150 Jahre Satire Dodekaphonie Kraus Schönberg
Autor Karl Kraus (1874–1936), Herausgeber der "Fackel", war von Schönbergs Kunsternst beeindruckt – und wollte dessen Musik dennoch nicht hören.
Arnold Schönberg Center, Wien

Als Unruhestifter wie als Zuchtmeister begegneten die beiden einander auf Augenhöhe. Wiewohl aus der Wertschätzung, die man füreinander hegte, Anteilnahme am Werk des anderen hervorging, aber keinerlei Freundschaft. Arnold Schönberg und Karl Kraus verband – zunächst – das gemeinsame Geburtsjahr (1874).

Verwiesen sahen sich die beiden auf die nämliche Wirkungsstätte, jenes "Wien um 1900", in dem die Uhren längst unüberhörbar tickten. Ungeachtet dessen sannen die besten Köpfe nach über eine Neuvermessung der Welt. Diese sollte ohne Ornamente (Adolf Loos) auskommen, ohne sittliche Verkommenheit (Karl Kraus/Die Fackel), abzulesen an den Erzeugnissen der Presse.

Im Wiener Schönberg Center teilt sich die Strenge einer solchen Nulldiät jetzt höchst augenfällig mit. Man kann die Lebensstationen Schönbergs abgehen, sich in Ausschnitte aus seinen Kompositionen vertiefen. Man kann Autografen bewundern und Schönberg’sche Malereien bestaunen. Alles das musterhaft klug eingerichtet von Kuratorin Therese Muxeneder, aphoristisch eingedampft und auf der Höhe des Gegenstands. Gezeigt wird ein Götterpakt (Arnold Schönberg & Karl Kraus), den zu schmieden die Umstände halfen. Eben weil diese, mit Blick auf Wien, widrig waren.

Zeitgleich arbeitete man in der Hauptstadt der Donaumonarchie an einer Neuformulierung des Fortschritts, bezogen auf die Sphären von Kunst und Moral. Nur das grammatikalisch Einwandfreie sei kunstschön, darum auch moralisch sinnfällig. Am Sittenrichter Kraus bewunderte Schönberg, der Komponist, die untrügliche Gedankenschärfe. Wie die Ausstellung darlegt, dankte der Musiker dem Autor – man kannte sich seit 1895 auf Vermittlung von Alexander Zemlinsky persönlich – auf den Knien seines Herzens: "Ich habe durch Sie Schreiben, ja fast Denken gelernt."

Modulationsreichtum

Schönberg schrieb nicht nur Musikologisches, er verfasste Aphorismen, stritt für Mahler und bewunderte Kraus‘ Vortragskunst. Dessen Modulationsreichtum über zwei Oktaven stand Pate für Schönbergs Sprechgesangstechnik, etwa in Pierrot lunaire (op. 21). Für Kraus stand Schönbergs Bedeutung unverrückbar fest, er geißelte Krawallschläger – und lehnte, als angeblich "musiktauber" Offenbach-Freund, die Kenntnisnahme von Schönbergs atonaler Musik rundweg ab: "Ich stehe Ihrer Kunst ferne…"

Man gerät über die Einseitigkeit einer solchen Nähe geradewegs ins Staunen. Etwa 35 Briefe umfasst die gemeinsame Korrespondenz, Kraus fiel zu Schönberg doch nicht so viel ein. Fragen, die man anschließend vertiefen muss, betreffen Kraus‘ polemische Haltung zu dem, was er als "pressejüdisch" verstand. Schönberg wandte sich späterhin der Beschäftigung mit seinen jüdischen Wurzeln zu. Als Kraus 1936 gestorben war, stimmte Schönberg, fern der Heimat, ein Trauergebet für alle Wiener Modernisten an. Sie hätten ein Leben geführt, "wie es National-Heroen geziemt": rein, unbestechlich, unbeugsam. Ein bisschen beugsamer gegenüber dem Zwölftöner hätte Kraus schon sein dürfen. (Ronald Pohl, 17.1.2024)