Geht es nur um das erwartete Ergebnis, fällt der folgende Text vermutlich in die Kategorie "unnützes Wissen". Denn unabhängig von den Regeln und Terminen, die 2024 für die Vorwahlen bei Demokraten und Republikanern gelten, stehen nach allem Dafürhalten die Sieger in beiden Parteien schon fest. Bei den Demokraten läuft alles auf einen Sieg des aktuellen Amtsinhabers Joe Biden hinaus – der sich allerdings trotz relativ schwacher Konkurrenz schwerer tut als andere amtierende Präsidenten vor ihm. Bei den Republikanern steht Donald Trump vor dem großen Triumph – nur knapp drei Jahre nachdem der versuchte Putsch rechtsextremer Anhänger beim Kapitol-Sturm 2021 ihn zur Persona non grata gemacht hatte.

Und dennoch finden die Primaries heuer in beiden Parteien Beachtung. Denn zu unsicher sind auch ein Jahr vor der Wahl die Perspektiven beider Spitzenreiter. DER STANDARD erklärt, wieso die Vorwahlen heuer trotz allem Beachtung finden sollten.

Video: Vorwahlen in den USA: Das sind die Bewerber.
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Frage: Wer tritt denn – außer den beiden Spitzenkandidaten – heuer überhaupt zu den Vorwahlen an?

Antwort: Bei den Demokraten ist die Geschichte relativ schnell erzählt – denn wirklich hochkarätige Gegner hat Präsident Joe Biden nicht. Lange Zeit hatte der frühere Umweltaktivist Robert F. Kennedy Jr., Sohn des 1968 erschossenen Ex-Justizministers, als Bidens wichtigster Gegner gegolten. Der 69-Jährige, der sich in den vergangenen Jahren vor allem als radikaler Impfgegner einen Namen gemacht hat, trat allerdings im Oktober vom parteiinternen Wettkampf zurück und will nun als Unabhängiger antreten. Daher bleiben nur zwei Gegner übrig: die als weitgehend chancenlos geltende Autorin von Selbsthilfebüchern Marianne Williamson und der Kongressabgeordnete Dean Phillips. Letzterer bezeichnet sich selbst als großen Fan Bidens, warnt allerdings, dass der Präsident wegen seines fortgerückten Alters keinen weiteren Wahlkampf gewinnen werde. Er, Phillips, habe lange Zeit für andere Kandidaten lobbyiert, sei dabei erfolglos geblieben und trete nun aus Verzweiflung selbst an. Umfragen sehen auch ihn unter "ferner liefen". Die für die erste Vorwahl in New Hampshire prognostizierten rund 15 Prozent der Stimmen wären für den krassen Außenseiter allerdings ein Achtungserfolg – und für Biden ein deutlicher Warnschuss.

Demokrat Dean Phillips hofft mit seinem Antreten das verhindern zu können, was er als Wahlkatastrophe für seine Partei befüchtet.
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Frage: Und bei den Republikanern?

Antwort: Da hat es einige Zeit nach einem engeren Rennen ausgesehen. Vor allem der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, hatte Trump in manchen Umfragen zur Nominierung bereits eingeholt – doch das war im Herbst 2022, kurz nach DeSantis' triumphalem Sieg bei der Gouverneurswahl in seinem Heimatstaat. Seither hat er sich als wenig charismatischer Wahlkämpfer und als politisch eher unklug erwiesen. Trump hat hingegen mit noch wüsterer Rhetorik als bei seinen bisherigen Siegen wieder an Zustimmung gewonnen und liegt nun fast überall komfortabel voran. Unsicher ist allerdings, ob er in allen Bundesstaaten den Sieg in der Vorwahl davontragen wird. Denn zumindest bei einigen wenigen Vorwahlen könnte das Rennen gegen eine eher unerwartete Konkurrentin eng werden. Die frühere Gouverneurin von South Carolina und Trumps ehemalige Botschafterin bei den UN, Nikki Haley, präsentiert sich im Wahlkampf nämlich mit einem ziemlich unerwarteten Aufwärtstrend. Sie spricht vor allem jene an, die sich eine klassischer ausgerichtete Republikanische Partei wünschen – und jene, die ihr mit diesen Positionen eher als Trump einen Sieg gegen Biden zutrauen. Außerdem im Rennen ist der einstige Geschäftsmann und rechte Krawallpolitiker Vivek Ramaswamy, der seinen Wahlkampf freilich vor allem als Fan-Tour für Trump anlegt und womöglich auf einen hohen Posten in dessen Regierung spekuliert. Ebenfalls im Rennen ist noch Asa Hutchinson, Gouverneur von Arkansas. Er aber gilt als abgeschlagen.

