Noch kein Wahlkampf ist ausgekommen ohne ordentlichen Streit zu den Lohnnebenkosten, und so wird das Thema auch im Wahljahr 2024 eine Rolle spielen. Die Neos propagieren lautstark, die Lohnnebenkosten zu senken und auch Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer pochen darauf. Zugleich lässt Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) mit einem Vorschlag zur Senkung der Abgabenlast aufhorchen. Auf der anderen Seite ist vor allem der ÖGB skeptisch, wer am Ende des Tages dabei wirklich profitiert.

International gibt es Evidenz, dass niedrigere Lohnnebenkosten gut für die Beschäftigung sind.
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Für

Wo Sie überall mitzahlen. Da sind die Sozialversicherungsbeiträge, die der Arbeitgeber für seine Beschäftigten berappt, also für Pensions-, Kranken-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung. Da ist der Beitrag zum Familienlastenausgleichsfonds und zur Wohnbauförderung. Vorgeschrieben sind eine Zahlung für die Mitarbeitervorsorgekasse und die Kommunalsteuer. Dazu kommt ein Zuschlag für die Sicherung im Insolvenzfall, in Wien die U-Bahn-Steuer, ein Beitrag zur Wirtschaftskammer.
Auf satte 29,59 Prozent des Bruttolohns belaufen sich die Lohnnebenkosten in Österreich, die von den Arbeitgebern für ihre Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer einzubehalten und abzuführen sind (siehe Grafik).

Mehr Jobs ...

Wenn Wirtschaftskammer und Industriekapitäne eine Senkung der Lohnnebenkosten fordern, wollen sie genau hier ansetzen. Zwei Argumente werden vorgebracht: Wer Arbeit entlastet, schafft mehr Jobs. Zugleich erleichtere man den Vermögensaufbau. Weniger Lohnnebenkosten bringen mehr netto vom Brutto, so die Idee. Denn auch wenn die Arbeitgeber die Abgaben abführen, wird argumentiert, dass die wahre Last die Beschäftigten zu tragen haben, da sie die Beiträge erwirtschaften müssen.
Gibt es Belege, dass eine Entlastung diese Vorteile bringt? Denn denkbar wäre ja auch, dass sich Unternehmer die Ersparnis bei den Abgaben als höheren Gewinn einbehalten, wovor der ÖGB regelmäßig warnt.
Doch Ökonomen haben Hinweise gefunden, dass eine niedrigere Abgabenquote der Wirtschaft hilft, wie die Ökonomin Monika Köppl-Turyna vom arbeitgebernahen Institut Eco Austria darlegt. Dabei verweist sie auf eine Studie von Emmanuel Saez von der Universität California, Berkeley, der sich in der Ungleichheitsforschung einen Namen gemacht hat. Saez hat mit Kollegen analysiert, welchen Effekt eine Halbierung der Sozialversicherungsbeiträge in Schweden zwischen 2007 und 2009 für Menschen unter 26 hatte. Ergebnis: Die Beschäftigung junger Arbeitnehmer stieg um zwei bis drei Prozentpunkte.
Andere Untersuchungen sind nicht ganz so optimistisch. Die EU-Agentur Eurofond hat 2017 in einer Metaanalyse dutzende Studien ausgewertet und kommt zum Ergebnis, dass in 40 Prozent davon positive Effekte für die Beschäftigung festgestellt werden. Dort, wo eine Entlastung nicht allen, sondern bestimmten Gruppen, etwa jungen Menschen oder Frauen, dient, seien die Effekte größer.

... und mehr Vermögen?

Und bei den Löhnen? Hier deuten Analysen an, dass die Hälfte bis zwei Drittel einer Abgabensenkung von Unternehmen an Arbeitnehmer weitergereicht werden. In der erwähnten schwedischen Studie stiegen Unternehmensgewinne und Löhne an – bei allen Beschäftigten. Kein Land lässt sich 1:1 mit einem anderen vergleichen. Aber Martin Halla von der WU Wien schätzt, dass aktuell in Österreich die Arbeitnehmer dank des Arbeitskräftemangels gute Karten hätten, von einer Abgabensenkung zu profitieren.

Wider

Eine Senkung der Lohnnebenkosten bringe nur eine Umverteilung zugunsten der Arbeitgeber: So lautet das gängige Argument gegen eine Senkung der Lohnnebenkosten. Auch der ÖGB gesteht zwar zu, dass mit den Lohnnebenkosten eine Reihe von Leistungen finanziert wird, die mit dem Arbeitsmarkt nichts zu tun haben – etwa im Falle der Familienleistungen und der Wohnbauförderung. Aber wer hier Beiträge kürze, verschiebe die Finanzierungslast von Unternehmern in den allgemeinen Steuertopf. Und dort zahlen vor allem die Beschäftigten ein.
Dabei geht es um viel Geld. Laut Zahlen des Arbeitsministeriums bedeutet eine Beitragssenkung um ein Prozent bei den Lohnnebenkosten einen Ausfall bei den Einnahmen für den Staat oder die Sozialversicherung in Höhe von 1,6 Milliarden Euro.
Arbeitsminister Martin Kocher schlägt in einem aktuellen Blog-Beitrag vor, die kommende Regierung solle die Lohnnebenkosten pro Jahr um 0,5 Prozentpunkte senken. Das würde vier Milliarden Euro kosten.
Realistisch finanziert werden könne das nur über eine Leistungskürzung, etwa für Familien, oder höhere Steuern, sagen Vertreter der Arbeitnehmer. Die Ökonomin Margit Schratzenstaller erhofft sich durchaus positive gesamtwirtschaftliche Effekte durch eine Entlastung des Faktors Arbeit. Um auf der anderen Seite Leistungskürzungen zu verhindern, plädiert sie für eine Reform der Steuerstruktur. Das könnte etwa heißen, eine Erbschaftssteuer einzuführen.

Was netto bleibt

Die Chancen dafür gingen im aktuellen politischen Umfeld gegen null, widerspricht dagegen der ÖGB.
Und was ist mit höheren Löhnen und dem Vermögensaufbau? Der gelingt in Österreich größeren Teilen der Gesellschaft nur durch Erbschaften, argumentiert die ÖGB-Chefökonomin Helene Schuberth. So weit in der Einkommenshierarchie aufzusteigen, um das zu verdienen im Leben, was eine durchschnittliche Erbschaft in Österreich bringt, schaffen laut Nationalbank sowieso nur wenige. Ein Beispiel zu konkreten Zahlen: Eine Kassiererin im Handel mit mehrjähriger Erfahrung verdient aktuell netto um die 13 Euro in der Stunde, inklusive 13. und 14. Monatsgehalt. Eine Senkung der Lohnnebenkosten um fünf Prozentpunkte würde ihr laut dem Steuerberater Gottfried Schellmann etwa 45 Cent mehr in der Stunde bringen, weil man einberechnen müsse, dass beim höheren Bruttolohn der Staat mitschneidet. Bei einem 30-Stunden-Job wären das knapp 60 Euro mehr im Monat für die Kassiererin.
Bleibt das Argument mit positiven Effekten für die Beschäftigung. Hier wird argumentiert, dass diese zwar vorhanden, aber sehr gering ausgeprägt seien. Selbst in Schweden wurde die vorübergehende Halbierung der Sozialversicherungsabgaben 2015 von der Mitte-links-Regierung wegen angeblicher Erfolglosigkeit wieder abgeschafft. (András Szigetvari, 17.1.2024)

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