Tobias Wagner konnte im Spiel gegen Kroatien seine Stärken voll zur Geltung bringen und steuerte zwei Tore zum Remis bei. Das Spiel der Spanier, glaubt der Kreisläufer von Bregenz, könnte den Österreichern sogar noch besser liegen.
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Die Wahl zwischen Pflicht und Neigung lastete am Sonntagabend schwer auf Viktor Szilágyi. Österreichs ehemaliger Handballteamkapitän entschied sich zumindest phasenweise für beides. Als Geschäftsführer des deutschen Rekordmeisters THW Kiel wohnte er in Berlin leibhaftig dem EM-Vorrundenspiel zwischen Deutschland und Nordmazedonien (34:25) bei. "Aber von den letzten 15 Minuten habe ich nicht viel mitbekommen", da war der 45-Jährige mit dem Kopf und per Handy mehr in Mannheim. In der dortigen SAP-Arena rangen Österreichs Männer Kroatien ein 28:28 (12:14) ab. "Das war eine überragende Leistung, mehr als ein Ausrufezeichen", sagt Szilágyi, der in 203 Länderspielen für Österreich zwar 907 Tore erzielt hat, aber nur auf wenige gleichwertige Erfolge zurückblicken kann.

Auch ein Sieg gegen den Weltmeister von 2003 hätte den Österreichern noch nicht den Aufstieg aus der Vorrundengruppe B in die Hauptrunde beschert. Dazu bedarf es am Dienstagabend (20.30 Uhr, ORF Sport+) in Mannheim eines Punktgewinns gegen Spanien. Die Vizeeuropameister von 2023 stehen nach einer klaren Auftaktniederlage gegen Kroatien (29:39) und dem Pflichtsieg gegen Rumänien (36:24) ihrerseits unter Zugzwang. Spanien, je zweifacher Welt- und Europameister, braucht einen vollen Erfolg, um dem ersten Vorrundenaus seit der – nur von zwölf Teams ausgespielten – Premieren-EM 1996 zu entgehen.

Herkulische Aufgabe

Für Szilágyi ändert das nichts an der herkulischen Aufgabe, die sich den Österreichern von Coach Aleš Pajovič stellt. "Die Spanier sind sehr, sehr erfahren, die lassen sich durch eine Niederlage wie die gegen Kroatien nicht verunsichern. Das war auch das erste Mal in zehn, zwölf Jahren, dass sie in einem Turnierspiel ein bisschen den Kopf verloren haben." Kreisläufer Inaki Pecina bestätigte Szilágyi in der Pressekonferenz vor dem Österreich-Spiel bereitwillig: "Wir haben Druck, das wissen wir, aber wir lassen das nicht an uns herankommen."

Österreich, das gegen Rumänien pflichtgemäß mit 31:24 gesiegt hatte, bekommt es erneut mit überragenden Einzelspielern zu tun. Rechtsaußen Aleix Gómez vom FC Barcelona war gegen Kroatien und Rumänien mit je acht Toren der treffsicherste Spieler von Trainer Jordi Ribera Romans. Für den Aufbau sorgen die Rückraumstars Daniel (links) und Alex Dujshebaev (rechts), die Söhne der aus Kirgisien stammenden Handballlegende Talant Dujshebaev, die 1992 in Barcelona mit dem Team der GUS olympisches Gold geholt und die Nachfolgestaaten der Sowjetunion im Jahr darauf zum Weltmeistertitel geführt hatte, ehe er seine Karriere in der spanischen Nationalmannschaft fortsetzte.

Ex-Kapitän Szilágyi sieht auch gegen Spanien Land.
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Überraschendes kommt auf die Österreicher nicht zu. Für Szilágyi ist das Spiel der Spanier, freilich "auf ganz anderem Niveau", mit jenem der Rumänen zu vergleichen, die in Xavier Pascual Fuertes auf einen spanischen Trainer setzen. Den Spaniern sei nicht wie den Kroaten über Emotionalität beizukommen, "es geht eher um den Kopf", sagt Szilágyi. Dem stimmt auch Tobias Wagner zu, obwohl gerade der wuchtige Kreisläufer allein durch seine Präsenz beim Gegner jede Menge Emotionen zu wecken imstande ist.

"Wir müssen zeigen, wie weit wir gereift sind", sagt der 28-jährige Wiener, der in der Liga für Bregenz wirkt, bei der EM gegenwärtig bei sieben Treffern hält, aber für viele weitere Tore, namentlich durch Kiel-Star Mykola Bilyk, Raum schuf. "Wir sind guter Dinge, dass wir dieses Wunder schaffen", sagte Wagner, zumal die Spanier Österreich "mehr entgegenkommen als die Kroaten mit ihrem explosiven Eins-gegen-Eins. Spanien spielt eher weite Wege."

219. Länderspiel für Weber

Dass die Abwehr der Iberer an Stärke eingebüßt hat, sollte neben Bilyk auch Robert Weber frommen, der wie sein Kapitän bisher auf zehn EM-Treffer gekommen ist. Der 38-Jährige bestreitet gegen Spanien sein 219. Länderspiel und überholt damit Österreichs Sportdirektor Patrick Fölser, der bis zur EM der Feldspieler mit den meisten Einsätzen für Österreich war. Ewald Humenberger, der 246-mal für Österreich im Tor stand, wird Weber auch im Fall eines Punktes gegen Spanien und des sensationellen Aufstiegs in die Hauptrunde nicht mehr einholen.

Gelingt das Wunder, schmückt Österreich eine Gruppe mit Gastgeber Deutschland in Köln. Und Viktor Szilágyi, der die Spanien-Partie in Mannheim von seinem Kieler Büro aus verfolgt, bliebe die Wahl zwischen Pflicht und Neigung ganz sicher erspart. (Sigi Lützow, 16.1.2024)