Spanien Graffiti
Straßenkunst mit politischen Inhalten ist in Fanzara, Spanien, nicht mehr gern gesehen.
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"Wir werden uns nicht mit der Zensur abfinden", schimpft Javier López. Der 57-Jährige aus dem 300-Seelen-Ort Fanzara im Hinterland der spanischen Mittelmeerregion Comunidad Valenciana ist der Sprecher des MIAU, des "Unvollendeten Museums Urbaner Kunst". So heißt das Graffitifestival, das seit nunmehr zehn Jahre hier abgehalten wird.

Nationale und internationale Graffitikünstler werden eingeladen, übernachten bei Dorfbewohnern zu Hause und bemalen die Wände im Ort, ganz wie sie wollen. So bunt wie dort ist es nicht einmal in der Bronx. Jetzt, nachdem im Mai 2023 die rechte Partido Popular (PP) ins Rathaus eingezogen ist, soll damit Schluss sein. Laut einer im Gemeinderat verabschiedeten Regelung dürfen die Künstler künftig zwar weitermalen, müssen aber zuvor eine Skizze auf der Gemeindeverwaltung vorlegen. Dort soll dann entschieden werden, ob das Kunstwerk ins Dorfbild passt oder nicht.

"Es dürfen auf keiner Mauer im Ort Sätze, Zeichnungen oder Ähnliches politischer Art gemalt werden, das die Gefühle einzelner Personen oder Kollektive verletzt", heißt es in der neuen Gemeindeverordnung. Der Grund: Die PP stößt sich an einem Graffiti, das im vergangenen Jahr entstanden ist. Mit dem Satz "Das einzige würdige Vaterland in diesem Land liegt in den Straßengräben" wird darin der rund 150.000 Opfer der Repression gegen Demokraten und Linke im Bürgerkrieg und der Franco-Diktatur gedacht.

Neue Verordnung

Wenn ein Hausbesitzer künftig einem Künstler die Wand ohne vorherige Genehmigung zur Verfügung stellt, muss er – so das Rathaus – das Werk entfernen. Falls nicht, werden die Gemeindearbeiter auf Rechnung des Hausbesitzers ausrücken, um das Corpus Delicti zu übertünchen. So sieht es die Verordnung vor, die darauf wartet, im Amtsblatt veröffentlicht zu werden.

"Wenn die Gemeindeverwaltung dies tatsächlich durchzieht, werden wir aufhören. Wir werden da nicht mitmachen", so López. Am vergangenen Wochenende versammelte sich über die Hälfte der Einwohner des kleinen Ortes in den Bergen, um ihr MIAU gegen die politische Vorabkontrolle zu unterstützen.

Der Graffiti-Event in Fanzara ist nicht das einzige Beispiel kommunaler und regionaler Zensur in Spanien nach dem Rechtsruck bei den Kommunal- und Regionalwahlen im vergangenen Mai. Wo die PP mit der rechtsextremen Vox gemeinsam regiert – in rund 130 Städten und Gemeinden sowie in fünf Regionen ist dies der Fall –, ging das Kulturressort meist an Letztere. Aber auch dort, wo die PP die absolute Mehrheit hat und somit alleine regiert, wie etwa in Fanzara, sieht es oft schlecht für die künstlerische Freiheiten aus. Festivals wird der Zuschuss gestrichen, Filme und Theaterstücke werden abgesetzt, Preisverleihungen behindert, Bibliotheken umsortiert. Zwölf Jahre nach der Bewegung der "Empörten" (der "Indignados" 2011/2012) nutzt die Rechte ihre neu errungene kommunale und regionale Macht, um Kultur und Politik wieder jenes Verständnis von Spanien, das tief in der vordemokratischen Vergangenheit wurzelt, aufzudrücken.

Entzogene Finanzierung und verbannte Bücher

So etwa in der Pyrenäenstadt Huesca: Hier findet seit 23 Jahren das Festival Periferias ("Festival Randgebiete") statt. Auf Drängen von Vox – Koalitionspartner der PP im Stadtrat – wurde der Initiative die Finanzierung entzogen. Das bedeutet das Ende einer der wichtigsten Veranstaltungen für avantgardistische Musik und Bühnenkunst außerhalb der Metropolen.

Was laut Vox nur dazu diente, "fortschrittliche Kulturfritzen mit Geld zu übergießen", war einer der wenigen Orte, an dem Künstler aus der Provinz ihr Schaffen präsentieren konnten. Als "eine der einfallsreichsten, freiesten und unterhaltsamsten tief verwurzelten Initiativen der spanischen Kulturlandschaft" beschreibt der Schriftsteller Sergio de Molino – Autor des Buches Leeres Spanien das Festival Periferias. Jetzt soll es durch ein Festival für die Jugend unter Regie der Rechts-rechts-außen-Stadtverwaltung ersetzt werden.

