Das zufriedene Lächeln von Ismail Haniyeh ging am Abend des 7. Oktober um die Welt. Fernsehsender zeigten, wie er und andere Männer der Hamas gemeinsam die Nachrichten aus Israel verfolgten und sich Videos von den Massakern und Entführungen auf einem großen Fernsehbildschirm ansahen. Danach kniete Haniyeh nieder, um "in Dankbarkeit zu beten". Diese Inszenierung passt zu ihm, schließlich leitet Haniyeh das Politbüro der Hamas, er ist der politische Strippenzieher der islamistischen Terrororganisation.

Die Schweizer "Neue Zürcher Zeitung" nennt ihn "Hamas-Chef", wenn sie über sein Leben in Katar und seine guten Kontakte zur Staatsführung in der Türkei und dem Iran schreibt. Für Israel ist er nicht erst seit dem 7. Oktober ein Ziel möglicher militärischer Vergeltungsaktionen, die USA haben ihn 2018 auf die Liste globaler Terroristen gesetzt.

Ismail Haniyeh (rechts) und Irans Anführer Ayatollah Ali Khamenei bei einem Treffen in Teheran 2023.
Irans Anführer Ayatollah Ali Khamenei und Ismail Haniyeh bei einem Treffen in Teheran im Juni 2023.
Foto: REUTERS

Kontakte hat Haniyeh auch nach Österreich. So veröffentlichte ein Aktivist des Wiener Vereins Dar al Janub (arabisch für "Haus des Südens“) 2021 ein Foto auf Facebook, das ihn gemeinsam mit Haniyeh zeigt. Darunter schrieb der Mann: "Man muss weit reisen, um Politiker zu treffen, die ihr Wort halten." Der Aktivist war zeitweise der Sprecher von Dar al Janub.

"Man muss weit reisen, um Politiker zu treffen, die ihr Wort halten", erklärt der Dar-al-Janub-Aktivist.
Screenshot: Dossier Dokumentationsstelle Politischer Islam

Der Verein fällt schon seit Jahren durch seine antiisraelische Agitation auf, personell gibt es Überschneidungen mit der antisemitischen BDS-Kampagne (Boycott, Divestment and Sanctions), die Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will. In den Räumen von Dar al Janub hält BDS Veranstaltungen ab – zuletzt Mitte Jänner dieses Jahres.

Die BDS-Bewegung wurde im Juli 2005 gegründet. Es ist keine feste Organisation, sondern ein loser internationaler Zusammenschluss von 172 Akteuren, die eine gemeinsame Agenda verfolgen. BDS wird von islamistischen Terrorgruppen wie der Hamas sowie dem Islamischen Jihad unterstützt, und viele BDS-Aktivistinnen und -Aktivisten sprechen Israel das Existenzrecht ab. In Österreich ist die Gruppe weitgehend isoliert.

Massaker als "Befreiungsprozess" bezeichnet

Nach dem Überfall vom 7. Oktober ließ Dar al Janub keinen Zweifel an seiner Haltung. Zwei Tage nach dem größten Massaker an Jüdinnen und Juden seit Ende des Zweiten Weltkriegs bezeichnete der Verein die Hamas und ihre Verbündeten als "palästinensische Widerstandskräfte, die einen Befreiungsprozess eingeleitet haben".

Selbst positioniert sich der Verein "gegen (Neo-)Kolonialismus und für soziale Gerechtigkeit im globalen Süden", sieht sich als linke Gruppierung und betont, dass man sich für "Frieden und Gerechtigkeit" einsetze. Werden Kontakte und antisemitische Aussagen thematisiert, dann ist von "diffamierenden Anschuldigungen" die Rede. Zuletzt im Dezember des vergangenen Jahres, nachdem die Dokumentationsstelle Politischer Islam ein Dossier über die Aktivitäten und Kontakte von Dar al Janub veröffentlicht und Boulevardmedien, FPÖ und ÖVP den Verein zum Thema gemacht hatten.

Ehrenurkunde der PFLP

Wenig Raum nehmen in dem Papier der Dokumentationsstelle hingegen die Kontakte zu einer Organisation ein, die vom österreichischen Verfassungsschutz, der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), mit dem Label "terroristisch" versehen wird.

Auf der Facebook-Seite von Dar al Janub findet sich ein Foto, das die Ehrenurkunde zeigt, die der Verein von der PFLP, der "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (Popular Front for the Liberation of Palestine), im Jahr 2017 bekommen hat. "Für den Einsatz und das Engagement für das palästinensische Volk in seinem gerechten Kampf für die Befreiung", ist darauf zu lesen. Die Urkunde sei ein "Zeichen des Dankes und der Anerkennung". Die Auszeichnung verteilte die PFLP anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens. Neben Dar al Janub haben noch weitere Personen aus Wien eine solche Urkunde bekommen. Bei einer Verleihung dieser Urkunden war auch eine Person anwesend, die von US- und deutschen Geheimdiensten als zentrale Figur der Hamas in Österreich gesehen wird.

