Der slowakische Premierminister Robert Fico (links) und sein ungarischer Amtskollege Viktor Orbán beim Handshake.
Der slowakische Premierminister Robert Fico (links) und sein ungarischer Amtskollege Viktor Orbán gaben sich in Budapest als Kämpfer für nationale Souveränität.
EPA/Szilard Koszticsak

Was das Timing betrifft, so war es eine Arbeitsvisite wie jede andere auch: Der slowakische Premierminister Robert Fico, der am Dienstag bei seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán zu Gast war, ist erst seit Ende Oktober im Amt – wenn auch mittlerweile zum insgesamt vierten Mal. Und natürlich gehört es zum guten Ton, dass man als frischgebackener Regierungschef zunächst die Hauptstädte in den Nachbarländern besucht.

Als Erstes reiste Fico Ende November nach Prag. Alles andere wäre eine riesige Überraschung gewesen, immerhin lebten Slowaken und Tschechen bis 1992 sogar in einem gemeinsamen Staat. Budapest als zweite Destination war nun ebenso erwartbar. Auch deshalb, weil es um die Beziehungen zwischen der Slowakei und Ungarn zwar nicht immer zum Besten stand, das aktuelle politische Gefüge in Ostmitteleuropa aber vermuten lässt, dass beide Länder künftig vermehrt an einem Strang ziehen könnten.

Zwei wichtige Wahlen

Im Herbst gab es innerhalb von zwei Wochen Parlamentswahlen in zwei Staaten der Region: Ende September in der Slowakei, Mitte Oktober in Polen. Das Kräfteverhältnis in der sogenannten Visegrád-Gruppe, zu der außer den Genannten auch Tschechien und Ungarn gehören, änderte sich dadurch gravierend. In Warschau hatte zuvor acht Jahre lang die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) regiert, die der Orbán-Partei Fidesz ideologisch nahesteht. Im Dauerclinch mit Brüssel, das sowohl Ungarn als auch Polen Defizite im Bereich der Rechtsstaatlichkeit vorwarf, standen beide Länder stets Seite an Seite. Seit kurzem aber regiert in Polen der liberale Donald Tusk, der ehemalige EU-Ratspräsident, der sein Land wieder fest im europäischen Mainstream verankern will. Orbán verlor dadurch den zentralen Partner für seine Europapolitik.

Umgekehrt lief es in der Slowakei: Auch dort kam es zum Machtwechsel. Doch obwohl mit dem neuen Premier Fico zwar ein Linkspolitiker die neue Regierung anführt, war der rechtsnationale Orbán mit dem Ergebnis alles andere als unzufrieden. Einmal mehr spielten die klassischen Unterscheidungsmerkmale zwischen Links und Rechts, etwa in der Wirtschafts- und Steuerpolitik, dabei eine untergeordnete Rolle. Es sind ganz andere Dinge, die Orbán und Fico gemeinsam haben: eine ausgeprägt restriktive Haltung in der Migrationspolitik etwa, eine Betonung des Nationalen – zu Ficos Koalition gehört unter anderem die Slowakische Nationalpartei (SNS) – sowie eine Distanzierung von der weiteren Hilfe für die von Russland angegriffene Ukraine.

Klar, dass Orbán nach der Wahlniederlage der PiS in Polen nun einen neuen Partner gut gebrauchen kann. Zwar bringt die Slowakei mit ihren knapp fünfeinhalb Millionen Einwohnern nicht annähernd so viel politisches und wirtschaftliches Gewicht auf die Waagschale wie das 38-Millionen-Land Polen, aber nicht immer ist das relevant. So laufen etwa gegen Ungarn und gegen Polen wegen der Bedenken hinsichtlich der Verletzung rechtsstaatlicher Kriterien seit vielen Jahren Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags. Diese können im Extremfall zum Entzug des Stimmrechts im Europäischen Rat führen, was aber nur durch Einstimmigkeit erzielt werden kann. Da reicht es auch aus, einen kleinen Verbündeten an seiner Seite zu haben, falls es eines Tages tatsächlich zur entscheidenden Abstimmung kommen sollte.

