblichkeit: "Wir sind alle nur Durchreisende, Besucher unserer Zeit, unserer Welt." Vor ihrer Abreise von Schloss Windsor auf den geliebten Sommersitz Balmoral weihte Elizabeth II. ein neues Hospiz ein.

Letzte Amtshandlungen

Anfang September erlebte die Monarchin noch eine Premiere: Den 15. Regierungschef ihrer Amtszeit – die dritte Frau als Premierministerin, die unglückselige Liz Truss – ernannte die Queen am Dienstag, 6. September 2022, auf Balmoral. Die Nation freute sich über das Foto der strahlend lächelnden alten Dame, wenn auch Ärztinnen angesichts ihrer stark verfärbten Hand bedenklich die Köpfe wiegten. Nachmittags freute sie sich über "Love Affairs": Das Pferd aus dem Stall der erfahrenen Gestütsbesitzerin gewann ein Rennen im südenglischen Goodwood. Sie sei "recht munter" gewesen, berichtet Hardman, habe sich aber zum Dinner auf ihr Zimmer zurückgezogen. Aus dem Bett sollte sie sich nicht mehr erheben.

Am 6. September 2022, zwei Tage vor ihrem Tod, ernannte die Queen Liz Truss zur Premierministerin – eine ihrer letzten Amtshandlungen.
AP

Tags darauf sagte die Queen – extrem ungewöhnlich – ein Treffen des Privy Council ab, was bei Privatsekretär Young und Elizabeths einziger Tochter Anne die Alarmglocken schrillen ließ. Beide informierten Thronfolger Charles. Am Donnerstagmorgen rief Anne ihren Bruder erneut an: Er müsse sich sofort auf den Weg machen, wenn er die Mutter noch lebend antreffen wolle. Charles folgte dem Rat und benachrichtigte seine Brüder Andrew und Edwards sowie die Söhne William und Harry.

Am Sterbebett

Nach einer Stunde am Sterbebett ließ der Thronfolger die Mutter in der Obhut seiner Schwester und Elizabeths treuer Dienerin Angela Kelly sowie des anglikanischen Ortspfarrers. Um seine Gedanken zu ordnen, ging Charles Pilze sammeln. Auf der Rückfahrt erreichte ihn Youngs Anruf: "Your Majesty" – mehr als diesen dem Monarchen vorbehaltenen Titel brauchte der Spitzenbeamte nicht zu sagen. Nachdem er die Brüder und Prinz William benachrichtigt hatte – Harry befand sich im Flugzeug und konnte nicht erreicht werden –, rief Charles im Buckingham-Palast an. Auf die Intuition der Telefonistin vertrauend, stellte sich der 73-Jährige weder mit seinem alten noch dem soeben erhaltenen Titel vor und sagte schlicht: "It's me" – Ich bin's.

Unterdessen fand sich am Fußende von Elizabeths Bett eine letzte Hinterlassenschaft: In den roten Koffer, den traditionellen Aufbewahrungsort von Regierungsakten, hatte die Sterbende zwei versiegelte Briefe gelegt: einen an Charles, den zweiten an ihren Privatsekretär. Zudem enthielt der Koffer eine Namensliste jener Menschen, die in der letzten Amtshandlung der Königin den Orden "order of merit" erhalten sollten. "Elizabeth, die Pflichtbewusste" hatte sie einst ein Biograf genannt – und diesem Beinamen, so beschreibt es Hardman, blieb die 96-Jährige bis zuletzt treu: "Sogar auf dem Sterbebett gab es Arbeit. Die hat sie gemacht." (Sebastian Borger aus London, 15.1.2024)