Wahlkabine, in der die Füße einer Wählerin zu sehen sind.
Jeder Fünfte hält das österreichische Wahlrecht für großteils ungerecht.
Foto: Christian Fischer

Linz – Man würde erwarten, dass in einem demokratischen Rechtsstaat ein Faktum außer Streit gestellt ist: dass nämlich Wahlen gerecht verlaufen. In Österreich gibt es allerdings eine nicht unbedeutende Minderheit, die das in Zweifel zieht: Neun Prozent der Wahlberechtigten meinen, dass es "im Wahlrecht, bei Landtags- und Nationalratswahlen ganz und gar ungerecht zuginge", weitere zehn Prozent geben der Gerechtigkeit des Wahlrechts nur einen Vierer auf der fünfstufigen Notenskala. Das geht aus der aktuellen Umfrage des Linzer Market-Instituts für den STANDARD hervor. Besonders stark sind die Zweifel in der FPÖ-Wählerschaft (da geben drei von zehn Befragten die Note vier oder fünf), unter SPÖ-Wählern und unter jenen, die politisch nicht festgelegt sind.

Dennoch sieht Market-Politikforscher David Pfarrhofer wenig Grund zur Sorge: "Der Gerechtigkeit des Wahlsystems wird insgesamt die Durchschnittsnote 2,55 gegeben – als wir die Frage zuletzt im März 2015 unter der Regierung Faymann/Mitterlehner gestellt haben, waren die Werte nahezu identisch, auch damals haben vier Fünftel der Befragten gemeint, dass es bei Wahlen eben doch ziemlich gerecht zuginge. Tatsächlich ist das Wahlrecht jener Bereich, bei dem die Bevölkerung noch am ehesten annimmt, dass es gerecht zuginge."

Lässt man dagegen die Regierungspolitik benoten, dann kommt die schlechteste Durchschnittsnote heraus, nämlich 3,83. Diese Note ist zwar besser als unter der Regierung Faymann (da lautete der Wert 4,04), aber es wird deutlich, dass auch jetzt noch 31 Prozent die Regierungspolitik als gänzlich ungerecht erleben und 28 einen Vierer vergeben. Wiederum sind es freiheitliche Wähler, die besonders negativ benoten.

Was auffällt, sind die Antworten auf die einleitende Frage, ob es in Österreich generell gerecht zuginge, also: "Werden die Menschen alles in allem gerecht behandelt, oder ist das nicht der Fall?" Da sagt eine klare Mehrheit von 54 Prozent, dass die Gerechtigkeit nicht gegeben sei, nur 34 Prozent meinen, dass die Menschen insgesamt gerecht behandelt werden (der Rest ist unentschieden). Pfarrhofer sieht da einen kleinen Lichtblick: "Das Gefühl, dass Gerechtigkeit herrscht, hat im Laufe des vergangenen Jahres um sieben Prozentpunkte zugenommen – während die Annahme, dass es generell ungerecht zuginge, um zwölf Prozentpunkte zurückgegangen ist. Das ist statistisch signifikant – und der geringste Wert für Ungerechtigkeit seit mehr als zehn Jahren."

Optimisten sehen mehr Gerechtigkeit

Wiederum sieht man das Muster, dass Freiheitliche, Sozialdemokraten und politisch Unentschlossene die Gesellschaft überwiegend als ungerecht wahrnehmen – während die Anhängerschaften der Regierungsparteien mehrheitlich glauben, dass Österreich ein gerechtes Land sei. In den Daten ist auch ein anderer Zusammenhang zu erkennen: Die Minderheit, die sich als optimistisch bekennt (in dieser Umfragewelle 26 Prozent), ist in hohem Maße überzeugt, dass es in Österreich gerecht zuginge. Es gibt aber mehr erklärte Pessimisten (45 Prozent) – und von denen glauben drei Viertel, dass Österreich ein ungerechtes Land sei. Auch wer sich selbst wenig finanzielle Sorgen machen muss, schätzt die Gesellschaft gerechter ein als jene, die finanzielle Probleme haben.

Dem steht gegenüber, dass 70 Prozent der Befragten sagen, dass sie selbst gerecht behandelt würden, nur 30 Prozent sagen, dass das nicht der Fall sei. Diese Einschätzung ist in den letzten Jahren mit geringen Schwankungen stabil – im Gegensatz zur Frage, ob es generell gerecht zuginge, hat es hier keine Verbesserung der Einschätzung gegeben. Eine genauere Betrachtung der Daten zeigt, dass sich Befragte über 50 Jahren deutlich gerechter behandelt fühlen als der Durchschnitt. Dasselbe gilt für Stadtbewohner, Menschen mit höherer Bildung und die Wählerschaften von ÖVP und Grünen.

Einen engen Zusammenhang gibt es auch zwischen der Aussage, dass man sich als glücklicher Mensch betrachtet, und jener, dass man sich gerecht behandelt fühlt. 22 Prozent schätzen sich als "auf jeden Fall glücklich" ein, weitere 56 Prozent sagen, sie seien "eher schon" glücklich – diese Personen glauben auch, dass sie persönlich gerecht behandelt würden. Die wenigen eher oder völlig Unglücklichen sehen sich auch eher ungerecht behandelt.

Market legte den 800 Befragten auch eine Liste mit zwei Dutzend Bereichen vor, in denen es mehr oder weniger gerecht zugehen kann. Wie erwähnt, gelten die Wahlen als am ehesten gerecht – gefolgt von der Einschätzung, dass der Zugang zu höherer Bildung besonders gerecht geregelt sei. Dies wird besonders von jenen Befragten betont, die selbst höhere Bildung genossen haben. "SPÖ- und Grünen-Wähler sehen da am ehesten Ungerechtigkeiten – Politiker dieser Parteien betonen ja auch immer, dass es ungerecht wäre, dass Bildungschancen vererbt würden, diese Botschaften kommen also in den Parteiwählerschaften an. Ähnlich ist es beim Ausgleich zwischen Armen und Reichen, den diese beiden Parteien ansprechen; wobei dieses Thema dann auch den Freiheitlichen Zulauf bringt", analysiert Pfarrhofer.

Das Verhältnis zwischen Armen und Reichen wird ebenso wie die Preisgestaltung für Produkte des täglichen Bedarfs als besonders ungerecht eingestuft, nicht viel besser sieht es in der Betrachtung des Steuerrechts aus. Die (Nicht-)Besteuerung von Erbschaften gilt ÖVP-Wählerinnen und -Wählern als weitgehend gerecht, in den anderen Gruppen überwiegt das Gefühl der Ungerechtigkeit.

Auch im Verhältnis von Inländern und Ausländern sehen viele Befragte große Ungerechtigkeiten, relativ zufrieden ist da noch am ehesten die ÖVP-Wählerschaft. Wählerinnen und Wähler anderer Parteien sind da in ähnlichem Maße unzufrieden, wenn auch mutmaßlich aus unterschiedlichen Motiven.

Als relativ gerecht werden der Spitzensport, die Universitäten, das Bundesheer und die Gerichtsbarkeit eingestuft. Bei der Frage, ob es zwischen Männern und Frauen gerecht zuginge, sagen viele Männer, dass das eher schon der Fall sei (Note 2,97). Frauen sind da deutlich kritischer: Sie vergeben eine Durchschnittsnote von 3,45. Beinahe jede zweite Frau meint, dass Frauen gänzlich oder überwiegend ungerecht behandelt würden. (Conrad Seidl, 22.1.2024)