Stuten mit Fohlen.
Im Schnitt sind Stuten zwischen elf und zwölf Monate trächtig. So idyllisch wie auf dieser Koppel, wo Muttertiere und Fohlen gemeinsam unterwegs sind, geht es nicht überall zu.
APA/dpa/Thomas Warnack

Weites Land und viel Natur – das Leben der Blutstuten erscheint zunächst idyllisch. In großen Herden ziehen sie über die argentinische Steppe. Doch Unterstellmöglichkeiten oder Wasserversorgung gibt es kaum. Ihre Besitzer lassen die ausschließlich weiblichen Tiere weitestgehend unberührt.

Aderlass für Billigfleisch

Einmal in der Woche treiben die Rancher ihre Herden in einem eingezäunten Vorplatz zusammen. Dort müssen die trächtigen Pferde stundenlang verharren, ehe sie einzeln in enge Boxen geführt werden. Wenn eine Stute nicht spurt und freiwillig in die Boxen steigt, kommen häufig Metallstangen als Prügel zum Einsatz. Sobald das Pferd in der Box fixiert ist, wird ihm eine dicke Kanüle in die Halsvene eingeführt. Damit werden jedem Tier wöchentlich etwa fünf Liter Blut abgezapft.

Diese zeitaufwendige Prozedur ist Teil eines Prozesses, der zahlreichen Pharmaunternehmen Umsätze in Millionenhöhe verschafft. Das Blut tragender Stuten enthält in den ersten 100 bis 120 Tagen der Trächtigkeit das sogenannte Pregnant Mare Serum Gonadotropin (PMSG). Dabei handelt es sich um ein Sexualhormon, das die Funktion der Eierstöcke stimuliert. Es wird im sogenannten Chorion – also der äußeren Fruchthülle des Embryos – hergestellt und dient in den ersten Monaten der Aufrechterhaltung der Schwangerschaft.

Neben dieser – für das Leben des ungeborenen Fohlens essenziellen – Funktion ist PMSG für einen weiteren Effekt bekannt: Spritzt man das Hormon anderen Säugetieren, zum Beispiel Schweinen, erhöht das ihre Fruchtbarkeit und den Fleischzuwachs. Auch der Geburtszeitpunkt der Ferkel lässt sich mithilfe des Hormons beeinflussen. Der Einsatz von PMSG steigert somit nicht nur die Effizienz der Fleischindustrie, sondern sorgt auch für möglichst niedrige Preise beim Endverbraucher.

Fleischtheke.
Obwohl der Fleischkonsum von vielen Seiten kritisiert wird, werden weltweit nach wie vor Massen von billigem Fleisch produziert.
APA/dpa-Zentralbild/Jan Woitas

Das begehrte "Rote Gold"

Die Nachfrage nach dem Wundermittel ist dementsprechend hoch, was den Preis stetig nach oben treibt. Das gewonnene Blut ist deshalb auch als "Rotes Gold" bekannt. Dabei übersteigt der Verkaufspreis des Hormons den Goldpreis um Welten – immerhin kostet ein Gramm PMSG um die 11.500 Euro, während ein Gramm des Edelmetalls nur 60 Euro wert ist. Zur Gewinnung des begehrten Hormons werden die sogenannten Blutstuten extra gezüchtet und gedeckt.

Ein Pferd kann den zunächst massiv erscheinenden Blutverlust von bis zu fünf Litern unter normalen Bedingungen problemlos ausgleichen. Immerhin fließen durch die Adern eines durchschnittlich 650 Kilogramm schweren Pferdes etwa 45 Liter Blut. Die Blutentnahme macht somit etwas mehr als zehn Prozent des gesamten Pferdebluts im Kreislaufsystem aus.

Illustration Blutstuten
Um an das Blut der trächtigen Stuten zu kommen, werden die Tiere einmal pro Woche in Metallboxen gesperrt. Spuren sie nicht, drohen Prügel.
Illustration: Fatih Aydogdu

Zum Vergleich: Ein Mensch hat vier bis sechs Liter Blut im Körper. Bei einer Blutspende entnimmt das medizinische Fachpersonal bis zu 500 Milliliter, was je nach Körpergewicht zwischen acht und zehn Prozent des gesamten körpereignen Blutes entspricht. Allerdings dürfen Frauen pro Jahr nur vier-, Männer sechsmal Blut spenden. Schließlich benötigt der menschliche Körper mehrere Wochen, um die Blutentnahme auszugleichen und sich zu erholen – das ist bei Pferden nicht anders.

Erhöhter Blutbedarf

Schwangere Frauen sind von der Blutspende gänzlich ausgeschlossen, da der Körper für die Versorgung des ungeborenen Kindes einen höheren Blutbedarf hat. Ähnliches gilt laut Veterinärmedizin auch für trächtige Stuten: Man sollte sie unbedingt schonen sowie keinerlei Stress – etwa durch das Einpferchen in enge Boxen – aussetzen. Laut Tierschutzorganisationen sterben deshalb fast 30 Prozent der geschwächten Blutstuten an den Folgen der auszehrenden Prozedur.

Auch die Größe der verwendeten Kanülen ist erstaunlich: "Für diagnostische Zwecke nutzen Veterinärmediziner bei Pferden Kanülen mit einem Außendurchmesser von gerade einmal 0,9 Millimeter. Die für die PMSG-Gewinnung eingesetzten Kanülen sind mit durchschnittlich fünf Millimeter Durchmesser riesig", erklärt Stephanie Krämer, Leiterin der Professur für Tierschutz und Versuchstiere an der Justus-Liebig-Universität in Gießen.

