Auch in Großbritannien wird 2024 gewählt. Premierminister Rishi Sunak hat bisher so viel verraten: Im Jänner 2025, dem letztmöglichen Zeitraum, will er die Wahlberechtigten nicht an die Urnen holen. Die Spekulationen konzentrieren sich nun auf den Mai 2024.

Laut Umfragen müsste der nächste britische Premier Keir Starmer heißen. Das muss aber noch lange nicht so kommen.
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Immerhin eines steht den Demoskopen zufolge schon fest, nämlich der Wahlausgang: Seit rund zwei Jahren sehen alle Umfragen die Labour Party unter Keir Starmer um bis zu 20 Prozent vor Sunaks Konservativen, die das Land seit 2010 regieren. Wie fix ist das wirklich? Antworten zu den wichtigsten Fragen.

Gelingt es zu mobilisieren?

Seit etwa 30 Jahren lag die Wahlbeteiligung in Großbritannien oft nur um die 60 Prozent, und zwar besonders dann, wenn die Umfragen wie derzeit einen eindeutigen Ausgang vorhersagten. Labours Hoffnung muss sein, dass frustrierte Tories-Wähler zu Hause bleiben. Aus den Fokusgruppen der Meinungsforscher dringen zudem unwillkommene Neuigkeiten: Demnach gilt Labour-Chef Starmer zwar als einigermaßen präsentabel, erzeugt aber keine Begeisterung.

Zieht die Parteibasis mit?

Mag die zentral geführte Offensive in den sozialen Medien noch so ausgeklügelt sein, mag Starmer selbst sich als brillanter TV-Debatten-Redner entpuppen – am Ende zählt auf der Insel der persönliche Kontakt. Traditionell erwarten die Briten im Wahlkampf den Besuch ihrer lokalen Parteiaktivisten, oft mit den jeweiligen Kandidaten im Schlepptau. Sollte sich eine größere Anzahl der aktiven Mitglieder dem Wahlkampf für Starmer verweigern, sähe es also schlecht aus für den Anwärter auf die Downing Street. Wie in vielen anderen sozialdemokratischen Parteien Europas steht auch bei Labour die Basis weiter links als die Parteiführung. Starmers Vorgänger Jeremy Corbyn hatte die Aktivisten begeistert, auch Starmer selbst sicherte sich den parteiinternen Sieg mit linken Sprüchen. Seither richtet er seinen Blick eher auf die Wechselwähler der Mitte. Zuletzt empörte der 61-Jährige die Parteilinke mit einem Lob für die eiserne Tories-Lady Margaret Thatcher.

Wie wählen die Muslime?

In rund drei Dutzend innerstädtischen Wahlkreisen beruht die Labour-Mehrheit auf den Stimmen dieser wachsenden Minderheit von mittlerweile rund vier Millionen Menschen. Unter ihnen sind viele von Starmers staatstragender Rhetorik im Gazakrieg abgestoßen. Statt Israels "Recht auf Selbstverteidigung" und "humanitärer Pausen" im Dauerbombardement des dichtbesiedelten Landstrichs plädieren sie für den sofortigen Waffenstillstand.

Kommt es deshalb zu einer dauerhaften Entfremdung von der Partei, auf die bisher eine deutliche Mehrheit der Muslime setzte?

Und Schottland und Wales?

Vom Wahlverhalten im Norden und Westen der Insel hängt vieles ab. Nach 16 Jahren an der Macht und dem Wechsel von der skandalgebeutelten Nicola Sturgeon zum blassen Humza Yousaf steckt die schottische Nationalpartei SNP weiter in der Krise. Statt des einen einzigen Unterhausmandats, das Labour 2019 gewinnen konnte, dürfte die Arbeiterpartei unter Regionalchef Anas Sarwar in diesem Jahr ein oder zwei Dutzend Mandate einheimsen, was Starmers Aufgabe in England erleichtern würde.

In Wales verfügt Labour seit Jahrzehnten über solide Mehrheiten, muss aber in den kommenden Wochen mit der Nachfolgediskussion für den noch amtierenden Ministerpräsidenten Mark Drakeford fertigwerden. Dessen Regionalregierung hat in der Gesundheits- und Verkehrspolitik eine höchstens gemischte Bilanz vorzuweisen.

Konservative Renaissance?

Unwahrscheinlich. Das Ansehen der Regierungspartei hat durch das langjährige Brexit-Chaos unter Theresa May, die Lockdown-Partys unter Premier Boris Johnson und den nur knapp verhinderten Finanzcrash unter Kurzzeit-Regierungschefin Liz Truss schwersten Schaden genommen. "Den Tories hören die Wähler kaum noch zu", konstatiert Politikprofessor John Curtice von der Glasgower Strathclyde-Universität. Der konservative Schatzkanzler scheint das ähnlich zu sehen. In seiner Neujahrsbotschaft ans Parteivolk räumte Alan Mabbutt ein: "Der Weg zum Sieg ist steil und schmal." (Sebastian Borger aus London, 16.1.2024)