Feuerwehrmänner löschen Flammen nach Angriffen auf ein syrisch-kurdisches Kraftwerk.
EPA

Dieser Tage ist es schwer, in Nahost den Überblick zu wahren. Nicht nur bombardiert Israel nach dem Massaker am 7. Oktober die Hamas im Gazastreifen: Seither haben sich auch zahlreiche weitere Fronten zwischen proiranischen Milizen, Israel und seinem wichtigsten Verbündeten USA aufgetan – etwa an der Israel-Libanon-Grenze, im Roten Meer vor dem Jemen und im Irak.

Doch das ist nicht alles: Seit Tagen eskalieren im Schatten des Nahostkonflikts zusätzlich die Spannungen zwischen der Türkei und der kurdischen Arbeiterpartei PKK, die von Ankara und dem Westen als Terrororganisation eingestuft wird und sich seit Jahrzehnten in den Bergen des Nordiraks verschanzt. In den vergangenen Tagen griff die Türkei nach eigenen Angaben insgesamt 114 Mal Ziele im Nordirak und in Nordostsyrien an, die sie als PKK-Stellungen bezeichnete: Es handle sich um "Höhlen, Bunker, Tunnel, Waffen- und Versorgungslager, die die Terroristen nutzen", hieß es aus Ankara, das auch mehrere kurdische Militante getötet haben will. Ziel sei es, die Terrorgefahr einzudämmen und für Grenzsicherheit zu sorgen.

Blackout in Dörfern

Die heftigen Luftschläge sind die Reaktion auf einen PKK-Angriff auf eine türkische Militärbasis im Nordirak. Dabei wurden am Freitag neun türkische Soldaten getötet. Laut Vertretern der kurdischen Autonomiebehörden im Irak wurden bei den türkischen Angriffen mehrere Kraftwerke, Wasserleitungen und Teile der Ölinfrastruktur beschädigt. Auch in Syrien wurden laut Staatsmedien zwei Kraftwerke zerstört und damit hunderte Dörfer in ein Blackout gestürzt.

Bei den angegriffenen Zielen in Syrien handelt es sich nach türkischen Angaben um mutmaßliche Posten der Kurdenmiliz YPG, die von der Türkei als Ableger der PKK gesehen wird. Den USA gilt die YPG, die die führende Kraft der sogenannten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) ist, dagegen als wichtiger Partner im Kampf gegen die IS-Terrormiliz.

Nach SDF-Angaben hätten die türkischen Angriffe hingegen hauptsächlich auf zivile Infrastruktur wie Elektrizitätswerke oder Weizenspeicher gezielt. Mindestens zwölf Zivilisten wurden demnach verletzt, darunter seien auch Frauen und Kinder. Mitglieder der Streitkräfte seien nicht getroffen worden. "Ohne Strom kann man auch kein Trinkwasser pumpen", so ein Sprecher. Auch zwei Weizenlager und eine Mühle seien zerstört worden. Die Angaben konnten zunächst nicht unabhängig geprüft werden.

Codename "Kralle"

Bereits im Dezember waren zwölf türkische Soldaten bei Gefechten mit der PKK getötet worden. Auch damals reagierte Ankara mit Luftschlägen im Irak und in Syrien. Die Eskalation der vergangenen Monate ist ein weiteres blutiges Kapitel in dem Konflikt, der seit den Achtzigerjahren andauert und sich von ländlichen Regionen in der Südosttürkei auf den Nordirak verlagert hat.

Dort treibt die Türkei seit 2019 mit einer Militäroperation namens "Kralle" allmählich Pläne voran, eine 15 bis 30 Kilometer tiefe Pufferzone entlang ihrer Grenze zum Irak zu errichten. Das ging mit einer massiven Aufstockung der türkischen Präsenz im Nordirak einher: Laut irakischen Angaben hat Ankara inzwischen mehr als 100 Militärposten in der Grenzregion errichtet.

Erdoğan droht mit neuer Offensive

Im Norden Syriens ist die Türkei, die sich im Syrienkrieg mit Rebellengruppen verbündet hat, zwischen 2016 und 2020 gleich drei Mal einmarschiert, unter anderem, um das kurdische Selbstverwaltungsgebiet zu zerschlagen und eine unter ihrer Kontrolle stehende "Sicherheitszone" zu errichten. Seither greift Ankara regelmäßig kurdische Positionen an, während Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit einer weiteren Militäroffensive in Syrien droht. So auch wieder am Dienstag, als er sagte: "Wir werden uns so lange nicht wohl fühlen, solange blutrünstige Mörder in Syrien und im Irak rumlaufen." In den "nächsten Monaten werden wir neue Schritte in diese Richtung setzen, egal was andere sagen", so Erdoğan wohl in Richtung USA und Russland, dem wichtigsten Verbündeten des syrischen Regimes. Sie machen seit Jahren Druck auf Ankara, davon abzusehen. Entgegen ihrer Versprechen sei die YPG jedoch immer noch im syrischen Grenzgebiet aktiv, behauptet die Türkei.

Doch nicht nur hier stehen die Zeichen auf Eskalation: Der Iran, der erst am Montag ein angebliches "Spionagezentrum" Israels im Nordirak angegriffen hat, hat am Dienstagabend Ziele der sunnitischen Terrorgruppe Jaish al-Adl im Nachbarland Pakistan attackiert. Dabei starben offenbar zwei Kinder. Pakistans Premier Anwaarul Haq Kakar, der kurz zuvor noch den iranischen Außenminister Hussein Amirabdollahian bei Weltwirtschaftsforum in Davos traf, zog daraufhin den Botschafter des Landes aus Teheran ab. (Flora Mory, 17.1.2024)