Die Ehrenurkunde der PFLP auf der Facebookseite von Dar al Janub
Die Ehrenurkunde der PFLP auf der Facebook-Seite von Dar al Janub.
Screenshot: STANDARD

In den vergangenen drei Jahrzehnten hat die islamistische Hamas die säkulare PFLP, deren Gründungsgeneration größtenteils aus christlichen Familien stammte, aus den Schlagzeilen verdrängt.

Die PFLP entstand nach dem Sieg Israels im Sechstagekrieg 1967 und versteht sich als marxistisch-leninistische Bewegung; sie unterhielt Kontakte zur Sowjetunion und ihren Verbündeten. Die Organisation ist ein Teil der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), wie auch auf der Homepage der Vertretung des Staates Palästina in Österreich zu lesen ist. Heute ist von linksradikalen oder emanzipatorischen Positionen nichts zu merken. Politisch verfolgt die PFLP arabisch-nationalistische Ziele, in ihrer Gründungserklärung wird der "bewaffnete Widerstand" als die "einzig effektive Methode der Volksmassen im Kampf gegen den zionistischen Feind" bezeichnet.

Bewaffnete der PFLP
Bewaffente der PFLP in Gaza im Jahr 2023.
Foto: EPA

Seit ihrer Gründung setzt die PFLP auf Terror. Sie ist "in der Vergangenheit in zahlreichen Ländern durch Anschläge und sonstige strafrechtlich relevante Aktivitäten in Erscheinung getreten", heißt es dazu erklärend seitens der DSN zum STANDARD. Bis heute begeht die PFLP Anschläge in Israel, seit 2002 ist sie von der EU als Terrororganisation gelistet.

Projektionsfläche für "linke" Gruppen

In Österreich tritt die PFLP selten öffentlich in Erscheinung. Ihre Aktivisten und Aktivistinnen sind jedoch bei den jüngsten israelfeindlichen Demonstrationen zu sehen. Sie gilt "linken", antiimperialistischen und antikolonialen, queeren Kleinstgruppen als Projektionsfläche für allerlei Fantasien und Wunschvorstellungen. Für sie ist die Organisation wahlweise die Vertretung des Proletariats oder die Speerspitze eines emanzipatorischen Projekts.

Schon kurz nach ihrer Gründung 1967 war die PFLP eine Anlaufstelle für radikale Linke aus aller Welt, die in Trainingscamps den Umgang mit Waffen und Sprengstoff lernten. Und sie war berühmt für ihre Flugzeugentführungen. Die PFLP-Hijackerin Leila Khaled avancierte in jenen Jahren mit Palästinensertuch und Kalaschnikow zu einer Ikone der linken Weltrevolution. Bekannt wurde Khaled, als sie 1969 an der Entführung eines US-amerikanischen TWA-Flugzeugs beteiligt war und es zwang, nach Damaskus zu fliegen. Die israelischen Passagiere wurden als Geiseln eingesetzt, um syrische und ägyptische Kriegsgefangene freizupressen, das Flugzeug wurde gesprengt.

Transparent mit Porträt von Leila Chaled auf einer Demonstration in Wien 
Transparent mit Porträt von Leila Khaled auf einer Demonstration in Wien.
Foto: Markus Sulzbacher

Im Jahr 2016 hielt Khaled in Wien einen Vortrag, trotz massiver Proteste im Vorfeld. Das führende PFLP-Mitglied konnte legal nach Österreich reisen, und die Sicherheitsbehörden sahen keine Gründe, den Vortrag zu untersagen. Seitens des Innenministeriums hielt man sich zurück, die PFLP als Terrororganisation zu benennen – obwohl zwei Jahre zuvor zwei PFLP-Aktivisten während des morgendlichen Schabbatgottesdiensts in eine Synagoge in Jerusalem eingedrungen waren und dort mit Äxten, Messern und Pistolen vier Rabbiner und einen Polizisten ermordet hatten.

Schwarzer September und das Blutbad am Flughafen Lod

Weltberühmt sind Aufnahmen aus dem Jahr 1970, als Kommandos der PFLP beinahe zeitgleich vier vollbesetzte Flugzeuge kaperten und in der jordanischen Wüste zur Landung gezwungen wurden. Diese Maschinen wurden schließlich gesprengt und die Geiseln kurz darauf unverletzt freigelassen. Die Fotos der Sprengung gingen um die Welt und stehen für den Schwarzen September, die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen jordanischen Streitkräften auf der einen und palästinensischen Guerillas auf der anderen Seite. Aus den Auseinandersetzungen ging schließlich Jordanien als Sieger hervor.

