Gerne wird behauptet, dass die Leute im europäischen Mittelalter im Vergleich zur heutigen Bevölkerung geradezu zwergenhaft klein waren. Doch das ist ein Irrtum, zumindest, wenn man das Frühmittelalter betrachtet: Im Schnitt 1,73 Meter waren nordeuropäische Männer im 9. bis 11. Jahrhundert groß. Erst danach ging es mit der Durchschnittsgröße bergab. Woran das genau liegt, ist unklar, vielleicht spielt dabei auch die "Kleine Eiszeit" eine Rolle; die klimatische Abkühlung begann etwa im 13. Jahrhundert und hielt bis zum 17. Jahrhundert an.

Toter mit Schwert, Halmstad, Ausgrabung
Der Tote war mit einer Körpergröße von etwa 190 Zentimetern für seine Zeit ein wahrer Riese. Entsprechend lang war auch sein kostbares Schwert.
Foto: Kulturmiljö Halland, Stiftelsen Hallands länsmuseer

Stattlicher Herr mit ebensolcher Bewaffnung

Fakt ist jedenfalls, dass der Abwärtstrend der mittleren Körpergröße in der frühen Neuzeit einen absoluten Tiefpunkt erreicht hatte. Umso erstaunlicher ist daher ein archäologischer Fund vom Beginn des 16. Jahrhunderts, der einem Ausgrabungsteam in Schweden gelang. Die Forschenden um Johan Klange legten in Halmstad die Überreste eines Mannes frei, der zu Lebzeiten mindestens 1,9 Meter groß war. Der stattliche Herr war entsprechend seiner Statur eindrucksvoll ausgestattet: Sein Schwert, das gemeinsam mit dem Toten im Grab deponiert worden war, wies eine Länge von 1,3 Metern auf.

Klange arbeitet für das Kulturmiljö Halland, einer Einrichtung der lokalen Denkmalschutzbehörde, und zeigte sich erstaunt über die Ausmaße sowohl des Toten als auch seiner Bewaffnung. An der Wende zum 16. Jahrhundert betrug die durchschnittliche Körpergröße eines Mannes in Schweden nur rund 1,65 Meter, so der Wissenschafter.

Mitten auf dem "Lilla torg"

Der Fundort befindet sich mitten in der 66.000-Einwohner-Stadt Halmstad an der Südwestküste Schwedens. Auf dem "kleinen Platz" – auf Schwedisch "Lilla torg" – unweit des Flusses Nissan stand ein kurzlebiges Franziskanerkloster. Gegründet im Jahr 1494, wurde es während der unruhigen Zeiten der protestantischen Reformation bereits 1531 wieder zerstört. Wie jüngste Ausgrabungen belegen, befand sich auf dem Gelände der angeschlossenen Klosterkirche Sankta Anna ein kleiner, exklusiver Friedhof, der höchstwahrscheinlich der Nobilität vorbehalten war.

49 Gräber konnte das Team um Klange inzwischen freilegen, doch erst der aktuellste Fund von Mitte Dezember gab den Forschenden den entscheidenden Hinweis, dass sie es hier mit einem besonderen Friedhof zu tun hatten: Die Tatsache, dass der große Mann ein so außerordentliches Schwert bei sich hatte, weist ihn als Mitglied des Hochadels aus, sagt der Archäologe.

Gräber unter dem Lilla torg, Halmstad, Ausgrabung
Wo heute der "Lilla torg", der kleine Platz, von Halmstad liegt, befand sich vor über 500 Jahren ein exklusiver Friedhof.
Foto: Kulturmiljö Halland, Stiftelsen Hallands länsmuseer

Kostbare Klinge

Erste Untersuchungen zeigten, dass das mehr als 1,3 Meter lange Schwert von herausragender Qualität war. Kleine metallene Einlegearbeiten in Form von christlichen Kreuzen, sogenannte Tauschierungen, schmückten die Klinge. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Langschwert spätmittelalterlichen europäischen Stils, wenn auch mit einer überdurchschnittlichen Länge, meinte Klange. Die Waffe kann sowohl einhändig als auch beidhändig geführt werden.

Obwohl das Schwert aus rostanfälligem Eisen gefertigt wurde, ist es überraschend gut erhalten – mit einem kleinen Wermutstropfen: Die Klinge war in der Nähe des Griffs abgebrochen, die Archäologen vermuten, dass der Schaden bei Straßenbauarbeiten in den 1930er-Jahren entstanden ist.

Wer war der Mann?

Wer also war dieser Mann, der offenbar der Aristokratie angehörte? Klange vermutet, dass hier ein wohlhabender Anhänger der Kalmarer Union beigesetzt worden war. Die Union war eine Vereinigung von Schweden, Dänemark und Norwegen unter einer einzigen Krone; das Bündnis bestand zwischen 1397 und 1523 und verpflichtete diese drei Länder zum gemeinsamen Auftreten nach außen.

Schwert, Röntgenbild, Halmstad, Ausgrabung
Röntgenaufnahmen (unteres Bild), die im Rahmen der Konservierungsarbeiten von der 1,3 Meter langen Klinge angefertigt wurden, offenbarten metallische Einlegearbeiten in Form von christlichen Kreuzen.
Fotos: Kulturmiljö Halland, Stiftelsen Hallands länsmuseer

Doch vor allem gegen Ende war die Kalmarer Union von Fraktionskämpfen zerrissen. Schweden wollte nicht mehr und sagte sich schließlich 1513 los. Als der schwedische Reichsrat 1517 den unionsfreundlichen Erzbischof von Uppsala Gustaf Trolle absetzte, war das Maß für Dänemark voll: Der dänische König Christian II. brachte Schweden gewaltsam wieder unter seine Kontrolle und ließ bei seinen Krönungsfeierlichkeiten in Stockholm am 8. und 9. November 1520 fast 100 seiner Feinde hinrichten. Nach dem als "Stockholmer Blutbad" bekannt gewordenen Ereignis schwanden wohl auch die letzten Sympathien, die man in Schweden noch für die Union gehegt haben mochte.

Unterstützer der Kalmarer Union

Als der adelige Hüne in Halmstad bestattet wurde, waren diese Ereignisse jedoch noch 20 Jahre entfernt. "Wir vermuten, dass der Mann zum Hochadel der Kalmarer Union gehörte und möglicherweise sowohl in Schweden als auch in Dänemark Grundbesitz besaß", sagte Klange. "Diese Leute wurden sehr, sehr mächtig."

Der Forscher geht davon aus, dass der Mann und zwei weitere in der Nähe begrabene Personen – ein Mann und eine Frau – Mitglieder einer Adelsfamilie waren, die in der Region lebte, so Klange. Eine DNA-Analyse soll demnächst klären, ob die drei Personen tatsächlich miteinander verwandt waren. (Thomas Bergmayr, 20.1.2024)