Schneebedecktes Warnschild auf Straße, vom Schriftzug ist nur
Warnung vor dem Eis: Regen und Temperaturen um den Gefrierpunkt sind eine gefährliche Kombination.
IMAGO/Jan Eifert

Salz schlägt Eis: So könnte es in einem Paralleluniversum laufen, in dem man das Spiel Schere-Stein-Papier alternativ spielt. Wobei auch der Stein seine Berechtigung hätte, weil er ebenfalls eingesetzt wird, sobald es auf den Straßen rutschig wird. Das kann in Österreich stellenweise am Mittwochabend und Donnerstagmorgen wieder der Fall sein, wenn die Temperaturen um den Gefrierpunkt mit Regen zusammenfallen, bevor es etwas wärmer wird. In Deutschland kommt es derzeit zu vielen glättebedingten Unfällen, an vielen Flughäfen wurden Flüge gestrichen.

Streusalz und Rollsplitt wirken gegen Glatteis, weil sie physikalische und chemische Prozesse ermöglichen, die der Eisschicht entgegenwirken. In Wien kommt auf den Straßen vor allem Salz in Form von Sole zum Einsatz: Eine 20-prozentige Lösung von Kochsalz (oder Natriumchlorid, kurz NaCl) in Wasser wird auf Fahrbahnen gespritzt. Es kann Eis und Schnee nicht schmelzen, aber quasi durch Depression und Erniedrigung dagegen wirken. Das Phänomen heißt offiziell Schmelzpunktdepression oder Gefrierpunkterniedrigung: Lösen sich Ionen des Kochsalzes in Wasser, sinkt der Schmelzpunkt. Es muss also kälter sein, damit das Wasser gefriert.

Der Trick mit dem Salzwasser

Die Wassermoleküle, die sich in flüssigem Zustand durcheinanderbewegen, ordnen sich normalerweise bei null Grad Celsius zu einer starren, stabilen Struktur, also zu Eiskristallen in ihrer bekannten sechseckigen Form. Salz teilt sich beim Lösen in Wasser in ein Chlorid- und ein Natriumion auf und stört die starre Anordnung des Eises. Um zur festen Struktur zurückzufinden, muss es für die Wassermoleküle kälter werden. Das "Feuchtsalz" ist auch bei tieferen Temperaturen wirksamer als Natriumchlorid und kann bis zu minus 15 Grad vor Glatteis schützen. Auf ähnliche Weise funktionieren Frostschutzmittel für Windschutzscheibe und Co.

Person in orangefarbener Warnkleidung streut Salz auf einem Weg aus
Neben Kochsalz gibt es auch andere Salze, die zur Reduzierung der Rutschgefahr verstreut werden.
APA/dpa/Jan Woitas

Aus diesem Grund kann die Salzlösung präventiv gesprüht werden, um Vereisen zu verhindern. Ist aber schon Eis da, funktioniert der Salzwassertrick nicht ganz so gut. Dann helfen die Fahrzeuge mit, die über die Straße fahren, erklärt Chemikerin Julie Pollock von der University of Richmond im US-Bundesstaat Virginia im Magazin "Scientific American". Autos erzeugen Reibung und Wärme: "Durch die Reibung schmilzt das bereits gefrorene Eis ein wenig, und es entsteht eine Art matschiges Material." Darin kann sich das Salz lösen, und das Gemisch gefriert nicht so leicht wie pures Wasser.

Das salzige Wasser kann für die Umwelt allerdings problematisch sein: Es ist zwar nicht per se giftig, entzieht aber in der Erde Pflanzen das lebenswichtige Wasser und landet im Grundwasser. Daneben kann Chlorid Schäden an Fahrzeugen und Straßen anrichten. Deshalb wird zugunsten der Sole nur mehr selten reines Salz ausgeschüttet. Spezielle Regelungen rund um Parks und einzelne Bäume sorgen dafür, dass hier normalerweise kein Salz ausgestreut werden darf – das kommt auch Haustieren beim Spazierengehen zugute.

Substanzen der Zukunft

Könnte man auch andere Substanzen verwenden, um die Schmelzpunktdepression herbeizuführen und Glatteis zu bekämpfen? Das ist tatsächlich möglich – und wird von der Wiener MA 48 auch genutzt. Sie verteilt neben Parks bevorzugt Kaliumkarbonat. Andere nützliche Salze sind Magnesiumchlorid und Kalziumchlorid. Die Ersatzmittel sind aber meist teurer.

Hund auf winterlichem Fußgängerweg
Für Hundepfoten kann Salz auf dem Weg unangenehme Folgen haben.
Erik Romanenko/IMAGO/ITAR-TASS

Sogar mit Zuckerlösungen wird experimentiert, um praktische Alternativen anzubieten. "Jede Art von Lösung stört die Fähigkeit von Wasser, Eiskristalle zu bilden", sagt Pollock. Eine Mischung von Ionen und Molekülen unterschiedlicher Größen könne effektiver sein als homogene Mittel.

Bei Steinchen und Sand wiederum sind es mechanische Effekte, die gegen das Ausrutschen wirken. Sie verhelfen Reifen und Schuhsohlen zu Grip auf Glatteis. Das Material erhöht die Oberfläche für Reibung: "Wenn man darauf fährt, kann Sand in das Eis eindringen, wenn es sich schon gebildet hat, und das Eis in kleinere Stücke brechen", wie die Chemikerin erläutert. Dadurch entstehe außerdem eine größere Oberfläche. Wenn diese von der Sonne erwärmt wird, schmilzt das Eis schneller.

Kaum Steine auf Wiener Straßen

Auf Wiener Straßen wird kaum mehr Rollsplitt verteilt. Weil Autoreifen die Steinchen schnell an den Fahrbahnrand bringen, sind sie wenig effizient, und man bräuchte große Mengen. Sehr wohl wird Streusplitt aber etwa von Hausbesorgerinnen und Gebäudeverwaltern benutzt, um beispielsweise Gehsteige und Innenhöfe glatteissicher zu machen. Das zerkleinerte Gestein ist ihr bevorzugtes Mittel, gefolgt von Kaliumkarbonat beziehungsweise Kochsalz.

Weltweit werden großen Mengen an Streugut ausgebracht, pro Jahr sind es allein in Österreich mehr als 200.000 Tonnen Salz, in den USA mehr als 20 Millionen Tonnen. Angesichts dessen tüfteln Ingenieure an weiteren Alternativen. Straßen könnten beheizt werden, dafür müsste man Rohre oder Fasern unter der Fahroberfläche verlegen. Dabei handelt es sich aber um eine teure Methode. Es muss aber noch eruiert werden, ob sie sich zugunsten sichererer Straßen zumindest stellenweise auszahlt, um der Glätte ein Schnippchen zu schlagen. (Julia Sica, 17.1.2024)