Iowa soll Trump-Country bleiben. Das findet nicht nur dieser Wähler, sondern laut Umfragen auch eine Mehrheit der Repulikaner.
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Frage: Wenn aber trotz allem so klar ist, wie die Sache ausgeht – wieso sind die Wahlen dann wichtig?

Antwort: Das liegt unter anderem an einem biologischen Faktum, das auch im sich anbahnenden Wahlkampf zum großen Thema werden wird. Beide Spitzenreiter sind in einem vorgerückten Alter. Auch wenn Biden (81) und Trump (77) sich aktuell guter Gesundheit erfreuen dürfen – wie es ihnen in einem halben oder einem Jahr mit den Strapazen des Wahlkampfs gehen wird, vermag niemand mit Sicherheit zu sagen. Die Vorwahlen sind also, unter anderem, auch schon ein Schaulaufen für mögliche Nachrückkandidaten. Wobei das Feld dafür nicht von ungefähr bei den Republikanern hochkarätiger besetzt ist. Denn im Falle Trumps sind es nicht nur mögliche physische Ausfallerscheinungen, auf die man sich vorbereiten will, sondern auch juristische. Trump steht aktuell in mehreren Fällen vor Gericht, und auch wenn in allen eine Verurteilung vor dem Wahltag als eher unwahrscheinlich gilt: Mit Sicherheit auszuschließen ist sie nicht. Und dann ist da noch jener Fall, der am 8. Februar vor dem US-Supreme-Court verhandelt werden soll – und der darüber entscheidet, ob Trump überhaupt auf dem Stimmzettel stehen darf. Das Höchstgericht des Bundesstaats Colorado hatte ja auf Basis eines Gesetzes aus der Bürgerkriegszeit entschieden, Trump dürfe gar nicht auf dem Stimmzettel stehen, weil er sich (beim Kapitol-Sturm 2021) an einem Aufstand gegen den Staat beteiligt habe. Dagegen berief Trump. Das US-Höchstgericht muss nun klären, wer recht hat. Entscheidet es gegen Trump, darf er vermutlich auch in anderen Bundesstaaten nicht antreten – und zwar weder zur Vorwahl noch zur Präsidentschaftswahl selbst. Als wahrscheinlich gilt eine solche Entscheidung nicht. Aber als wahrscheinlich genug, dass es sich lohnt, einen Blick auf die Ersatzkandidaten zu werfen.

Frage: Wann finden die Vorwahlen nun statt – und wann wird man ein Ergebnis kennen?

Antwort: Bei den Republikanern geht es Montagabend los. So wie es auch traditionell üblich ist, beginnt die "Grand Old Party" ihren Primary-Reigen im kleinen Agrarstaat Iowa. Weil es dort statt klassischer Vorwahlen Wahlversammlungen ("Caucus") gibt, ist das Ergebnis schwer zu prognostizieren – wobei, wie gesagt, alles andere als ein klarer Trump-Sieg dennoch eine faustdicke Überraschung wäre. Spannender wird es am 23. Jänner in New Hampshire, wo die erste "klassische" Vorwahl auf dem Plan steht. Weil die republikanischen Parteigänger im New-England-Staat noch immer als relativ gemäßigt gelten und weil sie hier auch viel Werbegeld ausgegeben hat, darf sich Nikki Haley in diesem Staat Chancen auf eine Überraschung ausrechnen. In Umfragen liegt sie Kopf an Kopf mit Trump. Gelingt der Ex-Gouverneurin ein Sieg, darf sie womöglich auch auf "Momentum" hoffen – jene kostbare Portion an politischem Schwung, der schon manchmal in Vorwahlen Außenseiter nach vorn katapultiert hat. Nutzen könnte sie diesen Schwung gleich am 6. Februar bei den Vorwahlen in Nevada und einigen weiteren vereinzelten Vorwahlen im Februar. Vorentscheidend wird der 5. März: An diesem "Super Tuesday" werden auf einen Schlag 874 der insgesamt 2467 Delegiertenstimmen vergeben. Spätestens dann wird man sich ein Bild machen können.

Frage: Und bei den Demokraten?

