Bei der Anprobe: Designer Cristóbal Balenciaga (Alberto San Juan) kleidete auch die belgische Königin Fabiola (Belén Cuesta) ein.
Disney+/ David Herranz

Nach Gucci nun also Balenciaga. Sechs Folgen, jeweils etwa 45 Minuten lang, widmet Disney+ mit "Cristóbal Balenciaga" der Geschichte des baskischen Modedesigners. Doch während Ridley Scotts Kinofilm "House of Gucci" vor zwei Jahren irgendwo zwischen True Crime und Seifenoper angelegt war, ist "Cristóbal Balenciaga" eine historische Modeserie klassischen Zuschnitts geworden.

Deren Star? Ein eigenwilliger, sturer wie scheuer, etwas rätselhafter Couturier, der als Sohn eines baskischen Fischers und einer Näherin in der kleinen Hafenstadt Guetaria geboren wurde. Das Leben dieses Workaholics, der im Vergleich zu vielen Kollegen niemals ein Selbstdarsteller war, gibt keine großen Dramen à la Gucci oder Versace her. Und so geht es in dieser Serie auch nicht um Leben und Tod. Die Folgen drehen sich um einen Mann (dargestellt vom spanischen Schauspieler Alberto San Juan), der sich seinen Titel "König der Haute Couture" hart erarbeitet hat. Und neben dem früh verstorbenen Wladzio D'Attainville, der großen Liebe seines Lebens, ein dürftiges Privatleben hatte.

Der Hype um Demnas Balenciaga 

Das alles werden die wenigsten Anhänger der Marke wissen. Und von ihnen gibt es seit etwa einem Jahrzehnt viele. Das Modehaus Balenciaga ist seit dem Antritt des aktuellen Kreativchefs Demna Gvasalia im Jahr 2015 für Oversize-Streetwear, für popkulturelle, provokante Spektakel und prominente Fans wie die Kardashians bekannt. Zeitweise gehörte das Unternehmen zu den gefragtesten Luxusmodemarken. Bis Ende 2022 zwei Modekampagnen (für die eine hatten Kinder mit Kuscheltier-Taschen im Bondage-Geschirr posiert, die andere beinhaltete die Fotokopie eines Auszugs aus einem Gerichtsurteil über Kinderpornografie) die Marke in die Knie zwangen, zumindest für einen kurzen Moment.

Balenciaga 51st Couture Collection
Balenciaga

Die Serie "Cristóbal Balenciaga" schert sich allerdings nicht um das Heute, Hier und Jetzt. Die spanische Produktion rund um die drei Regisseure Aitor Arregi, Jon Garaño und José Mari Goenaga ("Der große Graben") erzählt die rund drei Jahrzehnte andauernde Karriere des Modedesigners in Frankreich. Und setzt im Jahr 1937 ein.

Damals, zu Beginn des Bürgerkriegs, hat der 42-Jährige gerade Spanien verlassen, um in Paris seine erste Haute Couture-Kollektion zu zeigen. Doch die Kleider, die in San Sebastián und Madrid funktioniert haben, zünden in der Modemetropole an der Seine zu Beginn nicht so recht. Die französische Kundschaft ist verwöhnt, hier haben Coco Chanel und Christian Dior das Sagen. Letzterer ist Cristóbal Balenciaga ein Dorn im Auge.

Kein Wunder. Während Christian Dior leichtfüßig über das gesellschaftliche Parkett fegt, tut sich der Baske im Kontakt mit der Kundschaft wie der Presse schwer. Das macht die Sache nicht so einfach. Auch nicht für seinen Finanzier, den baskischen Geschäftsmann Nicolás Bizkarrondo und dessen Frau Virgilia Mendizabal. Doch Balenciaga und sein Modehaus überstehen selbst die Zeit der Nazi-Besatzung in Paris, das Nebeneinander von Armut und Verschwendung – auch, weil der Modedesigner einen pragmatischen Opportunismus an den Tag legt, sich politisch nicht festlegt.

Anlässlich des Parfumlaunchs von "Le Dix", benannt nach der Hausnummer 10 seines Salons, posierte der scheue Modedesigner ausnahmsweise vor der Kamera.
Disney+

Dessen eigenwillige Persönlichkeit skizziert die Serie konsequent ab der ersten Folge. Prudence Glynn, eine hartnäckige britische Moderedakteurin von "The Time", muss einige Überzeugungskraft an den Tag legen, um den Modedesigner im Jahr 1971 zu einem Interview zu überreden. Und das, obwohl Balenciaga frei von der Leber weg hätte reden können – sein Couture-Haus hat zu dieser Zeit bereits geschlossen. Der Baske spricht glücklicherweise doch mit Glynn, drei Tage lang, allerdings nicht ohne Bedingungen zu stellen: Die Tonbänder müssen danach vernichtet werden. Seine Gespräche mit der Journalistin bilden die Rahmenhandlung der sechsteiligen Serie.

Künstler oder Handwerker im Arbeitskittel?

Christóbal Balenciaga wird als begnadeter Handwerker im weißen Arbeitskittel, als Perfektionist mit Absolutheitsanspruch skizziert. Kompromisse geht er ungern ein: Der Couturier, der selbst entwerfen, schneidern und nähen kann, wehrt sich zeit seines Lebens dagegen, standardisierte Prêt-à-porter für den Luxusmodemarkt zu entwerfen. Zu Hochzeiten finden seine Modenschauen einen Monat nach allen anderen Couture-Schauen statt, um die Entwürfe vor Kopien zu schützen. Zugang zu den exklusiven Präsentationen erhalten nur wenige auserwählte Einkäuferinnen und Kundinnen. Journalistinnen werden außen vor gelassen.

Der Couturier im weißen Kittel.
Disney+

Modefans werden bei der Serie auf ihre Kosten kommen. Rund 70 seiner Kleider haben Bina Daigeler und Pepo Ruiz-Dorado, für das Kostüm verantwortlich, nachgeahmt. Recherchiert wurde sowohl im Balenciaga-Archiv als auch im Balenciaga-Museum in Getaria. Die Herausforderung habe nicht darin bestanden, Kleidungsstücke zu kopieren, haben die beiden Kostümdesigner im Vorfeld erklärt. Man habe Kleidungsstücke schaffen wollen, die auf dem Bildschirm die Geschichte tragen. Balenciagas Welt über Melonenärmel, Ballonröcke und Baby-Doll-Kleider zu transportieren, ist durchaus gelungen.

Die Serie erzählt zudem auf unaufgeregte Weise von einer Modewelt, die kaum mehr etwas zu tun hat mit jener Luxusmodeindustrie von heute, in der zwar die Couture wieder floriert, allerdings auch Popstars ohne einschlägige Ausbildung Kreativchefs großer Modehäuser werden können. Wie sich in der Mode Ende der Sechzigerjahre auch für den Couturier eine Zeitenwende andeutet, wird in der letzten Folge herausgearbeitet.

Balenciagas Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Air France wird zum Desaster. Der Couturier mag sich mit den Regeln der Massenproduktion nicht abfinden, am Ende sitzen ausgerechnet die Ärmel der Uniformen nicht. Sie waren Balenciagas Spezialität. Am Schluss steht vor allem eine Frage im Raum: Was würde der unnachgiebige, 1972 verstorbene Cristóbal Balenciaga wohl zu der Serie sagen? (Anne Feldkamp, 18.1.2024)

"Cristóbal Balenciaga" ist ab dem 19. Jänner 2024 auf Disney+ verfügbar.