Historische Altlasten

Beim Besuch Ficos in Budapest am Dienstag gab es für Orbán diesbezüglich gute Nachrichten: Die Slowakei werde eine Einschränkung der Rechte Ungarns in der EU keinesfalls dulden, so Fico. Solange er Premierminister sei, würde die Slowakei niemals zulassen, dass ein Land bestraft wird, weil es um seine nationale Souveränität kämpft. Auch Orbán war darum bemüht, größtmögliche Harmonie zu zeigen: Die Interessen beider Länder würden zu 99 Prozent übereinstimmen, sagte er, für beide sei ihre Souveränität zentral. Die Beziehungen zwischen den Nachbarn seien noch nie so gut gewesen wie heute.

Schon in den vergangenen Jahren hatten Ungarn und die Slowakei oft an einem Strang gezogen, etwa im Kampf gegen feste europäische Quoten für die Aufnahme von Asylsuchenden. Dennoch sind die Beziehungen historisch belastet. Immer wieder kam es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu Streitigkeiten, etwa rund um die ungarische Minderheit in der Slowakei, die von Budapest vereinnahmt wurde, was wiederum zum Anheizen antiungarischer Ressentiments durch Bratislava führte. 2009 verweigerte die Slowakei sogar dem damaligen ungarischen Präsidenten László Sólyom die Einreise, der an der Einweihung einer Statue des ungarischen Nationalheiligen Stephan teilnehmen wollte. Der slowakische Premier damals hieß übrigens Robert Fico.

Von gegeneinander gerichteten nationalistischen Aufwallungen kann inzwischen aber keine Rede sein. Orbán hat Fico und dessen Linkspartei Smer im jüngsten Wahlkampf sogar Unterstützung angedeihen lassen, unter anderem in Form von Beratern für die Wahlkampagne. In der EU sorgt aktuell aber vor allem die Frage für Kopfzerbrechen, ob Budapest und Bratislava künftig in der Ukraine- respektive in der Russland-Politik an einem Strang ziehen werden. Einiges hatte zunächst darauf hingedeutet. Immerhin hatte Fico im Wahlkampf angekündigt, die Slowakei werde der Ukraine keine Waffen mehr liefern. Und er legte rhetorisch noch nach: Der Krieg komme immer vom Westen, der Frieden hingegen vom Osten, sagte er etwa bei einer Wahlkampfveranstaltung im vergangenen Sommer.

Zankapfel Ukraine-Hilfe

Auch damit rückte Fico in die Nähe Orbáns, der innerhalb der EU als größter Freund Putins gilt. Beim EU-Gipfel im Dezember hatte Orbán zwar die Eröffnung von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine ermöglicht, indem er vor der Abstimmung den Saal verließ; ein Hilfspaket von 50 Milliarden Euro für Kiew allerdings hatte er blockiert. Ein Sondergipfel Anfang Februar soll nun Wege aufzeigen, wie man der Ukraine dennoch weiterhin finanziell unter die Arme greifen kann.

Auch vor diesem Hintergrund darf man auf die Positionierung der Slowakei gespannt sein. Dass sie bei der Abstimmung über das vorerst gescheiterte Hilfspaket nicht an der Seite Ungarns stand, lässt viele aber hoffen, dass sich Fico trotz seiner demonstrativen Nähe zu Orbán in Pragmatismus übt. Hinsichtlich des Endes für Waffenlieferungen aus der Slowakei weisen Beobachter darauf hin, dass Bratislava nach der anfänglichen Unterstützung für Kiew aus staatlichen Beständen gar nicht mehr viel zu liefern hätte.

Auch Orbáns leidenschaftliche Gegnerschaft zu "Brüssel" hat Fico in der Vergangenheit nicht geteilt: Als einziges der vier Visegrád-Länder ist die Slowakei sogar Mitglied der Eurozone. Eingeführt wurde der Euro dort 2009. Regierungschef war also auch damals Robert Fico. (Gerald Schubert, 16.1.2024)