In Burriana an der Küste unweit von Fanzara ordnete der Kulturstadtrat zu Beginn des Schuljahres im September an, Bücher zum Thema LGTBI aus dem Kinder- und Jugendbereich der Stadtbibliothek zu verbannen und in die Erwachsenenabteilung zu verlegen, um "Kinder und Jugendliche vor pornografischen und skandalösen Inhalten zu schützen". Davon betroffen sind Werke wie Das Mädchen mit zwei Vätern oder Richard und die Barbies. Proteste des Bibliothekspersonals konnte dies erste einmal verhindern. Nun sammelt Vox Unterschriften unter einen regionale Bürgerantrag für eine Gesetzesinitiative, damit künftig in allen Bibliotheken der Region LGTBI-Kinder- und Jugendbücher in die Erwachsenenabteilung müssen.

Skurrile Züge

Mancherorts nimmt die Zensurwut skurrile Züge an. In einem Dorf in Nordspanien traf es den Zeichentrickfilm Lightyear aus dem Hause Walt Disney, weil sich darin zwei Frauen küssen. Und in einem Ort unweit von Madrid wurde das Theaterstück Orlando von Virginia Woolf abgesetzt. Doch nicht nur politische Bedenken gegen alles, was nicht heteronormativ zu sein scheint, führt zur Zensur, sondern Moral und Anstand ganz allgemein. In Toledo wurde eine Theatergruppe ausgeladen, weil in einer Szene mehrere Schauspieler in Unterhosen auftreten. "Das könnte empören", heißt es aus der Stadtverwaltung. Die Schauspieler tragen nicht etwa sexy Boxershorts oder gar Tangaschlüpfern, sondern weiße Riesen wie aus Opas Kleiderschrank.

In Orihuela, wie Burriana und Fanzara ebenfalls in der seit Mai von PP und VOX regierten Comunidad Valenciana, wurde der Gemeindezuschuss für einen nach dem illustren Sohn des Ortes benannten Literaturpreis gestrichen. Der Dichter Miguel Hernández schrieb und kämpfte im Bürgerkrieg gegen die faschistischen Putschisten unter Diktator Franco; sein wohl bekanntestes Werk, das Wiegenlied der Zwiebel, schickte er aus der Haft an seine Familie.

"PP und Vox richten sich mit dieser Politik an das, was der amerikanische Soziologe Michael Kimmel weiße, zornige Männer nennt", analysiert Jorge Lago, Philosoph, Dozent an der Universität Carlos III in Madrid und Verleger, die Zensurpolitik der Rechten. In seinem neueste Buch Politik und Fiktion untersucht er gemeinsam mit dem spanischen Sozialminister Pablo Bustinduy das politische Panorama nach der Finanz- und Covid-Krise, geprägt durch den rasanten Aufstieg der extremen Rechten. "Sie richten sich an all diejenigen, die sich abgehängt fühlen", argumentiert Lago und zieht dabei Parallelen zur Politik von Donald Trump oder Javier Milei.

Kultureller Kampf

Das Beispiel für diesen kulturellen Kampf schlechthin ist Madrid, wo die PP sowohl in der Region als auch im Rathaus im Alleingang regiert. Dort wurden Gedenktafeln für Demokraten und Opfer der Diktatur und der faschistischen Truppen im Bürgerkrieg entfernt. Die Regionalregierung unter Isabel Díaz Ayuso vom Vox-nahen Flügel der PP strich zudem etwa die Zuschüsse für das 1835 gegründete Ateneo Científico y Literario, den Kulturverein für wissenschaftliche und kulturelle Debatten im Zentrum der Hauptstadt. Künftig sollen nur noch einzelne Veranstaltungen gefördert werden, weiter äußerte sich die Regionalverwaltung dazu nicht.

Ayuso setzt Prioritäten: "Madrid ist eine Stierkampfstadt. Wir arbeiten daran, dem Stier den Ort zurückzugeben, den er verdient. Wir machen das, weil wir an die Freiheit glauben", erklärte sie in einer Veranstaltung anlässlich des Ruhestands eines der bekanntesten lebenden Toreros. Ihre Regionalregierung erhöhte im Haushalt die Posten für das blutige Spiel, rund sieben Millionen Euro pro Jahr gehen an Züchter und an die Veranstalter der Stierkämpfe in Madrid. Zum Vergleich: Der gestrichene Zuschuss des Ateneos belief sich auf jährlich 100.000 Euro. (Reiner Wandler aus Madrid, 18.1.2024)