Antwort: Bei den Demokraten sieht die Sache heuer etwas anders aus. Nach langen Diskussionen hat sich die Partei dafür entscheiden, erstmals seit langer Zeit nicht mit dem Iowa Caucus in die Wahlen zu starten. Dafür gab es mehrere Argumente: Zum einen kritisierten Gegner schon lang, dass dem vornehmlich landwirtschaftlich organisierten und ziemlich konservativen Staat und seinen nur rund 3,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern (von denen noch dazu rund 85 Prozent weiß sind) eine überproportionale Machtfülle bei einer Entscheidung zukomme, die das ganze Land betrifft. Zum anderen gab es auch schon lange Kritik am unübersichtlichen Wahlmodus des Caucus (mehr dazu siehe unten). Doch erst massive Pannen bei der Auszählung der Stimmen im Jahr 2020 bescherten dieser traditionsreichen Vorwahl ein Ende. Stattdessen stößt nun eine klassische Vorwahl in New Hampshire (die wie bei den Republikanern am 23. Jänner stattfindet) den Vorwahlreigen an. Allerdings auch das nicht ganz friktionsfrei. Nach dem Willen der Demokraten hätte auch diese Wahl nach hinten verschoben werden sollen, die Zuständigen in New Hampshire wollten dies aber nicht erlauben. Das Resultat: Biden steht nicht als Kandidat auf dem Stimmzettel und muss darum werben, handschriftlich eingetragen zu werden. Das Ergebnis ist allerdings nicht besonders relevant. Denn als Protest gegen die Entscheidung New Hamshires haben die Demokraten entschieden, dass die Delegierten aus dem Bundesstaat am Parteitag nicht dem Wahlergebnis folgen müssen. Danach geht es "normaler" mit South Carolina (3. Februar), Nevada (6. Februar) und Michigan (27. Februar) weiter. Super Tuesday ist auch bei den Demokraten der 5. März.

Frage: Wie funktioniert das mit den Vorwahlen insgesamt nochmal genau?

Antwort: Verpflichtende Vorwahlen gibt es in den USA seit 1972. Ziel war damals, den Hinterzimmer-Deals und chaotischen Parteitagen, die bis dahin die Entscheidungen für Präsidentschaftskandidaten bestimmt hatten, ein Ende zu bereiten. Wie genau die Vorwahlen gestaltet sind, obliegt teils den Bundesstaaten und teils den Parteien. Grundsätzlich aber geht es für die Kandidaten darum, ausreichend Delegierte zu gewinnen, um am Parteitag mit einer Mehrheit der Stimmen gewählt zu werden. Wie viele Delegierte genau von welchem Bundesstaat kommen, richtet sich dabei grob nach der Einwohnerzahl – wobei die Parteien recht freihändig Boni vergeben können, um etwa die Staaten zu bestimmten Terminen zu drängen oder sie dazu zu motivieren, bestimmte Wahlmodi zu nutzen. Unterschiedlich ist auch, ob die Siegerin oder der Sieger alle Delegierten eines Bundesstaats erhält, oder ob sie nach einem proportionalen Schlüssel vergeben werden. Darüber hinaus gibt es auf dem Parteitag auch weiterhin sogenannte Superdelegierte, die in ihrer Entscheidung nicht an das Ergebnis ihres Bundesstaats gebunden sind. Ihre Bedeutung ist bei den Demokraten nach wie vor größer als bei den Republikanern, insgesamt hat ihre Wichtigkeit aber abgenommen.

Frage: Und was ist nun mit den Wahlmodi?

Antwort: Davon gibt es im Wesentlichen zwei: klassische Vorwahlen ("Primary") und Wahlversammlungen ("Caucus"). Der Modus der klassischen Vorwahlen ist schnell erklärt: Wählerinnen und Wähler bekommen einen Wahlzettel vorgelegt und kreuzen dort ihren Favoriten oder ihre Favoritin an – wer die meisten Stimmen hat, gewinnt. Zumindest in den meisten Bundesstaaten, denn in manchen Bundesstaaten gilt statt des klassischen Mehrheitswahlrechts ein komplizierteres System, in dem Wählerinnen und Wähler ihre Favoriten nach Beliebtheit reihen. Und dann gibt es noch die Wahlversammlungen: Sie sind ein Relikt aus der Zeit, als in den USA Politik vor allem ein deliberativer Prozess war, also das Resultat von Beratungen. Die Caucus-Versammlungen finden im kleinen Rahmen statt, oft in Turnhallen, Gemeindesälen oder manchmal auch in Privathäusern. Die Wählerinnen und Wähler einer Partei beraten dann gemeinsam darüber, welche Kandidatinnen oder Kandidaten ihre Interessen am besten vertreten würden – und versammeln sich anschließend jeweils gemeinsam in verschiedenen Ecken des Raums. Wenn ein Kandidat dabei unterhalb einer bestimmen Schwelle an Zustimmung landet, scheidet er aus. Die Anhängerinnen oder Anhänger dieser Person können dann von den Fans der verbleibenden Kandidaten umworben werden. Das Ergebnis wird schließlich an die Landespartei gemeldet, die in einem komplizierten Prozess aus einem Punktesystem ein Endergebnis berechnet. Weil das Caucus-System eher kompliziert ist, ist auch das Ergebnis schwieriger vorherzusagen als bei klassischen Primaries. Wer es durchschaut, kann damit aber durchaus Überraschungserfolge erzielen und in der Folge im Wahlkampf an Schwung gewinnen. Gelungen ist das zum Beispiel im Jahr 2008 einem gewissen Barack Obama. (Manuel Escher, 15.1.2024)