Die überdimensionalen Nadeln sollen den Entnahmeprozess erleichtern und beschleunigen. Die Venen von Pferden sind jedoch äußerst empfindlich und neigen zu Entzündungen. Das kann bei falschem Umgang im schlimmsten Fall zum Verschließen der Vene führen. "Die Verwendung dieser extrem dicken Kanülen in Kombination mit den hygienischen Umständen auf den Farmen ist somit ein Balanceakt."

Bei schlechter Gesundheit halten

Doch damit nicht genug: Je schlechter es einer Stute geht, desto mehr PMSG produziert sie. Wissenschaftlich sei dieser Umstand noch nicht vollends geklärt, sagt Krämer. Aufgrund seiner chemischen Eigenschaften hat das Hormon die Neigung, sich im Fettgewebe anzureichern. "Somit haben 'fettere' Stuten relativ gesehen weniger PMSG in der Blutzirkulation als schlankere Stuten", erklärt Krämer. Auch gebe es die Erkenntnis, dass körperliche Aktivität zu geringeren PMSG-Werten führe. "Es kann festgehalten werden, dass eine karge Haltung ohne körperliche Aktivität offensichtlich zu höheren PMSG-Werten führt", sagt die Forscherin.

Abgemagertes Pferd.
Je schlechter die körperliche Verfassung trächtiger Stuten ist, desto mehr PMSG produziert ihr Körper. Woran das liegt, ist wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt.
REUTERS

Wertlose Fohlen

Sobald der Körper der Stute aufhört, PMSG zu produzieren, sind die ungeborenen Fohlen für die Rancher faktisch wertlos. Nicht selten werden sie daher im fortgeschrittenen Stadium abgetrieben. Durchschnittlich ist ein Pferd zwischen elf und zwölf Monate trächtig. Durch die Abtreibungen können die Stuten zweimal im Jahr gedeckt werden, was die PMSG-Ausbeute verdoppelt.

Die Aborte werden überwiegend mechanisch ausgelöst. Dafür weiten die Rancher den Muttermund der Stute mit der Hand und stechen die Fruchthülle auf, die das ungeborene Fohlen umschließt. Dieses Vorgehen führt zu vorzeitigen Wehen, die schließlich eine Frühgeburt auslösen. Krämer betont: "Die Bilder aus den Blutstuten-Farmen sind von unglaublicher Brutalität und Grausamkeit geprägt. Teilweise werden hier spitze Gegenstände mit roher Gewalt in die Stute eingeführt, um ein möglichst großes wehenauslösendes Trauma zu provozieren." In Ausnahmefällen dürfen die Stuten ihre Fohlen bis zum Ende austragen. Dann werden die Jungtiere direkt nach der Geburt zu einem Spottpreis an umliegende Schlachthöfe weiterverkauft.

Bis 2015 stammte das meiste PMSG aus Südamerika, primär aus Argentinien und Uruguay. Aufgrund der Recherchen diverser Tierschutzorganisationen haben viele Pharmakonzerne den Import aus Südamerika jedoch gestoppt. Der europäische Markt hat sich nun stattdessen nach Island verlagert. Die Tierethikerin Judith Benz-Schwarzburg von der Veterinärmedizinischen Universität Wien verurteilt dieses Vorgehen hart: "Gerade Island wirbt mit der Faszination, Islandpferden in idyllischer Natur zu begegnen. Was den Tieren auf Blutfarmen an Leid zugefügt wird, ist mit diesem Image jedoch nicht vereinbar."

"Ethisch problematisch"

Zuletzt wurde der Inselstaat als Teil der europäischen Freihandelszone dazu aufgefordert, die EU-Tierversuchsrichtlinie zu befolgen, da regelmäßige Blutentnahmen als Tierversuch gelten und einer Projektbewertung bedürfen. Für Benz-Schwarzburg gibt es aktuell keine vertretbare Variante der PSMG-Gewinnung: "Die Praktik der Blutstuten ist in vielerlei Hinsichten ethisch problematisch – vom Hineintreiben der Stuten in die Boxen bis hin zu den Abtreibungen der Fohlen."

In regelmäßigen Abständen prangern Tierschutzorganisationen die mitunter grausamen Praktiken in der Schweinezucht an. Die Gewinnung des Hormons PMSG, das in der Schweinemast verwendet wird, erweitert das Tierleid.
Sina Schuldt / dpa / picturedesk

Unstimmigkeiten in der Mensch-Tier-Beziehung werden in der Debatte über Blutstuten gleich doppelt sichtbar. Denn: Das Leid der Stuten hängt unmittelbar mit dem Leid der Schweine zusammen. "Wenn Tierschützer die Missstände auf den Blutfarmen anprangern, dann erinnern sie uns im selben Atemzug an die Problematik der Massentierhaltung", sagt die Ethikerin. Für das Problem braucht es deshalb eine ganzheitliche Lösung: "Je mehr Alternativen es zum Fleischkonsum gibt, desto weniger können wir die Massentierhaltung von Schweinen rechtfertigen. Das würde auch dem traurigen Schicksal der Blutstuten ein Ende bereiten." (Anna Tratter, 21.1.2024)