Foto vom Anschlag auf den Flughafen Lod, dem heutigen Ben Gurion Flughafen.
Foto vom Anschlag auf den Flughafen Lod, den heutigen Ben-Gurion-Flughafen.
Foto: APA/AFP

Wie eng die PFLP mit linken Gruppierungen verbunden war, zeigte sich 1972. Auf Befehl der PFLP griffen Angehörige der Japanischen Roten Armee den Flughafen Lod nahe Tel Aviv an und richteten ein Blutbad an. 26 Menschen kamen ums Leben, darunter 17 christliche Pilger. Es war der erste als Selbstmordkommando geplante Anschlag zur Unterstützung des sogenannten palästinensischen Freiheitskampfes des modernen Terrorismus – ausgeführt von drei Männern aus Japan. Der einzige überlebende Attentäter gilt heute bei Palästinensern und Palästinenserinnen noch als Held des Widerstands gegen Israel. In einem kürzlich veröffentlichten Video erinnert die PFLP an den Angriff auf den Flughafen Lod, der heute den Namen des israelischen Staatsgründers Ben Gurion trägt.

Überfall auf die Opec in Wien

Die Planung des Attentats lag bei dem PFLP-Gründer und Arzt Wadi Haddad, der 1977 für die deutsche RAF die Entführung des Lufthansa-Jets Landshut organisieren sollte. Haddad war es auch, der Ilich Ramírez Sánchez, bekannt als "Carlos, der Schakal", beauftragte, 1975 die Opec-Konferenz in Wien zu überfallen, bei der zwei Sicherheitsleute erschossen wurden.

"Das Kommando wurde von dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi mit der Geiselnahme beauftragt. Dieser wollte damit Druck auf Saudi-Arabien und den Iran ausüben, um den Erdölpreis anzuheben", erklärte der Historiker und Buchautor ("Die Opec-Geiselnahme 1975 und die Anfänge des modernen Terrorismus") Thomas Riegler in einem STANDARD-Interview.

Juden und Jüdinnen wurden von anderen Passagieren getrennt

Carlos konnte schließlich Österreich in einem Jet der AUA unbehelligt verlassen. In späteren Jahren machte er sich selbstständig und verdingte sich als Terrorsöldner für Ost-Geheimdienste und arabische Despoten. Als er schließlich 1994 verhaftet und in Frankreich wegen zahlreicher Terrorakte vor Gericht gestellt wurde, stand ihm einer der schillerndsten Unterstützer der PFLP als Anwalt zur Seite: der Schweizer Bankier François Genoud (1915–1996), ein bekennender Nationalsozialist, Holocaust-Leugner und Antisemit, der nicht nur zu PFLP-Leuten, sondern auch zu Neonazis wie den ehemaligen Größen des sogenannten Dritten Reichs Kontakte unterhielt. Er besaß auch die Rechte an den Tagebüchern von Joseph Goebbels, die ihm Tantiemen bescherten. Die Rechte an allen literarischen Werken des einstigen NS-Propagandaministers wurden ihm 1955 von noch lebenden Goebbels-Verwandten übertragen.

PFLP-Mitbegründer Haddad und die später von ihm geführte "Volksfront zur Befreiung Palästinas – Externe Operationen (PFLP-EO)" war 1976 auch an einer Flugzeugentführung in die ehemalige ugandische Hauptstadt Entebbe beteiligt. Im Zuge dieser Entführung wurden jüdische von anderen Passagieren getrennt. Die Geiseln wurden schließlich von einem israelischen Kommando befreit. Unter den Hijackern waren auch zwei Mitglieder der deutschen Revolutionären Zellen (RZ), die bei der Befreiungsaktion ums Leben kamen – wie auch der israelische Offizier Jonathan Netanjahu, der Bruder des amtierenden israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

"Gerd Albartus ist tot" führte zum Umdenken

Die Beteiligung deutscher Linksradikaler und die Selektion der jüdischen Passagiere wurden Jahre später von den RZ selbstkritisch als fataler Fehler bezeichnet. In dem 1991 erschienenen Text "Gerd Albartus ist tot" wird der Antisemitismus in der radikalen Linken und bei den RZ kritisiert. Der in der "Taz" abgedruckte Text leitete bei vielen Linksradikalen in Deutschland ein Umdenken in Bezug auf Israel und eine Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus ein.

Illich Ramírez Sánchez, bekannt als "Carlos, der Schakal", erschoss Gerd Albartus.
Foto: APA

Allerdings wird in dem RZ-Text nicht erwähnt, wer für den Tod des RZ-Mitglieds Gerd Albartus verantwortlich war. Ein Fehler, wie ein RZ-Mitglied Jahre später eingestand. Es war Carlos, der Albartus als Verräter sah. Er wurde von ihm erschossen und in einem Erdloch im Libanon verscharrt. Belege für einen tatsächlichen Verrat gibt es nicht. Carlos wurde weder für den Mord an Albartus noch für den Überfall auf die Opec vor Gericht gestellt. (Markus Sulzbacher, 20.1.2024)