Kitzbühel Hahnenkamm Ski Après-Ski Rennen und Alkohol
Tausende Zuschauerinnen und Zuschauer strömen alljährlich zu den Hahnenkammrennen. Manche kommen bereits am Vormittag alkoholisiert an.
Standard/Hirner

Was wäre Skifahren ohne Einkehrschwung? Was wäre ein Tag auf der Piste ohne Après-Ski? Und was wäre ein Hahnenkammrennen ohne mehr oder weniger kollektiven Dusel im Publikum? Für viele unvorstellbar! Man muss sich ja aufwärmen. Ein Supperl oder ein Tee würden es vielleicht auch tun, doch eine breite Masse gönnt sich lieber einen Jagatee, einen Glühwein oder eine Zirbe – und nicht selten mehr davon. "Ob’m auf der Hütt’n kauf i ma an Jägertee, weil so a Tee mocht den Schnee erst so richtig schee", singt Wolfgang Ambros, der 1976 mit Schifoan eine oder sogar die heimliche Hymne Österreichs schuf – jedenfalls bis Rainhard Fendrich 1989 mit I Am from Austria daherkam.

"Früher war es schon richtig wild", sagt Bettina, die ehemalige Chefrezeptionistin eines Innenstadthotels in Kitzbühel. Nach der Abfahrt seien am Samstagabend regelmäßig betrunkene Gäste ins Hotel gekommen, die entweder gleich auf die Toilette stürmten, um sich zu übergeben, oder an der Hotelbar nach ein, zwei Schluck vom Hocker fielen. "Einmal hat ein vom Security zurückgewiesener Betrunkener so lange mit seiner Stirn gegen die Glastür geschlagen, bis das Blut strömte." Am Sonntag vor dem Slalom, erzählt Bettina, habe sie um sieben Uhr in der Früh auf dem Weg zur Arbeit "über unzählige Alkoholleichen drübersteigen müssen".

Zeltfestcharakteristik

Natürlich ist es nicht ratsam, der Kälte mit Alkohol begegnen zu wollen. Als Frostschutz hilft Hochprozentiges dem Körper nicht wirklich. Und doch können Hartgesottene mit entsprechendem Spiegel auch den ganzen Tag trotz Minusgraden in der kurzen Krachledernen abfeiern. Skiweltcuprennen, speziell in Österreich, haben Zeltfestcharakter. Und Feste sind zu feiern, wie sie fallen. Diesbezüglich lässt sich insbesondere in Kitzbühel regelmäßig Faszinierendes beobachten.

Etwa die Gruppe Jugendlicher, die vor einem Rennen am Bahnhof ordentlich angeheitert aus dem Zug kugelt und sich sofort auf die Suche nach einem Supermarkt macht, weil die zum Auffüllen der Thermoskanne bestimmte Wodkaflasche während der Bahnfahrt zur Neige ging. Oder der junge Mann, der auf dem Rückweg von der Abfahrt plötzlich kerzengerade nach vorn fällt, mit dem Gesicht auf dem Gehsteig aufschlägt, von seinen Freunden wieder aufgerichtet wird und wie durch ein Wunder ohne blutige Nase davonkommt. Oder die junge Frau, die einen Wildfremden bitten muss, mit ihrem Handy einen Anruf zu tätigen, weil sie selbst nicht mehr dazu in der Lage ist. Oder der junge Mann, der nachts in der Innenstadt offensichtlich abgefüllt hinter einer Punschhütte im zusammengeschobenen Schnee liegt, während andere vergeblich versuchen, ihn wieder auf die Beine zu stellen. Oder, oder, oder. Besonders tragisch: 2017 starb ein 21-Jähriger, der auf den Gleisen von einem Zug erfasst wurde.

Alkohol reduziert Kontrollmechanismen, senkt Hemmschwellen. Mit den Sicherungen fliegen manchmal auch die Fäuste. Die Zahl der Rettungseinsätze am Rande der Rennen in Kitzbühel war zwar in den vergangenen Jahren rückläufig, dafür gab es mehr Polizeieinsätze wegen Tätlichkeiten und Anzeigen etwa wegen Körperverletzung.

Gemeinderatsverordnung

Kein Wunder, dass Kitzbühel nicht erst seit heuer versucht, den Alkoholkonsum in, nun ja, vernünftige Bahnen zu lenken. Der Gemeinderat legte per Verordnung fest, dass an den Renntagen im gesamten Innenstadtgebiet bis zum Bahnhof und am Veranstaltungsgelände nichts Alkoholisches über zehn Volumenprozent ausgeschenkt oder konsumiert werden darf. Im Freien wohlgemerkt. In den Geschäften muss Hochprozentiges an den Renntagen aus den Regalen verschwinden. In den Bars, Restaurants und Clubs, in denen Betuchtere und die VIPs verkehren, gilt die Einschränkung nicht. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?

Kitzbühel Hahnenkammrennen Party Alkohol
Der Kitzbüheler Stadtplatz zwei Tage vor dem ersten Rennen. Ab Freitagnachmittag verwandelt sich die Innenstadt in eine Partyzone.
Standard/Hirner

Schon in den vergangenen Jahren war im Eventbereich Hochprozentiges verboten. Heuer kann Missachtung aber auch sanktioniert werden, bis 2000 Euro reicht der Strafrahmen. Kontrollen wurden angekündigt. Die Schnapsflasche im Rucksack ist nicht mehr sicher.

Ob die neue Regelung die erwünschte Wirkung erzielt, darf auch bezweifelt werden, da die Masse schwer zu kontrollieren ist, manche verstärkt auf das Vorglühen bei der Anreise setzen könnten oder sich den Rausch nun eben beim Wirten ihrer Wahl abholen. Um die Kirche im Dorf zu lassen, auf dem Eventgelände bleiben immerhin Bier und Glühwein erlaubt. Und die diversen Schnäpse können verdünnt als Longdrinks angeboten werden.

"Wir wollen den positiven Trend beibehalten", begründet Bürgermeister Klaus Winkler (ÖVP). In die Zeit um die Jahrtausendwende will niemand zurück. Da hatte die unheilige Allianz zwischen Ski-Events und Alkoholkonsum ihren Gipfel erreicht. Unter Skisprungfans herrschte die "Goldi-Mania" um Andreas Goldberger, und bei der alpinen WM 2001 in St. Anton am Arlberg wurde der "weiße Rausch" ganz neu definiert.

Man konnte sich schon fragen, ob das Skifahren Nationalsport ist, weil nebenbei so viel gesoffen wird, oder ob so viel gesoffen wird, weil Skifahren Nationalsport ist. Kitzbühel-Fanfest-Veranstalter Ulrich Dorner will, "dass sich alle Besucher wohlfühlen und wieder sicher und unversehrt nach Hause kommen". Aber Kitzbühel sei natürlich kein Polizeistaat. "Die Party steht im Vordergrund." (Thomas Hirner, 19.1.2024)