Berlin – Aus Protest gegen das Aus von Dieselvergünstigungen für die Landwirtschaft in Deutschland sind tausende Bauern mit Traktoren und anderen Fahrzeugen im Regierungsviertel in Berlin zusammengekommen. Rund um das Brandenburger Tor versammelten sich Landwirte, Handwerker und Spediteure am Montag für eine Großkundgebung. Die deutsche Polizei sprach zunächst von 3.000 Fahrzeugen. Sie rechnete mit deutlich mehr als den angemeldeten 10.000 Teilnehmern.
Die Großkundgebung soll der Höhepunkt einer Aktionswoche sein, mit der Landwirte in den vergangenen Tagen deutschlandweit gegen die schon abgeschwächten Pläne der Ampelkoalition mobilgemacht haben.
Einsparungspläne
Für Einsparungen im Haushalt 2024 soll die seit mehr als 70 Jahren bestehende Agrardieselbegünstigung wegfallen. Noch können sich Betriebe die Energiesteuer teilweise zurückerstatten lassen – mit einer Vergütung von 21,48 Cent pro Liter.
Ursprünglich sollte die Hilfe sofort ganz wegfallen. Nun soll sie über drei Jahre auslaufen. Eine zunächst geplante Streichung auch der Kfz-Steuerbefreiung für Landwirtschaftsfahrzeuge hat die Regierung ganz fallengelassen.
Bauernpräsident fordert Rücknahme der Kürzungen
Dem Bauernverband reichen die Korrekturen nicht, er fordert eine Rücknahme der Mehrbelastungen. Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte bei einer Rede, dass die Regierung es selbst in der Hand habe. Sollte sie zurückrudern, würden die Traktoren abziehen. "Zu viel ist zu viel. Nehmen Sie die Vorschläge zurück."
Rukwied forderte vor von ihm geschätzt 30.000 Unterstützern einen Neuanfang. "So kann es nicht weitergehen." Die Demonstration sei ein Signal an die Politik.
Neben den Bauern verlangte auch die Transportbranche ein Umdenken der Politik. "Unserer Branche reicht es auch", rief der Vorstandssprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), Dirk Engelhardt, in Richtung der Demonstranten. Er kritisierte auch die zuletzt erhöhte Lkw-Maut, die seitdem auch einen Aufschlag für den Ausstoß klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) enthält.
Lindner bei Rede ausgebuht
Der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FPD) wurde unterdessen lautstark beschimpft und ausgebuht. Von Pfiffen und Protestrufen begleitet trat der FDP-Politiker vor das Rednerpult, konnte wegen des Lärms jedoch erst nach einem beschwichtigenden Appell von Rukwied das Wort ergreifen.
Die versammelten Landwirte begleiteten seine Rede dennoch weiter mit lauten "Hau ab!"-Rufen, Hupen und Pfeifen. Aus einigen Hundert Metern Entfernung war Lindner trotz Lautsprecherübertragung höchstens bruchstückhaft zu verstehen, wie Reporter der Deutschen Presseagentur berichteten.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) und andere Ampelpolitiker hatten zuvor bereits Verständnis und Dialogbereitschaft signalisiert. Weitere Zugeständnisse beim Agrardiesel waren vorerst aber nicht in Sicht.
"Ohne Bauern keine Zukunft"
Zu der Großdemonstration hatten Bauernverbände und der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung aufgerufen. Rund 5.000 Traktoren und Landmaschinen aus ganz Deutschland dürften sich bei der Kundgebung versammeln. Auch an weiteren Orten in Deutschland waren wieder Proteste angekündigt, etwa in Chemnitz, Freiburg und Bitburg.
In der Früh standen Traktoren, Lastwagen und andere Fahrzeuge in mehreren Reihen dicht hintereinander auf der Straße des 17. Juni und auf dem Boulevard Unter den Linden rund um das Brandenburger Tor. Schon in der Nacht waren Traktorkolonnen mit Hupkonzerten durch die Stadt gerollt. Auf fünf Routen sollten Demonstranten aus dem Umland ins Zentrum der Hauptstadt gelangen.
Auf Fahrzeugen waren Slogans zu lesen wie "Tank leer – aus die Maus", "Ohne Bauern keine Zukunft" und "Transport made in Germany – wie lange noch?".
Auf anderen Transparenten war von Regierungsversagen die Rede, von Unrecht, Veruntreuung, Vetternwirtschaft und Kriegstreiberei. Zu sehen war ein Modell eines Galgens, an dem eine Ampel hängt. An der Siegessäule trugen Demonstranten Westen mit der Aufschrift "Wir sind das Volk". (APA, 15.1.2024)